Nach dem Freispruch sind Jörg Kachelmanns Anwälte noch immer damit beschäftigt, den Ruf des Wettermoderators wieder herzustellen. Dabei gehen sie, im einstweiligen Rechtsschutz bislang erfolgreich, auch gegen RP-Online vor. Die angegriffene Äußerung stammt dabei gar nicht aus der Redaktion, sondern von einem Leser. Tobias Sommer über die Haftung für kostenlose Fremd-Inhalte.
Kachelmann-Anwalt Ralf Höcker teilt aus: "Wer Kosten sparen will, indem er redaktionelle Arbeit auf Laien-Journalisten auslagert, muss auch für das schlechte Ergebnis eines solchen Kompetenz-Outsourcing einstehen." So kommentierte der Kölner Medienrechtler, der auch als RTL-Moderator und Autor der "Rechtsirrtümer" bekannt ist, eine einstweilige Verfügung des Landgerichts (LG) Köln, die die Kanzlei für einen ihrer wohl bekanntesten Mandanten erwirkt hat: Der Meinungswebsite Opinio, die von RP-Online unter der Internetadresse www.rp-online.de betrieben wird, ist es vorläufig untersagt, eine "vor- bzw. nachverurteilende Behauptung zum angeblichen Triebleben Kachelmanns" weiter zu verbreiten.
Höcker hat RP-Online nach eigenen Angaben abgemahnt, eine Unterlassungserklärung hat die Rheinische Post nicht abgegeben. Diese Entscheidung begründete die GmbH laut Höcker damit, dass es "sich auf der "Opinio-Seite" nicht um "redaktionelle, sondern um fremde Inhalte" handele. Die Möglichkeit, die Störung zu beseitigen, nachdem sie von ihr Kenntnis hatte, hatte das Portal nicht.
Nicht nur vielen Journalisten wird der Kölner Anwalt und RTL-Moderator sicherlich aus dem Herzen sprechen, der Trend zum Laien-Journalismus hält an. Die Vorteile der schreibenden Leser liegen auf der Hand: Die von ihnen verfassten Inhalte sind kostenlos und meinungslastig, sie können durchaus unterhaltsam und damit klickträchtig sein.
Haftung für fremde Inhalte: Wer Bescheid weiß, ist dran
Mangelnde Recherche und Qualität aber sind mittelfristig nicht nur unter journalistischen Gesichtspunkten wenig sinnvoll. Der so genannte User Generated Content beschäftigt auch die Gerichte schon seit Jahren. Die Haftung von Forenbetreibern für von Usern eingestellte Inhalte war eines der großen Rechtsthemen im Internet- und Medienrecht. Im Jahr 2007 hat der Bundesgerichtshof (BGH) unter der Überschrift "Verantwortlichkeit des Betreibers eines Meinungsforums im Internet" klar gestellt: "Der Betreiber eines Forums im Internet haftet ab Kenntniserlangung für den Inhalt eines dort eingestellten Beitrags, unabhängig von den Ansprüchen des Verletzten gegen den Verfasser des beanstandeten Beitrags" (Urt. v. 27.03.2007, Az. VI ZR 101/06).
Auch in vergleichbaren Fällen ist das Problem schon länger bekannt. So hatte das höchste deutsche Gericht bereits ähnlich entschieden für die Haftung von Auktionsplattformen bei Schutzrechtsverletzungen durch Verkäufer, also vor allem beim Plagiathandel bei eBay (vgl. hierzu die BGH, Urt. v. 11.03.2004, Az. I ZR 304/01 – Internetversteigerung I; BGH, Urt. v. 19.04.2007, Az. I ZR 35/04 – Internetversteigerung II). Erst am Dienstag positionierte sich auch der Europäische Gerichtshof im Rahmen eines britischen Vorabentscheidungsverfahrens in dieser Frage und urteilte ähnlich.
Im Grundsatz gilt: Der Betreiber der Internetseite haftet erst dann für Rechtsverletzungen Dritter, wenn er Kenntnis von diesen hat und sie trotzdem nicht beseitigt. So sieht es für Provider im Grundsatz auch das Telemediengesetz in §§ 7 ff, vor.
Leser schreiben für Leser, es prüft: Die Redaktion
Im Fall Kachelmann gegen die Rheinische Post streiten die Parteien nun darüber, ob sich die Redaktion die Äußerungen zurechnen lassen muss. RP-Online ist der Auffassung, der Leser-Beitrag sei eine fremde Äußerung, für welche sie nicht hafte. Der Pressekammer des LG Köln dagegen genügten nach Darstellung Höckers die Angaben in den FAQs von RP-Online, um am 8. Juli 2011 die einstweilige Verfügung zu erlassen (Az: 28 O 539/11). In den "Frequently Asked Questions" findet sich die Information, dass die von Usern verfassten Beiträge vor einer Veröffentlichung "geprüft" würden.
Die Internetseite Opinio wirbt mit dem Schlagwort "Leser schreiben für Leser!", auch in der gedruckten Ausgabe der Rheinischen Post werden regelmäßig Texte der Leserautoren veröffentlicht. In den FAQs bei Opinio heißt es derzeit unter der Frage "Wie lange dauert es, bis mein Text veröffentlicht wird?": "Die OPINIO-Redaktion bemüht sich, alle Texte so schnell als möglich zu prüfen und freizugeben!" Nicht jeder Leser-Text wird in das Internet eingestellt, auch die Opinio-Redaktion selbst veröffentlicht regelmäßig eigene Texte. Die Texte auf dem Meinungsportal sind mit einem Autorennamen versehen, ein Profil des schreibenden Lesers ist hinterlegt.
Das ändert aber nichts daran, dass derjenige, der sich durch eine Äußerung verletzt fühlt, sich dennoch an den - häufig solventeren - Betreiber der Seite halten kann: "Die Haftung des Forenbetreibers besteht auch dann, wenn dem Verletzten die Identität des Verfassers bekannt ist. Der Verletzte kann daher wahlweise den Verfasser oder den Forenbetreiber in Anspruch nehmen", hatte der BGH in seiner oben zitierten Forenbetreiber-Entscheidung geurteilt.
Ebenso heißt es bei den Bundesrichtern, dass ein so genanntes Meinungsforum gegenüber anderen Foren nicht privilegiert sei. Im Vergleich zu anderen "Diensteanbietern" im Internet - so der Gesetzeswortlaut - besteht demnach kein besonderer Schutz.
Auf dem Weg zur haftungsbeschränkten Leserpresse?
In der Entscheidung spickmich.de (Urt. v. 23.06.2009, Az. VI ZR 196/08) hat der BGH den Betreiber der Internetseite für Lehrerbewertungen als Störer eingestuft, für den die Grundsätze der Störerhaftung gelten, also § 1004 BGB. Ob er sich die Äußerungen der Schüler als eigene zurechnen lassen muss, was zu seiner vollen Verantwortlichkeit für die Inhalte der Informationen nach § 7 TMG führen würde, hatten die BGH-Richter in dieser Entscheidung offen gelassen.
Geht der Opinio-Fall durch die Instanzen, könnte er die Rechtsprechung zur Forenhaftung um eine weitere Facette bereichern. Die interessante Frage ist dabei, wann und unter welchen Voraussetzungen sich ein Verlag fremde Inhalte zueigen macht. Für die künftige Gestaltung des Opinio-Geschäftsmodells und vergleichbarer Foren könnte das Verfahren wesentliche Erkenntnisse bringen. Welcher Sorgfaltsmaßstab soll gelten, wenn Inhalte vorher gelesen bzw. geprüft werden. Ist es rechtlich gesehen besser, wenn die Inhalte ungeprüft veröffentlicht werden?
Müssen also die Beiträge bei dem Opinio-Modell, wo eine Redaktion vorsortiert und damit auch einen gewissen Qualitätsanspruch sichert, vorher zwingend auch rechtlich begutachtet werden oder wird es ein umfassendes Foren- und Providerprivileg geben? Bleibt es also bei der Vermittlung von Inhalten im Internet bei einer Haftung nach Kenntnis, wie es bisher die Linie des BGH war oder kann es davon auch Ausnahmen geben, wenn beispielsweise eine vorherige Prüfung der Inhalte zugesagt ist?
Gut zu begründen sind beide Ergebnisse: Die Verfügung könnte in den Instanzen keinen Bestand haben, dann wären die Möglichkeiten des Internets in einem Teilbereich erschwert, da künftig Sorgfaltspflichten eingehalten werden müssten wie bei Pressepublikationen.
In der Entscheidung marions-kochbuch.de hatte der BGH für Rezepte entschieden (Urt. v. 21.11.2009, Az. I ZR 166/07), dass ein Forenbetreiber haftet, wenn er sich diese Inhalte "zueignet", wofür auch eine inhaltliche Prüfung vor Freischaltung genüge. Ein wichtiger Punkt - und Unterschied zu dem aktuellen Fall – war aber für die BGH-Richter, dass die Inhalte auch Dritten zur kommerziellen Nutzung angeboten wurden und damit eine "wirtschaftliche Zuordnung" erfolgte. Der Betreiber erwecke insgesamt den zurechenbaren Anschein, sich mit den fremden Inhalten zu identifizieren und sich diese zu eigen zu machen. Ob auch der Oponio-Fall auf dieser Linie liegt, müssen nun die Gerichte beurteilen, wenn RP-Online den Fall aufgrund seiner Besonderheiten durch die Instanzen klagt.*
Bekommt RP-Online recht, wäre es ein weiterer Schritt hin zu einem äußerst liberalen Äußerungsrecht, eine "haftungsbeschränkte Leserpresse" unter dem Label einer Zeitung wäre dann möglich. Vielleicht finden die Richter auch einen dritten Weg und orientieren sich bei "redaktionellen Leserinhalten" an den Maßstäben, wie sie für Zeitungsanzeigen gelten. Dann wäre eine sofortige Abmahnung nur nach strengen Maßstäben erfolgreich, denn das Presseprivileg beschränkt die Verantwortlichkeit im Anzeigenteil auf grobe, unschwer zu erkennende Verstöße.
Der Autor Tobias Sommer, LL.M. ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht sowie Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz in Berlin
Anmerkung der Red.: Der Autor hat seinen Text wenige Stunden nach dessen Veröffentlichung noch am 14. Juli 2011 um den mit einem Sternchen versehenen Absatz ergänzt.
Tobias Sommer, Haftung für fremde Inhalte: . In: Legal Tribune Online, 14.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3764 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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