Verbraucher "empowern" und Green Claims regulieren: Wie die EU Gre­en­was­hing bekämpfen will

Gastbeitrag von Lara Grünberg

30.12.2024

Neue EU-Richtlinien sollen irreführende umweltbezogene Werbung eindämmen: keine irrelevanten und substanzlosen Behauptungen mehr, keine Erfindung eigener Nachhaltigkeitslabels. Ein geplantes Instrument überrascht, analysiert Lara Grünberg.

Umfragen zufolge gewinnt für Verbraucher die Umweltverträglichkeit ihrer Konsumentscheidungen zunehmend an Bedeutung. Produkte als "klima-" oder "umweltneutral", "nachhaltig", "recyclebar" oder "kompostierbar" zu bewerben, kann daher den Verkauf fördern. Doch die genaue Bedeutung der Werbeversprechen, die auf Englisch "Claims" – "Behauptungen" – genannt werden, bleibt häufig unklar. In der Werbung selbst wird selten dargelegt, welche Tatsachen den Claim stützen. Diese Intransparenz führt häufig zu Fehlvorstellungen bei den Adressaten. Das zeigt auch eine Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2020, wonach 53 Prozent der untersuchten Umweltaussagen vage, irreführend oder unfundiert und 40 Prozent gar nicht belegt gewesen seien.

Spiegelbildlich zu dieser Entwicklung befassen sich deutsche Gerichte zunehmend mit der rechtlichen Prüfung umweltbezogener Werbeaussagen. Grundlage hierfür ist das Lauterkeitsrecht, insbesondere §§ 5 und 5a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb. Diese Bestimmungen setzen die Teile der Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL) um und verbieten irreführende Werbung sowie das Vorenthalten wesentlicher Informationen in Werbung. Besonders der Claim "Klimaneutralität" ist immer wieder Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzungen: Müssen Verbraucher darüber informiert werden, dass die Klimaneutralität (auch) durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird?

Der BGH stellte im Juni dieses Jahres in einer Grundsatzentscheidung fest: Die Aussage "Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral" kann von Verbrauchern sowohl als Hinweis auf eine Reduktion von Emissionen im Produktionsprozess als auch als Verweis auf deren Kompensation verstanden werden. Mehrdeutige Umweltaussagen wie diese müssten wegen der besonderen Bedeutung der Umweltverträglichkeit von Produkten für Verbraucher bereits in der Werbung selbst klar und eindeutig erläutert werden, um Irreführungen zu vermeiden (Urt. v. 27.6.2924, Az I ZR 98/23); LTO berichtete.

Um Verbraucher vor irreführender Umweltwerbung zu schützen und durch das neu gewonnene Vertrauen in "grüne" Werbung ihre Bereitschaft zu umweltfreundlichen Konsumentscheidungen zu erhöhen, führt die EU im Rahmen ihres Green Deal zwei neue Rechtsakte gegen Greenwashing ein.

Weg mit "kunststofffreiem Papier"

Die am 26. März 2024 in Kraft getretene "Empowering-Consumers-Richtlinie" (EmpCo) soll die lauterkeitsrechtlichen Regeln über unzulässige Werbepraktiken aus der UGP-RL speziell für Umweltaussagen und -siegel konkretisieren. Die Vorgaben müssen bis Ende März 2027 von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Dazu gehört die Konkretisierung des allgemeinen Irreführungsverbots. So heißt es in der neuen Fassung von Art. 6 Abs. 1 lit. b der UGP-RL: "Eine geschäftliche Handlungen ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben enthält über […], die ökologischen und sozialen Auswirkungen eines Produkts oder einer Dienstleistung sowie Zirkularitätsaspekte wie Haltbarkeit, Reparierbarkeit oder Recyclingfähigkeit." 

Nicht geworben werden darf außerdem mit aus Sicht eines Durchschnittverbrauchers irrelevanten Vorteilen, die sich nicht unmittelbar aus den Merkmalen des Produkts ergeben und Verbraucher fälschlicherweise annehmen lassen, das Produkt sei umweltverträglicher als andere Produkte derselben Art. Wer beispielsweise im Schreibwarenladen "kunststofffreies Schreibpapier" kauft, erwartet ein besonders nachhaltiges Produkt. Dabei ist Schreibpapier grundsätzlich kunststofffrei.

Zudem müssen Klimaversprechen wie "Klimaneutral bis 2030" künftig klar begründet sein. Solche Claims erfordern einen detaillierten Umsetzungsplan mit messbaren, zeitgebundenen Zielen und regelmäßiger Überprüfung durch unabhängige Sachverständige. Die Ergebnisse sowie der Plan müssen öffentlich einsehbar und im Zusammenhang mit der Umweltaussage, etwa über QR-Codes auf der Produktverpackung, dargestellt werden.

Unternehmen dürfen sich keine eigenen Nachhaltigkeitssiegel ausdenken

Ergänzt wird außerdem die im Anhang der UGP-RL enthaltene "schwarze Liste" per se verbotener, unlauterer Geschäftspraktiken. Einzelfallprüfungen durch die Gerichte finden hier nicht statt. Auf der Liste stehen nun Claims wie "klimaneutral" oder "CO2-neutral", wenn sie auf Kompensationsmaßnahmen wie dem Kauf von CO2-Zertifikaten beruhen. Nur dann, wenn das Produkt über den gesamten Lebenszyklus hinweg – von der Produktion über die Nutzung und die Entsorgung – tatsächlich CO2-neutral ist, sind Aussagen hinsichtlich der Treibhausgasemissionen, wonach ein Produkt neutrale, verringerte oder positive Umweltauswirkungen hat, zulässig. 

Verboten sind zudem Nachhaltigkeitssiegel, wenn sie nicht nach einem von einer amtlich akkreditierten Prüfstelle überwachten Zertifizierungssystem oder nach staatlichen Vorgaben verliehen werden. Das heißt: Unternehmen dürfen sich keine eigenen Siegel ausdenken, selbst wenn sie die dafür selbst entwickelten Kriterien erfüllen.

Auch allgemeine Umweltaussagen wie "energieeffizient produziert" oder "biologisch abbaubare Verpackung" sind unzulässig, sofern sie nicht durch eine nachweisbare, außergewöhnliche Umweltleistung belegt sind. Eine außergewöhnliche Umweltleistung kann durch die Einhaltung bestimmter EU-Verordnungen, staatlich anerkannter Umweltkennzeichnungssysteme oder bestimmter Umweltstandards, wie etwa Energieeffizienzklasse A, nachgewiesen werden. Von dem Verbot ausgenommen sind aber Aussagen, die auf demselben Medium klar spezifiziert werden, etwa im gleichen Werbespot oder auf der Verpackung. So gilt "klimafreundliche Verpackungen" als unzulässige allgemeine Aussage, während "100 Prozent der Energie für diese Verpackung stammen aus erneuerbaren Quellen" ausreichend konkret wäre. 

Schließlich dürfen Umweltaussagen, die nur auf einzelne Bestandteile zutreffen, nicht zur Werbung für das gesamte Produkt oder gar die gesamte Gewerbetätigkeit verwendet werden.

Umweltwerbung muss auf wissenschaftlicher Grundlage basieren

Die Anforderungen an Umweltaussagen in Textform oder auf Umweltsiegeln sollen mit der geplanten Green-Claims-Richtlinie (GCD) weiter verschärft werden. Über den Entwurf verhandeln Parlament, Rat und Kommission voraussichtlich im Januar 2025.

Daraus ergeben sich für die werbenden Unternehmen interne Substantiierungs- und externe Informationspflichten gegenüber Verbrauchern: Umweltaussagen dürfen sich künftig nur noch auf Umweltleistungen beziehen, die von den Unternehmen auf Basis internationaler Standards wissenschaftlich belegt und als "erheblich" identifiziert werden konnten. Was "Erheblichkeit" bedeutet, ist nicht definiert. Anschließend müssen die Unternehmen unter anderem die wissenschaftlichen Grundlage der Überprüfung und ihre Ergebnisse physisch oder digital, etwa über einen auf der Verpackung angebrachten QR-Code, Verbrauchern zur Verfügung stellen.

Zur Durchsetzung dieser Vorgaben schlägt die Kommission ein ungewöhnliches System aus Ex-ante- und Ex-post-Maßnahmen vor.

Sowohl die Begründung der Umweltaussage als auch die Bereitstellung der erforderlichen Informationen gegenüber Verbrauchern müssen vor ihrer Verwendung durch eine amtlich akkreditierte Stelle überprüft werden. Die gleichen Stellen überprüfen auch die Zertifizierungssysteme, nach denen Umweltsiegel vergeben werden. Die Kosten für die Prüfungsleistungen tragen die Unternehmen selbst. Unklar ist, ob die Systeminhaber oder die das Siegel verwendenden Unternehmen für die Vereinbarkeit des Zertifizierungssystems mit den Vorgaben der GCD verantwortlich sind. Offen lässt der Entwurf außerdem, nach welchen Maßstäben und Verfahren die Zertifizierung im Einzelnen erfolgen soll. Die Einzelheiten sollen die Mitgliedsstaaten regeln.

Bei erfolgreicher Prüfung erhalten die Unternehmen eine international anerkannte Konformitätsbescheinigung. Ohne diese Bescheinigung sind die entsprechenden Werbeaussagen untersagt. Verstoßen Unternehmen gegen diese Vorgaben, kann die zuständige Aufsichtsbehörde Maßnahmen ergreifen. Es sind Bußgelder von bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes im jeweiligen Mitgliedstaat möglich.

Eine überraschende Wendung

Allerdings stellt der Entwurf klar, dass die Konformitätsbescheinigung keine Aussage über die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit der Werbung trifft. Das bedeutet: Wenn die Vorgaben der GCD eingehalten werden, die Werbeaussagen aber dennoch irreführend sind, müssen Unternehmen trotzdem Sanktionen wie Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen sowie empfindliche Bußgelder fürchten.

Der Vorteil dieses Durchsetzungssystems liegt auf der Hand. Anders als bisher muss nicht erst ein jahrelanger Rechtsstreit mit der Prüfung umfassender Nachweise für die Umweltaussage vor einem Gericht abgeschlossen werden, um unzulässige Claims aus dem Verkehr zu ziehen. Stattdessen soll die Vorab-Substantiierung und -Zertifizierung dafür sorgen, dass fragwürdige Aussagen gar nicht erst auf den Markt gelangen bzw. bei fehlender Zertifizierung allein aufgrund dessen untersagt werden können.

Gleichzeitig ist die Einführung der Ex-ante-Zertifizierung wahrscheinlich eine der größten Überraschungen der Reform: Noch in der Folgenabschätzung zur EmpCo, auf die sich die Kommission beim Entwurf der GCD maßgeblich stützt, wurde eine behördliche Vorabprüfung (anstatt einer von akkreditierten Stellen durchgeführten Vorabprüfung) pauschal verworfen. Ihr Nutzen stehe außer Verhältnis zu den Kosten, so das Argument. Auf welcher Grundlage die Kommission ihre Einschätzung hierzu geändert hat, lässt sich der Entwurfsbegründung nicht entnehmen. Es wird daher spannend sein zu beobachten, ob die Vorab-Zertifizierung im Kampf gegen Greenwashing Effizienzvorteile gegenüber der nachträglichen Kontrolle der Claims durch Behörden und Gerichte birgt.

Lara Grünberg ist Rechtsanwältin bei CMS in Köln. Sie begleitet Unternehmen bei der rechtssicheren Ausgestaltung innovativer digitaler Geschäftsmodelle und berät bei der Erstellung von Werbekonzepten und Marketingmaßnahmen, insbesondere im Zusammenhang mit umweltbezogenen Werbeaussagen zur Vermeidung von Greenwashing.

Zitiervorschlag

Verbraucher "empowern" und Green Claims regulieren: . In: Legal Tribune Online, 30.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56189 (abgerufen am: 14.01.2025 )

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