Derzeit tobt ein Sturm in der juristischen Fachpresse. Auslöser ist ein Beschluss des Bundesgerichtshofes von Ende Mai. Er schränkte die Möglichkeit für Steuerhinterzieher dramatisch ein, durch eine Selbstanzeige Straffreiheit zu erlangen. Haben die Richter ihre Kompetenzen überschritten?
Nach Auffassung des Gerichts ist eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit künftig nur noch dann möglich, wenn der Täter vollständige und richtige Angaben bezüglich aller Konten und Vergehen macht. Erst wenn der Steuersünder "reinen Tisch" macht, so die Richter in Karlsruhe in einem so genannten obiter dictum (lat. "nebenbei Gesagtes"), liege eine strafbefreiende Selbstanzeige im Sinne des § 371 Abs. 1 AO vor.
Damit hat das höchste deutsche Strafgericht mit einem Nebensatz nicht weniger getan, als die bislang wirksame Teilselbstanzeige nach § 371 AO abgeschafft.
Flugs hat die Steuerfahndung in NRW das obiter dictum übernommen. Im Internet raten die Fahnder allen Steuersündern bei einer Selbstanzeige zu beachten, dass zur Erlangung der Straffreiheit eine vollständige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit Grundvoraussetzung ist. Und bieten als Service mit einem eigenen Formular auch gleich dazu ihre Hilfe an.
Die Entscheidung der Richter erging vor dem Hintergrund des lukrativen Ankaufs deutscher Bankkundendaten aus Liechtenstein und der Schweiz und zielt in die gleiche Richtung wie die zurzeit laufenden politischen Gesetzesinitiativen zur kompletten Abschaffung oder doch wesentlichen Einschränkung der Selbstanzeige. Man will den Steuersündern in diesem Land an den Kragen.
Zuständigkeitswechsel: 1. Strafsenat fährt harten Kurs
Die Verschärfung der Gangart des BGH begann streng genommen bereits im Juni 2008, als es beim Bundesgerichthof für Strafsachen einen Senatswechsel von Leipzig nach Karlsruhe gab. Seitdem hat der für die Verurteilungen von Steuersündern zuständige 1. Strafsenat das Sagen. Und der ging sofort in die Vollen:
Er entschied mit einer Grundsatzentscheidung zur Strafhöhe (BGH, Urteil vom 02.12.2008, 1 StR 416/08), dass ab einer Steuerverkürzung von einer Million Euro Haftstrafen nicht mehr auf Bewährung verhängt werden. Ab einem Betrag von 100.000 Euro Steuerverkürzung nimmt der BGH zudem nun einen besonders schweren Fall an. Steuersünder werden dann nicht mehr mit einer Geldstrafe, sondern bereits mit einer Freiheitsstrafe auf Bewährung rechnen müssen, sollten keine besonderen Milderungsgründe für sie sprechen. Gerade bei Unternehmenssteuern kann diese Grenze schnell erreicht werden.
Die jüngste Entscheidung (BGH, 1 StR 577/09) stellt einen ebenso dramatischen Eingriff in die bisherige Rechtssprechung dar. Denn bislang gingen Steuersünder, die ihre Konten nur teilweise dem Finanzamt offenbart hatten, "insoweit" – so heißt es im Wortlaut des Gesetzes – straffrei aus. Dies war auch fiskalisch durchaus sinnvoll und gewährte den reuigen Anzeigenden die Gewissheit, bei Nachzahlung dieser Steuern nicht bestraft zu werden. Wurde ein weiteres Konto aufgedeckt, war wiederum eine Bestrafung für dieses "insoweit" möglich.
Dramatische Änderung der Rechtsprechung
Dabei hatte das Gericht überhaupt keine Veranlassung im konkreten Fall das Thema der Wirksamkeit einer Teilselbstanzeige aufzugreifen. Denn bei einem obiter dictum handelt es sich um eine in einer Entscheidung eines Gerichts geäußerte Rechtsansicht, die die gefällte Entscheidung nicht trägt, sondern nur geäußert wurde, weil sich die Gelegenheit dazu bot.
Nun lässt sich über Sinn und Unsinn eines solchen obiter dictum trefflich streiten. Nützlich ist ein solches Instrument der Richter immer dann, wenn es zur Rechtsfortbildung dient. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr der Missachtung des Prinzips der Gewaltenteilung.
Besonders bedenklich ist das in den nun drohenden Fällen, in denen bereits auf der Grundlage bisheriger Rechtsprechung eine Teilselbstanzeige abgegeben worden ist. Wollen Steuersünder auch die restlichen Konten in der Schweiz oder auf den Cayman Island offenbaren, wird dies zwar noch möglich sein, aber Straffreiheit werden sie wohl nicht mehr erlangen können. Ergo werden sie keine verschwiegenen Einnahmen mehr offenbaren.
Und was soll mit Selbstanzeigen geschehen, bei denen lediglich geringfügige Einnahmen, vielleicht sogar versehentlich, verschwiegen worden sind? Auch in diesen Fällen droht künftig die ganze Härte der Rechtsprechung, die offenbar gewillt ist, den Strafanspruch des Staates durchzusetzen – auch über die zulässigen Grenzen der Gesetzesauslegung hinweg.
Hat der BGH den Weg der Gewaltenteilung verlassen?
Nach Auffassung vieler Kommentatoren hat der BGH damit den Weg der Gewaltenteilung verlassen und ungeschminkt individuelle politisch-moralische Wertvorstellungen propagiert.
Die Empörung über den BGH ist in diesem Fall berechtigt.
Obliegt dem Strafsenat die besondere Macht, über die Freiheit eines Menschen zu entscheiden, dann darf er sich nicht auf diesen zweifelhaften Weg begeben und die Grenzen der Rechtsprechung verlassen, in dem er mit moralischen Begründungen seinem Ansinnen, Steuersünder härter zu bestrafen, durchsetzt. Steuereinnahmen sind seit jeher und bis heute moralfrei. Auch Einnahmen aus dem Rotlichtmilieu werden besteuert.
Die Selbstanzeige ist seinem Gesetzeszweck nach ein besonderer Fall der tätigen Reue und bringt dem Fiskus zudem notwendige Steuereinnahmen, die ihm sonst vorenthalten blieben. Mit der Abschaffung der Teilselbstanzeige wird der BGH das Gegenteil erreichen und hat somit dem Fiskus einen Bärendienst erwiesen. Steuerflüchtlinge bleiben weiter im Verborgenen. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH durch das Bundesverfassungsgericht in seine Schranken verwiesen wird.
Michael Olfen ist u.a. Fachanwalt für Steuerrecht in Hamburg und Partner der Rechtsanwälte Oberwetter & Olfen.
Michael Olfen, Harter Kurs gegen Steuerhinterziehung: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1430 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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