Druckversion
Sunday, 14.08.2022, 14:10 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/grundsatzprogramm-afd-strafrechtliche-forderungen-rechtsstaat-buerger/
Fenster schließen
Artikel drucken
20423

Strafrechtliche Forderungen der AfD: Die Alter­na­tive zum Rechts­staat

von Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh)

31.08.2016

AfD-Infostand

Bild: Ziko van Dijk, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, Zuschnitt und Skalierung durch LTO

Glaubt man dem Grundsatzprogramm der AfD, ist der deutsche Rechtsstaat akut gefährdet bzw. bereits zerstört. Mit den strafrechtlichen Forderungen entfernt sich die Partei aber selbst von rechtsstaatlichen Grundsätzen, meint Manuel Ladiges.

Anzeige

Ein schlanker Staat soll den Bürger einen Ordnungsrahmen garantieren

Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) will nach ihrem eigenen Verständnis eine "echte politische Alternative" sein, um "unser Land im Geist von Freiheit und Demokratie grundlegend zu erneuern". Angehörige der Partei haben bereits Sitze im Europaparlament und in einer Vielzahl von Landesparlamenten, ein Wahlerfolg auf Bundesebene im Jahr 2017 ist möglich.

Für eine Einordnung des Rechtsverständnisses der AfD ist zunächst ihr Staatsverständnis in den Blick zu nehmen. Gefordert wird ein "schlanker Staat", denn nur dieser könne einen "Ordnungsrahmen" garantieren, "in dem sich die Bürger frei entfalten können", heißt es im Programm der Partei. Die Expansion der Staatsaufgaben bedrohe "den Kerngehalt der elementaren Freiheitsrechte der Bürger". Daher müsse sich der Staat auf vier klassische Gebiete konzentrieren: Innere und äußere Sicherheit, Justiz, Auswärtige Beziehungen und Finanzverwaltung.

Die AfD sieht die Innere Sicherheit vor allem durch die wachsende Kriminalität als erheblich bedroht an. Erforderlich sei ein sicherheitspolitischer "Befreiungsschlag". Es gehe um den "maximalen Schutz der Bürger" durch eine bessere Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden. Dabei ist jedenfalls zu begrüßen, dass den chronisch überlasteten Angehörigen von Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Polizei eine bessere personelle und sachliche Ausstattung in Aussicht gestellt wird.

Strafen für grobe Steuerverschwendung

Die AfD will neue Straftatbestände einführen, die sich vor allem gegen Handlungen der politischen Entscheidungsträger richten: "Ämterpatronage" soll strafbar, die Regelungen zur Abgeordnetenbestechung sollen deutlich verschärft werden. Ein Straftatbestand der "Haushaltsuntreue" sei erforderlich, um in "groben Fällen der Steuerverschwendung" die verantwortlichen Amtsträger bestrafen zu können. Tätliche Angriffe auf "Amtspersonen im weiteren Sinne", also auf Polizeibeamte, Feuerwehrangehörige und sonstige Rettungskräfte, seien mit einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe zu sanktionieren. Das sind durchaus unverdächtige Vorschläge.

Die AfD will bei volljährigen Tätern ausnahmslos das Erwachsenenstrafrecht anwenden. Die fakultative Ausnahme für Heranwachsende bis 21 Jahre gem. §§ 1 Abs. 2, 105 Jugendgerichtsgesetz (JGG) solle abgeschafft werden, um der "steigenden Brutalität jugendlicher Krimineller und der gravierenden Problematik jugendlicher Intensivtäter" zu begegnen. Dabei bleibt freilich völlig unklar, wie härtere Strafen gegen Heranwachsende die Problematik jugendlicher Straftäter lösen sollten. Konsequenter ist dann schon die Forderung nach der Absenkung der Strafmündigkeitsgrenze von 14 auf zwölf Jahre, um "den verloren gegangenen Respekt" bei jugendlichen Intensivtätern wiederherzustellen.

Grundprinzipien deutschen Rechts müssen auch mal weichen.

2/2: Haftgründe nur noch bei Vergehen

Das Grundsatzprogramm stellt auch eine Reform der Strafprozessordnung mit dem – grundsätzlich zu begrüßenden – Ziel der Verfahrensbeschleunigung in Aussicht. Die Möglichkeiten des Strafbefehlsverfahrens und des beschleunigten Verfahrens sollen verbessert werden, freilich unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein faires Verfahren. Schnellere Entscheidungen im Rechtsmittelverfahren müssten möglich werden, "indem insbesondere Urteilsaufhebungen und Zurückweisungen zur Neuverhandlung abgeschafft werden". Dabei bleibt ein Geheimnis, wie der Rechtsschutz für die Bürger verbessert werden soll, wenn den Revisionsgerichten die Möglichkeit genommen wird, Fehlurteile aufzuheben. Sollen die Revisionsgerichte dann etwa als Tatsacheninstanz selbst über den Fall entscheiden? Dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung wäre jedenfalls kaum gedient, wenn die Revisionsgerichte auch selbst Beweisaufnahmen durchführen müssten.

Für die Anordnung der Untersuchungshaft soll zukünftig schon der dringende Tatverdacht eines Verbrechens genügen; Haftgründe wären damit nur noch beim dringenden Tatverdacht eines Vergehens erforderlich. Weiterhin soll das Recht eines Straftäters auf informationelle Selbstbestimmung zurücktreten, wenn dies die strafrechtlichen Ermittlungen behindere und das "Recht der Bürger auf Sicherheit" beeinträchtige. Ein "ideologisch motiviertes übertriebenes Maß an Datenschutzmaßnahmen" habe die Sicherheitsbehörden "gelähmt und unverhältnismäßig bürokratisiert" mit der Folge: "Mangelnde Sicherheit für rechtschaffene Bürger und Datenschutz für Täter". Zu konkretem Änderungsbedarf schweigt das Grundsatzprogramm allerdings. Der Hinweis auf den "Mehraufwand für die Ermittlungspersonen" zeigt aber, dass es (auch) darum geht, die Eingriffsbefugnisse gegenüber dem bloß Beschuldigten zu erweitern. Allein der strafrechtliche Verdacht führt also zum Ausschluss aus dem Kreis der rechtschaffenen Bürger.

Bürger und andere Personen

Dieses Denken in den Kategorien von "Bürgern" und anderer Personen, also den Nicht-Bürgern, ist der rote Faden im Abschnitt "Innere Sicherheit und Justiz". Für das Strafverfahrensrecht bedeutet dieses Denken eine Zweiteilung in einerseits den „Täter“ und andererseits den "Bürger", dessen Schutz "vor einwanderungsbedingter Kriminalität oberste Priorität einzuräumen" sei.

Indem im Zusammenhang von strafrechtlichen Ermittlungen vom "Täter" die Rede ist, wird deutlich, dass die Unschuldsvermutung, die ein Kernstück des fairen Verfahrens ist, nicht ernst genommen wird. Die Aufgabe des grundlegenden Prinzips der Unschuldsvermutung würde auch den beabsichtigten Verzicht des Erfordernisses eines Haftgrundes beim dringenden Tatverdacht eines Verbrechens erklären.

Die geforderte Ausweitung des Strafbefehls- und des beschleunigten Verfahrens könnte zwar der Verfahrensbeschleunigung dienen. Ob der Wahrheitsermittlung, die Grundvoraussetzung zur Verwirklichung des Schuldprinzips ist, gedient werden würde, ist allerdings sehr fraglich. Dass eine Ausdehnung des beschleunigten Verfahrens den Rechtsschutz des Beschuldigten nicht verbessert, liegt dagegen auf der Hand.

Warnsignal statt Schuldprinzip

Im materiellen Strafrecht zeigt sich die Absicht eines fundamentalen Richtungswechsels, indem durch "konsequente Bestrafung schwerer Delikte Signale der Warnung und Prävention" ausgesendet werden sollen. Der AfD geht es also weniger um das Schuldprinzip, sondern um die Wiederherstellung des Respekts, wie es im Zusammenhang mit jugendlichen Serientätern heißt. Dazu passt, dass die Strafverfolgungsorgane im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Systemwechsel als "Gefahrenabwehrbehörden" bezeichnet werden. Es geht also in der Tat um eine durchgreifende Alternative zum geltenden Strafrechtssystem.

Eine gute, echte Alternative sind die Forderungen aber sicherlich nicht. Denn die Stärke des Rechtsstaates hängt vor allem davon ab, wie die Rechtsstellung des Beschuldigten oder des bloß Verdächtigen ausgestaltet ist. Vom beschworenen "Geist von Freiheit" ist bei der Lektüre des Abschnittes "Innere Sicherheit und Justiz" jedenfalls nichts zu spüren, sieht man davon ab, dass im Zusammenhang mit dem Waffenrecht postuliert wird: "Ein liberaler Rechtsstaat muss seinen Bürgern vertrauen."

Der Autor Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh) ist Akademischer Rat a.Z. sowie Habilitand an der Georg-August-Universität Göttingen. Alle wörtlichen Zitate stammen aus dem Grundsatzprogramm der AfD vom 30.4./1.5.2016.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh), Strafrechtliche Forderungen der AfD: Die Alternative zum Rechtsstaat . In: Legal Tribune Online, 31.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20423/ (abgerufen am: 14.08.2022 )

Infos zum Zitiervorschlag
Das könnte Sie auch interessieren:
  • VG Köln zu Bundesförderung von Stiftungen - Kein Geld für AfD-nahe Stif­tung
  • Tödlicher Überfall auf Wettbüro - Erneut lebens­lang für Hells-Angels-Rocker
  • BGH spricht Frau vom Vorwurf der strafbaren Tötung frei - Tötung mit Insul­in­spritze war straf­lose Bei­hilfe zum Suizid
  • Umgang mit Regierungsdokumenten - FBI durch­sucht Pri­va­t­an­wesen von Donald Trump
  • Cum-Ex-Skandal - Bar­geld­fund bei SPD-Poli­tiker
  • Themen
    • Alternative für Deutschland (AfD)
    • Bundestagswahl
    • Innere Sicherheit
    • Parteien
    • Straftaten
    • Wahlen
TopJOBS
Rechts­an­wäl­tin/Rechts­an­walt (w/m/d) Wirt­schafts­straf­recht

REDEKER SELLNER DAHS , Bonn

Rechts­an­walt (m/w/d) IT-Recht / Da­ten­schutz mit Be­ruf­s­er­fah­rung

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , Köln

Rechts­an­wäl­te (m/w/d) IP & Da­ta & Tech in Düs­sel­dorf

Allen & Overy LLP , Düs­sel­dorf

Rechts­an­wäl­te (m/w/d) im Be­reich Im­mo­bi­li­en­recht

Allen & Overy LLP , Ham­burg

Rechts­an­walt (m/w/d) im Be­reich Ver­trags­recht mit Tech­no­lo­gie­be­zug (auch...

Witzel Erb Backu & Partner , Mün­chen

Rechts­an­walt/ Voll­ju­ris­ten (m/w/d) in Teil­zeit (20-25 Std./Wo.)

hkp legal , Frank­furt am Main

Rechts­an­wäl­te (m/w/d) im Be­reich In­ter­na­tio­na­les Ka­pi­tal­markt­recht

Allen & Overy LLP , Frank­furt am Main

Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter (m/w/d) Ar­beits­recht

FPS Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB , Frank­furt am Main

As­so­cia­te (m/w/d) Cor­po­ra­te | Mer­gers & Ac­qui­si­ti­ons | Pri­va­te Equi­ty ...

Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom LLP , Frank­furt am Main

Rechts­an­walt (m/w/di­vers) für den Be­reich Ar­beits­recht

ESCHE SCHÜMANN COMMICHAU , Ham­burg

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Special Edition: Freshfields IP-Day

07.09.2022, München

Vertragsärztliches Nachbesetzungsverfahren und Eilrechtschutz (2 Std. FAO)

24.08.2022

Lead The Change - Innovative Tools für die Kanzleiarbeit der Zukunft.

24.08.2022, Köln

BtM-Update - Neueste Rechtsprechung

25.08.2022, Bonn

Aktuelles aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Straf- und Strafprozessrecht (4 Std. FAO)

27.08.2022, Köln

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH