Mit Inkrafttreten der neunten GWB-Novelle hat das BKartA neue Kompetenzen erhalten, so auch im Bereich des Verbraucherschutzes. Thomas Grünvogel und Sebastian Hack sehen diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen.
Die Konsumentenwohlfahrt ist Schutzgut des modernen Kartellrechts. Vielleicht ist es deshalb gar nicht so überraschend, dass das Bundeskartellamt (BKartA) nun auch für den Verbraucherschutz zuständig ist. Damit reagiert der deutsche Gesetzgeber auf eine als solche empfundene Schutzlücke. Das BKartA hat nach der Gesetzesnovelle die Befugnis, sogenannte Sektoruntersuchungen in verdächtigen Segmenten des Verbraucherschutzbereichs durchzuführen, um Marktbedingungen vertieft zu erforschen, verbrauchergefährdende Beschränkungen auszumachen und Lösungen zu entwickeln.
Bislang konnte das BKartA Sektoruntersuchungen durchführen, um sich über die Wettbewerbssituation in einzelnen Branchen zu informieren, wenn es Anhaltspunkte gab, dass in diesen Märkten kein funktionierender Wettbewerb herrschte. Von dieser Möglichkeit hat das BKartA auch regen Gebrauch gemacht. Eine solche Sektoruntersuchung bedeutet für betroffene Unternehmen erfahrungsgemäß einen gewissen Aufwand, um die teilweise sehr umfangreichen Auskunftsersuchen der Behörde zu beantworten.
Voraussetzung ist der "begründete Verdacht auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften, die nach ihrer Art oder ihrem Umfang die Interessen einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinrächtigen". Darunter können zum Beispiel UWG-Verstöße fallen, aber auch die Verwendung unwirksamer AGB.
Auf europäischer Ebene haben sich Sektoruntersuchungen durch die Kartellbehörden bereits als äußerst wirkungsvoll erwiesen. Institutionen und Verbraucher nutzen die daraus gewonnenen Ergebnisse, um eigene (gerichtliche) Maßnahmen zu ergreifen.
Massenverstöße und Musterklagen? Vorerst nicht
Zudem wird sich das BKartA durch Stellungnahmen als amicus curiae in Streitigkeiten vor Gericht einbringen können, die "erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften zum Gegenstand haben, die nach ihrer Art oder ihrem Umfang die Interessen einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinträchtigen".
Für Zivilverfahren mit Bezug zum Kartellrecht hat das BKartA bereits ein vergleichbares Instrument – und nutzt es rege. Das BKartA hat dabei eine Neutralitätspflicht, gleichwohl wirken sich dessen Ausführungen reflexartig zugunsten der einen oder anderen Partei aus. So ist zu befürchten, dass das Pendel künftig im Zweifel zu Lasten des Normadressaten beziehungsweise zu Gunsten einer Kompetenzerweiterung des BKartA schwingt.
Im Gesetzgebungsverfahren zur Novelle war eine noch umfassendere Zuständigkeit des BKartA diskutiert worden. So war vorgeschlagen, dass es gegen Massenverstöße vorgehen und Musterverfahren führen sowie die Rückerstattung widerrechtlicher Gewinne an Verbraucher anordnen können solle. Derart weitgehende Befugnisse wurden letztlich nicht in die Gesetzesnovelle aufgenommen. Dies ist zu begrüßen: Wie beabsichtigt sollte zunächst überprüft werden, ob weitergehende behördliche Befugnisse im Verbraucherschutzbereich überhaupt erforderlich sind und ob das BKartA auch die dafür geeignete Behörde ist.
Neue Abteilung umgehend gegründet
Das BKartA hat mit Inkrafttreten der Novelle umgehend eine entsprechende neue Abteilung gegründet, die sich dem Verbraucherschutz widmen wird. Im Rahmen seiner neuen Befugnisse dürfte die Behörde also schnell aktiv werden. Es darf auch gemutmaßt werden, wie die Behörde die Erkenntnisse, die es durch seine neuen Kompetenzen gewinnt, in kartellrechtliche Verfahren einfließen lässt und ob zukünftig Verbraucherschutzprobleme im Gewand des Kartellrechts insbesondere in Fusionskontroll- und Missbrauchsverfahren adressiert werden – diesem Vorwurf sieht sich das BKartA zurzeit wegen seines Verfahrens gegen Facebook ausgesetzt.
Das BKartA wirbt schon länger für mehr Kompetenzen im Bereich des Verbraucherschutzes. Gerade in der Internetwirtschaft seien Verbraucher vermehrt Gefahren ausgesetzt, beispielsweise durch Fake-Shops oder durch die Ausspähung privater Daten. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, sieht die aktuelle Kompetenzerweiterung nur als "ersten Schritt". Seine Behörde werde auch nach der Wahl weiter für eine Ausweitung ihrer Kompetenz im Verbraucherschutz werben.
Durchaus mit Aussicht auf Erfolg, zumal es auf europäischer Ebene parallele Entwicklungen gibt: Die EU-Kommission hat erst kürzlich ein Konsultationsverfahren eingeleitet, um herauszufinden, ob die Behörde Verbraucherschutzverstöße ähnlich sanktionieren soll wie Kartell- oder Datenschutzverstöße - und für diese ist der Bußgeldrahmen erst jüngst auf vier Prozent des Konzernumsatzes angehoben worden.
Dr. Thomas Grünvogel ist Rechtsanwalt und Partner, Dr. Sebastian Hack Rechtsanwalt bei Osborne Clarke.
GWB-Änderung: . In: Legal Tribune Online, 13.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23447 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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