Geschlechterquote im Kommunalwahlrecht: Ländle-Grüne wollen Gleichheit staatlich verordnen

von Dr. Sebastian Roßner

21.05.2012

In Baden-Württemberg sollen nach dem Willen der Grünen die kommunalen Parlamente künftig weiblicher und daher alle Kandidatenlisten für die entsprechenden Wahlen zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt werden. Sebastian Roßner über einen verfassungsrechtlich problematischen Plan, der in manchen Fällen genau das Gegenteil von dem erreichen würde, was eigentlich beabsichtigt ist.

Wer beim Stichwort Kommunalpolitik an verrauchte Hinterzimmer denkt, in denen kleine Zirkel älterer Herren das zukünftige Geschick der Gemeinde bestimmen, der irrt sich: Geraucht wird nicht mehr so viel und einige Frauen mischen auch mit. Zu wenige Frauen, meinten die Grünen im baden-württembergischen Landtag und haben bereits 2008 einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, der eine paritätische Besetzung mit Frauen und Männern der Wahlvorschlagslisten vorsah, welche die politischen Parteien für die Kommunalwahlen einreichen.

Diesen Entwurf haben die Grünen jetzt wieder aufgegriffen - mit weitaus besseren Chancen, ihn auch zu verwirklichen, stellen die Grünen doch die größere Fraktion in der grün-roten Regierungskoalition. Aus den Reihen der SPD sind indes vorsichtige Töne zu vernehmen. Man fürchtet dort die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten, die ein so intensiver Eingriff in die Wahlen mit sich bringt. Um derartigen Bedenken zu begegnen, haben die Grünen bei einer Berliner Kanzlei ein Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit ihres Gesetzentwurfs in Auftrag gegeben, das auf 24 Seiten zu dem Ergebnis gelangt, das Vorhaben sei insgesamt verfassungsgemäß.

Ein "Männerplatz" würde alle Kandidatinnen verdrängen

Der begutachtete Gesetzentwurf sieht keine Besetzung der Listen im so genannten Reißverschlussverfahren vor, es müssen also nicht Männer und Frauen abwechselnd die Listenpositionen einnehmen. Das Reißverschlussverfahren wäre in Baden-Württemberg auch nicht besonders sinnvoll, da die dortigen Kommunalparlamente im Verfahren des Panaschierens und Kumulierens gewählt werden. Es gibt also keine starren Listen, die en bloc angekreuzt werden. Vielmehr hat der Wähler hat ebensoviele Stimmen, wie im Wahlkreis Mandate verteilt werden. Diese Stimmen kann er auch über mehrere Listen hinweg frei verteilen. Ebenso ist es möglich, mehrere Stimmen für einen Bewerber abzugeben. Durch dieses Wahlverfahren verliert die Listenposition des einzelnen Kandidaten also erheblich an Bedeutung.

Die geplante zwingende Quotierung der Wahlvorschlagslisten greift ein in die Wahlgrundsätze und in die Parteienfreiheit. Von den Wahlgrundsätzen, die von Art. 28 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG) und Art. 72 Abs. 1 Landesverfassung Baden-Württemberg (LV BW) garantiert werden, sind die Freiheit und die Gleichheit der Wahl einschlägig.

Zur Freiheit der Wahl gehört auch die freie Aufstellung der Kandidaten, und zwar unter Beteiligung der Mitglieder einer Partei. Durch das geplante Paritätsgebot wird den Mitgliedern aber die Möglichkeit genommen, ein beliebiges Geschlechterverhältnis unter ihren Kandidaten zu wählen.

Die Gleichheit des passiven Wahlrechts wiederum sichert auch die Chancengleichheit aller Bewerber bei der parteiinternen Aufstellung zum Kandidaten. Wenn Wahllisten paritätisch besetzt werden müssen, werden jedoch die Erfolgschancen der Angehörigen desjenigen Geschlechts herabgesetzt, das unter den Bewerbern stärker repräsentiert ist. Ein Paritätsgebot macht nämlich in bestimmten Situationen das Kriterium des Geschlechts dominant: Steht etwa nur noch ein "Männerplatz" auf der Liste zur Verfügung, verdrängt ein Mann allein deshalb alle Kandidatinnen. Dies gilt auch dann, wenn nach Ansicht der Parteimitglieder eine oder mehrere Frauen besser für den Posten als Kandidat geeignet sind.

Aus diesem Grund ist auch die Freiheit der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG tangiert. Sie sichert nämlich die Betätigung der Parteien gegen Beeinflussung und Steuerung durch den Staat ab. Kandidaten für staatliche Wahlen aufzustellen, ist für Parteien eine zentrale Aufgabe, die durch eine Quotierung der Listen stark beeinflusst werden kann. Ein Verzicht auf das Reißverschlussverfahren bei der Listenbesetzung schwächt diesen Eingriff allerdings etwas ab, da zumindest nicht jeder einzelne Listenplatz an ein bestimmtes Geschlecht gebunden ist. Vielmehr muss nur das Gesamtverhältnis zwischen Frauen und Männern ausgeglichen sein.

Für die Wähler können andere Argumente wichtiger sein als das Geschlecht

Wie lassen sich diese Eingriffe in zentrale Bestimmungen der Verfassung begründen? Oft wird in diesem Zusammenhang auf das Vorbild Frankreichs verwiesen. Dort ist im Jahr 2000 ein Gesetz verabschiedet worden, das ebenfalls eine paritätische Geschlechterverteilung unter den Kandidaten für die meisten staatlichen Wahlämter anstrebt. Allerdings wird von den deutschen Protagonisten der parité bisweilen verschwiegen, dass die französische Regelung eben keine zwingende Quotierung beinhaltet, sondern diejenigen Parteien, die keinen paritätisch besetzten Kandidatenpool vorweisen können, lediglich in Bezug auf die staatliche Finanzierung schlechter stellt. Die baden-württembergischen Pläne einer Quotierung zielen hingegen auf die Ungültigkeit von eingereichten, aber nicht-paritätisch besetzten Wahllisten, greifen also ungleich härter ein.

Immerhin können die Süd-West-Grünen für ihr Vorhaben auf Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG verweisen. Danach wirkt der Staat auf die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern hin. Diese Norm wirkt als Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Regelungen, die auf die Beseitigung faktischer Ungleichheiten zielen - etwa diejenigen Normen, die für Einstellungen im öffentlichen Dienst bei gleicher Qualifikation der Bewerber anordnen, dass Frauen bevorzugt einzustellen sind.

Alle derartigen Maßnahmen stehen allerdings im gesetzgeberischen Ermessen der zuständigen Parlamente, die eine bestimmte gesellschaftliche Situation bewerten und dann über geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der erkannten Ungleichheiten entscheiden müssen. Mit anderen Worten: Die Parlamente müssen sich Gedanken über Gleichbehandlungsdefizite machen. Es handelt sich aber bei der Entscheidung, ob der Staat handeln muss und welches Mittel zu ergreifen ist, letztlich um eine politische Wertung der jeweiligen Mehrheit, die häufig rechtmäßigerweise auch anders hätte ausfallen können.

Die Wahlrechtsgrundsätze und die Parteienfreiheit sollen jedoch dafür sorgen, dass der Wille des Volkes, das die Souveränität besitzt, im Staat und insbesondere in den Parlamenten abgebildet wird. Sie schützen deshalb den Prozess der politischen Willensbildung des Volkes vor allen staatlichen Eingriffen, die nicht geboten sind, um diesen Prozess selbst oder die Funktionsfähigkeit der gewählten Organe zu schützen. So soll etwa die Festlegung eines Mindestalters für die Ausübung des aktiven Wahlrechts gewährleisten, dass nur solche Personen wählen dürfen, die sich selbständig politische Ansichten bilden können. Es geht also um eine Voraussetzung der Ausübung des freien Wahlrechts. Die für die Land- und Bundestagswahlen geltenden Fünf-Prozent-Hürden wiederum sollen die Parlamente vor einer übermäßigen Zersplitterung schützen, die ihre Funktionsfähigkeit beeinträchtigen würde.

Die Quotierung der Wahlvorschlagslisten passt kaum in diese Reihe zulässiger staatlicher Regulierungen der Wahlen. Sie trägt nicht zu einer Sicherung der Parlamente vor Funktionsstörungen bei. Sie dient auch nicht dazu, die Parlamente nach dem Willen der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger zu bestücken, für die vielleicht das Geschlecht der Kandidaten weit weniger wichtig ist, als eine bestimmte politische Überzeugung oder eine bestimmte Sachkompetenz. Angesichts dessen steht die ins Auge gefasste Neuregelung des baden-württembergischen Kommunalwahlrechts verfassungsrechtlich auf schwachen Beinen.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Geschlechterquote im Kommunalwahlrecht: Ländle-Grüne wollen Gleichheit staatlich verordnen . In: Legal Tribune Online, 21.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6234/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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