Entwurf zum GWB-Digitalisierungsgesetz: Sie haben das Recht zu schweigen – manchmal

Gastkommentar von Dr. Ricarda Christine Schelzke

14.11.2019

Ein funktionierender digitaler Wettbewerb, das klingt nach weniger Macht für die Internetgiganten. Aber der Entwurf des GWB-Digitalisierungsgesetzes verkenne die Selbstbelastungsfreiheit, meint Ricarda Schelzke.

Kürzlich wurde der Referentenentwurf zum "Zehnten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0" vom Kartellrechtsblog D'Kart der Uni Düsseldorf veröffentlicht.

Aufgrund der Kurzfassung "Digitalisierungsgesetz" gehen Bürger wie auch Juristen davon aus, dass das Gesetz die Marktmacht der Digitalunternehmen wie Facebook und Google begrenzen soll.

Der Entwurf enthält aber auch eine verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Aussagepflicht. Er  sieht – zur Umsetzung der europäischen Richtlinie 2019/1 – eine Einschränkung der verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbelastungsfreiheit in kartellrechtlichen Verwaltungssachen und gleichzeitig im kartellrechtlichen Bußgeldverfahren vor. Dies ist jedenfalls im Bereich von kartellrechtlichen Bußgeldverfahren nicht mit dem verfassungsrechtlich abgesicherten Nemo-Tenetur-Grundsatz in Einklang zu bringen.

Aktuell: Schweigen darf, wer sich selbst belasten könnte

Bereits nach geltendem Recht erlaubt das GWB der Kartellbehörde, in Verwaltungssachen – also zum Beispiel bei Fusionskontrollen – von Unternehmen Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu verlangen.

Personen, die das Unternehmen vertreten, müssen diese Auskunft grundsätzlich erteilen. Nach der derzeitigen Gesetzesfassung müssen sie allerdings solche Fragen nicht beantworten, durch deren Beantwortung sie sich selbst in die Gefahr bringen würden, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Im Rahmen des kartellrechtlichen Bußgeldverfahrens besteht ebenfalls grundsätzlich eine Auskunftspflicht über die Umsätze des Unternehmens. Aber auch hier muss die Person keine Auskunft erteilen, wenn sie sich dadurch der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. 

Nach dem Referentenentwurf soll es diesen umfassenden Schutz für den Auskunfterteilenden künftig nicht mehr geben.

Entwurf: Unternehmensvertreter sollen nicht schweigen dürfen

Der Entwurf will das Recht zu schweigen, wenn man sich sonst in die Gefahr einer Strafverfolgung begeben würde, nicht mehr jedem gewähren. Die Pläne  unterscheiden nun danach, ob das Auskunftsverlangen sich unmittelbar an eine natürliche Person richtet oder aber an ein Unternehmen, für das dann eine natürliche Person antwortet.

Wenn das Auskunftsverlangen sich unmittelbar an eine natürliche Person richtet, die kein Unternehmensvertreter ist, soll diese grundsätzlich die Auskunft bei der Gefahr eines Straf- oder Bußgeldverfahrens verweigern dürfen. Lediglich wenn die Gefahr der Verfolgung im kartellbehördlichen Bußgeldverfahren besteht und die Kartellbehörde eine Nichtverfolgungszusage erteilt hat, soll dies nicht gelten.

Wird die Auskunft dagegen von einem Unternehmen verlangt, dann soll die natürliche Person, die sie als Unternehmensvertreterin erteilen muss, nach den Plänen künftig nicht mehr das Recht haben, die Aussage zu verweigern, auch wenn sie sich damit der Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aussetzen würde.

Entwurf: Beweisverwendungsverbot als Ausgleich

Gelten soll dies zum einen nur, wenn das Auskunftsverlangen der Behörde verhältnismäßig ist – eigentlich ja eine Selbstverständlichkeit – und den Adressaten auch nicht zum "Geständnis" einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder eines kartellrechtlichen Verstoßes zwingt (so der Wortlaut des Entwurfs).

Wann das der Fall sein soll und wann nicht, lässt der Entwurf offen. Wie soll denn aber eine Behörde abschätzen können, welche Fragen ein Unternehmen oder eine natürliche Person zu einem Geständnis zwingen würden? Das kann ja nur derjenige einschätzen, der sich pflichtwidrig verhalten hat.

Zum anderen soll eine solche Auskunftspflicht nur dann bestehen, wenn die Informationserlangung auf andere Weise wesentlich erschwert oder nicht zu erwarten ist. Es ist zu befürchten, dass die Kartellbehörden sich regelmäßig und ohne vertiefte Auseinandersetzung auf den Standpunkt stellen werden, dass diese Voraussetzung erfüllt sei.

Zur Sicherung der Selbstbelastungsfreiheit der natürlichen Person, die für ein Unternehmen antwortet, hält der Entwurf offenbar ein gesetzliches Beweisverwendungsverbot in einem Straf- und Bußgeldverfahren für ausreichend.

Das heißt, dass – anders als bei einem reinen Beweisverwertungsverbot – nicht nur die Auskunft selbst nicht im Straf- und Bußgeldverfahren genutzt werden darf, sondern die Auskunft auch nicht Ansatzpunkt weiterer Ermittlungen sein darf (außer die betreffende Person stimmt zu).

Effektivität der Strafverfolgung wichtiger als Nemo tenetur?

Wegen dieser folgenschweren Änderungen sollte man annehmen, dass die Begründung des Referentenentwurfes jedenfalls ausführlich darlegen würde, wieso sie vom verfassungsrechtlichen Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit abweichen will. Schließlich sind gesetzliche Regelungen, nach denen die Auskunft bei der Gefahr eines Straf- oder Bußgeldverfahrens verweigert werden darf, Ausfluss des Grundsatzes, dass niemand verpflichtet werden darf, gegen sich selbst auszusagen (lat. nemo tenetur se ipsum accusare).

Hierbei handelt es sich nicht nur um einen anerkannten Grundsatz des Straf- und Bußgeldverfahrens, sondern um einen solchen von Verfassungsrang. Das Recht, nicht gegen sich selbst aussagen zu müssen, gründet im verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip, im Recht auf ein faires Verfahren und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und ist sogar auf den Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde zurückzuführen. Es ist ein Prinzip von erheblicher Bedeutung.

Dennoch erklärt der Entwurf nicht etwa die geplante Einschränkung dieser ehernen Grundsätze. Er begründet stattdessen ausführlich, warum er ausnahmsweise ein Beweisverwendungsverbot zugunsten der Auskunftsverpflichteten vorsieht – trotz der Wichtigkeit der "Effektivität der Strafverfolgung".

Aussagepflicht im Bußgeldverfahren verstößt gegen Nemo-Tenetur-Grundsatz 

Selbst wenn man die Anordnung einer Auskunftspflicht bei gleichzeitiger Einräumung eines Beweisverwertungsverbots für den Bereich der reinen kartellrechtlichen Verwaltungssachen noch für gerechtfertigt halten wollte, kennt das deutsche Recht und erst recht die verfassungsrechtliche Rechtsprechung keine Auskunftspflicht in einem Bußgeldverfahren. Und das aus guten Gründen.

Ein gesetzliches Beweisverwendungsverbot, wie es der Referentenentwurf vorsieht, gibt es im  deutschen Recht ausschließlich als Ausgleich für Auskunftspflichten, die außerhalb eines Straf- oder Bußgeldverfahrens bestehen. So ist der Schuldner im Insolvenzverfahren verpflichtet, über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben, auch wenn er sich dadurch in die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit begibt. In einem Straf- oder Bußgeldverfahren darf die Auskunft im Gegenzug nur mit seiner Zustimmung verwendet werden. Auch der Arzt muss unter Umständen auf Nachfrage des Patienten Auskunft über Behandlungsfehler geben, die aber nur mit seiner Zustimmung in einem Straf- oder Bußgeldverfahren gegen ihn verwendet werden darf. Ein solcher Interessenausgleich für sog. außerstrafrechtliche Auskunftspflichten geht auf die als "Gemeinschuldnerbeschluss" bekannt gewordene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1981 zurück. 

Der Entwurf aber sieht eine Auskunftspflicht, die durch ein Beweisverwendungsverbot ausgeglichen werden soll, nicht nur außerhalb eines Straf- und Bußgeldverfahrens vor, sondern in (!) einem Bußgeldverfahren (das auch zu einem Strafverfahren werden kann). Das verstößt offensichtlich gegen den verfassungsrechtlichen Nemo-Tenetur-Grundsatz und ist auch nicht mit Verweis auf den Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zu rechtfertigen.

Es bleibt zu hoffen, dass im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Aussagepflicht im Bußgeldverfahren aufgrund des verfassungsrechtlich abgesicherten Nemo-Tenetur-Grundsatzes gestrichen werden wird. 

Die Autorin Dr. Ricarda Christine Schelzke ist Rechtsanwältin und Strafverteidigerin bei Klinkert Rechtsanwälte in Frankfurt am Main. Sie berät und verteidigt in allen Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts einschließlich des Kartellstraf- und ‑ordnungswidrigkeitenrechts.

Zitiervorschlag

Entwurf zum GWB-Digitalisierungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 14.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38685 (abgerufen am: 06.12.2024 )

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