Ist ein Patient möglicherweise durch ein Arzneimittel geschädigt worden, hat er gegenüber dem Unternehmer ein erhebliches Informationsdefizit. Seit 2002 muss der Unternehmer ihm Auskunft erteilen, damit im Haftungsprozess Chancengleichheit besteht. Hintergründe zur Reichweite des Anspruchs und wie man ihn geltend macht.
Ohne einen Anspruch auf Auskunft noch vor Beginn eines Haftungsprozesses wäre die prozessuale Chancengleichheit nicht gewahrt. Hintergrund ist, dass der Geschädigte die Voraussetzungen seines Schadensersatzanspruchs darlegen und beweisen muss. Ein Informationsdefizit könnte ihn davon abhalten, seine möglicherweise bestehenden Ansprüche überhaupt geltend zu machen. Mit der Einführung des Auskunftsanspruchs wollte der Gesetzgeber die Stellung eines potentiell Geschädigten verbessern.
Den Anspruch hat der Gesetzgeber mit dem Zweiten Schadensersatzrechtsänderungsgesetz im Jahr 2002 in das Arzneimittelgesetz aufgenommen. Der Anspruch richtet sich zum einen gegen den pharmazeutischen Unternehmer, § 84a Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG), und zum anderen gegen die Zulassungs- und Überwachungsbehörden, § 84a Abs. 2 AMG.
In jenem Jahr hat der Gesetzgeber generell die Rechte der Verbraucher bei Arzneimittelschäden gestärkt. In § 84 Abs. 2 AMG wurden mit der Kausalitätsvermutung Beweiserleichterungen für potenziell Geschädigte geschaffen. Nach dieser Vorschrift wird die Kausalität zwischen Arzneimittelanwendung und Schaden vermutet, wenn das Arzneimittel geeignet ist, den Schaden zu verursachen.
Beweiserleichterung für Arzneimittelhaftungsansprüche
Die Bewertung dieser Eignung erfolgt im Einzelfall und richtet sich nach Zusammensetzung und Dosierung des angewendeten Arzneimittels, nach der Art und Dauer seiner bestimmungsgemäßen Anwendung, nach dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schadenseintritt. Auchdas Schadensbild und der gesundheitliche Zustand des Geschädigten im Zeitpunkt der Anwendung sowie alle sonstigen Gegebenheiten, die im Einzelfall für oder gegen die Schadensverursachung sprechen, sind dabei zu berücksichtigen.
Wenn ein anderer Umstand nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen, gilt die gesetzliche Kausalitätsvermutung allerdings nicht. Die Anwendung eines weiteren Arzneimittels, das den Schaden verursacht haben könnte, kann aber nicht herangezogen werden, um die Kausalitätsvermutung zu entkräften.
Die Kausalitätsvermutung gilt nur für Schäden, bei denen das schädigende Ereignis nach dem 31. Juli 2002 eingetreten ist, Art. 229 § 8 Abs. 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB).
Die Auskunftsverpflichteten: Der pharmazeutische Unternehmer und die zuständigen Behörden
Für den Auskunftsanspruch gibt es im Gegensatz dazu keinen Stichtag. Dieser besteht also unabhängig davon, wann das schädigende Ereignis eingetreten ist. Ein Auskunftsanspruch entfällt allerdings, wenn am Stichtag über den Schadensersatz durch rechtskräftiges Urteil entschieden war oder Arzneimittelanwender und pharmazeutischer Unternehmer sich über den Schadensersatz geeinigt hatten.
Der Auskunftsanspruch richtet sich gegen den pharmazeutischen Unternehmer, also denjenigen, der Zulassungsinhaber ist oder das Arzneimittel unter seinem Namen in Verkehr gebracht hat (zum Beispiel Mitvertreiber).
Aber auch gegenüber den zuständigen Zulassungs- und Überwachungsbehörden hat der Geschädigte einen Anspruch auf Auskunft. Je nach Art des Arzneimittels sind zuständig das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder das Paul-Ehrlich-Institut sowie die nach Landesrecht zuständigen Überwachungsbehörden.
Kein Anspruch bei Kopfschmerzen bei lebensbedrohlicher Erkrankung
Der Anspruch besteht nicht, wenn er zur Feststellung, ob ein Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG besteht, nicht erforderlich ist.
Dies wäre der Fall, wenn lediglich eine unerhebliche Schädigung vorliegt oder nur ein Vermögensschaden geltend gemacht wird, für den nach § 84 Abs. 1 Satz 1 AMG kein Schadensersatz zu leisten ist.
Treten beispielsweise bei einem Arzneimittel zur Therapie einer lebensbedrohlichen Erkrankung (z. B. Krebs) als Nebenwirkung Kopfschmerzen auf, die in der Packungsbeilage auch als Nebenwirkung beschrieben wurden, ist ein Schadensersatzanspruch nicht plausibel, so dass erst gar kein Auskunftsanspruch besteht.
Der Inhalt des Auskunftsanspruchs: Bekannte Nebenwirkungen
Der Auskunftsanspruch umfasst die dem pharmazeutischen Unternehmer bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen des Medikaments. Der Unternehmer muss auch über ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und alle weiteren Erkenntnisse Auskunft geben, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können.
Der Auskunftsanspruch beinhaltet kein Akteneinsichtsrecht. Der potenziell Geschädigte hat also lediglich ein Recht darauf, dass die von ihm gestellten Fragen schriftlich beantwortet werden. Geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse muss der pharmazeutische Unternehmer hingegen nicht preisgeben.
Außerdem umfasst der Auskunftsanspruch nur bekannte Tatsachen. Der Unternehmer wird durch § 84a AMG nicht verpflichtet, bislang nicht bekannte Informationen erst zu beschaffen oder gar bestimmte Tests durchzuführen.
Zwischen unbestimmtem Verdacht und Vollbeweis: Die Voraussetzungen
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Auskunftsanspruch kein Ausforschungsanspruch sein. Auseinandersetzungengibt es oft darüber, wie umfangreich der Tatsachenvortrag des Anspruchstellers zur Durchsetzung seines Auskunftsanspruchs sein muss.
Nach der Rechtsprechung reicht ein unbestimmter Verdacht nicht aus. Allerdings muss der Geschädigte im Verfahren um den Auskunftsanspruch auch nicht den Beweis der Kausalität führen. Dem Richter obliegt insoweit eine Plausibilitätsprüfung, wobeidie ernsthafte Möglichkeit eines Zusammenhangs für den Auskunftsanspruch ausreicht.
Bestimmte Voraussetzungen dafür muss der Geschädigte allerdings belegen. Vor allem muss er nachweisen, dass ein Schaden überhaupt eingetreten ist und dass er das Arzneimittel, dessen schädigende Wirkung er behauptet, eingenommen hat. Dafür reichen aberdie Krankenunterlagen und die Vorlage der Rezepte in der Regel aus.
Weitere Präzisierungen sind wünschenswert
In keinem Fall soll die Darlegungslast soweit gehen, dass erschon im Verfahren um den Auskunftsanspruch Sachverständigengutachten vorlegen oder als Beweis anbieten muss.
Der Auskunftsanspruch hat die Situation potenziell Geschädigter im Arzneimittelhaftungsprozess deutlich verbessert, in der Praxis hat er sich bereits bewährt. Der Anspruch darf allerdings nicht zur Ausforschung missbraucht werden, letztlich muss in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung ergehen, um das feine Gleichgewicht zwischen den Interessen des potenziell Geschädigten und des Unternehmers zu wahren.
Daher ist von der Rechtsprechung in bestimmten Fallkonstellationen eine weitere Präzisierung der Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs zu erwarten.
Der Autor Dr. Christian Jäkel ist Fachanwalt für Medizinrecht und Arzt.Sein Schwerpunkt liegt im Arzneimittelrecht, er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen im medizinrechtlichen Bereich.
Christian Jäkel, Haftung für Arzneimittelschäden: . In: Legal Tribune Online, 30.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2046 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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