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Anpassung des deutschen Kartellrechts an die Digitalisierung: Das "GWB 10.0"

Gastbeitrag von Dr. Nicolas Kredel, LL.M. und Jan Kresken, LL.M.

17.10.2019

Digitalisierung im Kartellrecht

(c) Tierney - stock.adobe.com

Mehr Chancen für alle, die nicht den Markt beherrschen: Die GWB Novelle soll etwa ermöglichen, Daten samt Chats von WhatsApp zu einem Wettbewerber zu portieren, erklären Nicolas Kredel und Jan Kresken.

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Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) wird seinen Referentenentwurf für die 10. GWB-Novelle in Kürze in die Ressortabstimmung geben. Ziel des GWB-Digitalisierungsgesetzes ist es, das deutsche Kartellrecht an die neuen Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen. Denn Daten haben eine immer stärkere Bedeutung als Wertschöpfungs- und Wettbewerbsfaktor

Der Schwerpunkt der Neuregelungen liegt auf der Aufsicht über Unternehmen – insbesondere aus der Digitalwirtschaft –, die über einen hohen Marktanteil verfügen und diese starke Stellung missbrauchen könnten.

Verstärkte Aufsicht über marktbeherrschende Unternehmen

So soll das Bundeskartellamt (BKartA) Plattformunternehmen mit marktübergreifender Bedeutung untersagen können, eigene Angebote auf der Website gegenüber denen von Wettbewerbern zu bevorzugen – etwa in der Darstellung der Suchergebnisse (sog. "self-preferencing"/ Eigenbevorzugung). Untersagen können soll das BKartA den dominierenden Unternehmen zudem, Wettbewerber auf einem Markt zu behindern, auf dem diese ihre eigene Position schnell ausbauen können, z.B. indem der Marktbeherrscher seine gesammelten wettbewerbsrelevanten Daten dahingehend nutzt. Hinsichtlich der Frage, welche Bedeutung ein Unternehmen im Markt hat, soll zukünftig auch dessen "Intermediationsmacht" berücksichtigt werden, d.h. dessen Möglichkeit, als Intermediär bzw. Vermittler Suchanfragen gezielt auf bestimmte – insbesondere eigene – Angebote zu lenken.

Nutzer sollen künftig die Chance haben, Zugang zu ihren eigenen Daten zu erhalten und diese mitnehmen können, falls sie zu anderen Anbietern wechseln wollen (z.B. Chats bei Messengerdiensten). Sollte diese Mitnahme für Nutzer durch den Altanbieter vertraglich oder technologisch erschwert werden, kann das BKartA dieses Verhalten zukünftig untersagen. Ein marktbeherrschendes Unternehmen soll sich nicht mehr ohne weiteres weigern dürfen, einem anderen Zugang zu Daten wie Nutzungsdaten einer spezifischen Person oder Maschine zu gewähren.

Dieses Verhalten kann zukünftig als missbräuchlich eingestuft werden, sofern der Zugang zu diesen Informationen objektiv notwendig ist, um auf einem der vor- oder nachgelagerten Märkte aktiv werden zu können. Zudem muss – ohne den Datenzugang – der wirksame Wettbewerb in diesem Segment bedroht sein und es darf keine sachliche Rechtfertigung seitens des marktbeherrschenden Unternehmens für die Zugangsverweigerung bestehen.

Der Datenzugangsanspruch kann innerhalb bestehender Vertragsbeziehungen bereits bei Vorliegen von relativer Marktmacht – also Abhängigkeit aufgrund deutlicher Asymmetrie der Machtverhältnisse zwischen Anbieter und Nachfrager – bestehen.

Erleichterung "einstweiliger Maßnahmen" für BKartA

Der Referentenentwurf soll "einstweilige Maßnahmen" durch das BKartA erleichtern, um den Wettbewerb frühzeitig vor einseitiger Dominanz zu schützen. Nach Auffassung des BMWi können insbesondere im "Big Data"-Bereich Unternehmen innerhalb weniger Jahre durch gezielte Übertragung von Marktmacht (sog. "Leveraging") ihre Marktposition ausbauen, ihr digitales Ökosystem längerfristig unangreifbar machen und damit Innovationen durch neue Marktteilnehmer behindern.

Um diese – möglicherweise irreversiblen – Schäden für den Wettbewerb zu verhindern, dauern die Verfahren der Missbrauchsaufsicht nach Ansicht des BMWi bisher zu lange (zitiert wird etwa das sechsjährige Verfahren i.S. Google Shopping).

Es darf jedoch bezweifelt werden, ob solche Befürchtungen in dieser Allgemeinheit zutreffen. Gerade die Digitalwirtschaft ist besonders schnelllebig und innovativ – starke Marktpositionen von heute mögen morgen schon passé sein. Beispielsweise war im Verfahren Microsoft/Skype (2011) zu Instant Messenger-Diensten ein Unternehmen namens WhatsApp noch nicht als Wettbewerber von der Europäischen Kommission benannt worden.

Anhebung der Schwellenwerte bei Fusionen

Der Referentenentwurf enthält zu begrüßende Erleichterungen im Bereich der Fusionskontrolle. Zwar müssen Unternehmen, die bestimmte umsatzbezogene Schwellenwerte überschreiten, ihr Zusammenschlussvorhaben beim Bundeskartellamt nach wie vor anmelden. Einer dieser Schwellenwerte soll aber von fünf Millionen Euro auf zehn Millionen Euro angehoben werden. Ausweislich des Referentenentwurfs wird dies dazu führen, dass erheblich weniger – geschätzt minus 20 Prozent, das entspricht 270 Anmeldungen – Zusammenschlussvorhaben angemeldet werden müssen.

Darüber hinaus können derartige Pläne nicht mehr untersagt werden, die einen kleinen Markt mit einem Umsatzvolumen von bis zu 20 Millionen Euro in Deutschland (statt bisher 15 Mio. Euro) betreffen. Im Falle aufwendiger Hauptprüfverfahren (sog. Phase II) wird indes die Prüfungsfrist von vier auf fünf Monate verlängert.

Die Umsatzberechnung zur Prüfung der Frage, ob die relevanten (umsatzbezogenen) Schwellenwerte erreicht werden und somit eine Kontrolle des Zusammenschlussvorhabens durch das BKartA erforderlich ist, richtet sich bisher nach § 277 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB). Dort wird festgelegt, welche Erlöse eines Unternehmens als Umsatzerlöse anzusehen sind. Der Referentenentwurf sieht vor, dass Unternehmen die Umsatzberechnung künftig auf Basis des international anerkannten Rechnungsstandards durchführen können, den sie bislang tatsächlich in der Praxis verwenden. Ausweislich des Referentenentwurfs ist zu erwarten, dass sich so bei 15 Prozent der Anmeldungen (also in ca. 159 Verfahren) eine Umrechnung bei der Umsatzberechnung erübrigt.

Mehr Hilfe vom BKartA bei Kooperationen

Ferner soll der Referentenentwurf – in Zeiten der Digitalisierung und hohen internationalen Wettbewerbsdrucks – mehr Rechtssicherheit bei Kooperationsvorhaben schaffen. Das sog. Selbsteinschätzungsprinzip, nach dem die Unternehmen selbst prüfen müssen, ob ihre angedachte Kooperation kartellrechtswidrig ist oder nicht, wird durchbrochen – die Unternehmen können ihre Kooperationsvorhaben kartellrechtlich bewerten lassen. Beispiele wären etwa die geplante gemeinsame Nutzung von Daten oder der Aufbau von Plattformen.

Zwar hatte das BKartA auch bisher in komplexen Fällen im informellen Verfahren entsprechende Hilfestellungen gegeben. Nun soll aber ein Anspruch auf eine solche Bewertung bestehen – innerhalb von sechs Monaten ab Einreichung des Antrags. Der Anspruch besteht jedoch nur, sofern ein "erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse" an der Bewertung vorliegt.

Es bleibt abzuwarten, unter welchen Voraussetzungen dies nach Auffassung des BKartA der Fall sein soll – laut Referentenentwurf insbesondere bei "komplexen neuen Rechtsfragen" und "außergewöhnlich hohem Investitionsaufwand". Für die Unternehmen dürfte die Regelung zu mehr Rechtssicherheit führen, jedoch möglicherweise auch das Bußgeldrisiko erhöhen, wenn sie sich gegen einen Antrag auf Bewertung entscheiden.

Schließlich soll das Kronzeugenprogramm des BKartA, das bislang lediglich in einer Verwaltungsleitlinie als "Bonusregelung" festgeschrieben war, im GWB gesetzlich verankert werden. Zudem ist eine Erweiterung der Zumessungskriterien für Bußgelder geplant. Insbesondere können ausweislich der Gesetzesbegründung zum Referentenentwurf zukünftig effektiv ausgestaltete Compliance-Maßnahmen als Aspekt eines positiven Nachtatverhaltens zugunsten der Unternehmen in die Bußgeldberechnung einfließen.

Licht und Schatten

Der Referentenentwurf des BMWi enthält erfreuliche Erleichterungen für die Unternehmen im Bereich der Fusionskontrolle und für Kooperationsvorhaben. Insbesondere die geplante Anpassung der zweiten Inlandsumsatzschwelle und Bagatellmarktklausel sowie die Änderungen zur Umsatzberechnung in der Fusionskontrolle sind ausnahmslos zu begrüßen.

Hinsichtlich der geplanten Änderungen bei der Missbrauchsaufsicht bleibt abzuwarten, inwieweit Unternehmen und Verbraucher von diesen Neuregelungen in der Praxis wirklich Gebrauch machen werden. Dies betrifft insbesondere die Regelungen zur Datenportabilität und zum Datenzugang. Hier stellen sich komplexe Vor- und Folgefragen, mit denen sich zukünftig das BKartA und die Gerichte auseinandersetzen werden müssen. Dies betrifft insbesondere die Frage, wann eine Belieferung mit den betreffenden Daten wirklich objektiv notwendig ist, um auf einem der vor- oder nachgelagerten Märkte tätig werden zu können und wie die Gewährung des Datenzugangs zukünftig vergütet werden soll. Die diesbezügliche Entscheidungspraxis des BKartA und der Gerichte darf mit Spannung erwartet werden.

Die Autoren Dr. Nicolas Kredel, LL.M. (Michigan) und Jan Kresken, LL.M. (Norwich) sind Anwälte bei Baker McKenzie.

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Anpassung des deutschen Kartellrechts an die Digitalisierung: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38225 (abgerufen am: 15.11.2025 )

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