In der Diskussion um Street View kommen die Fans des Google Dienstes selten zu Wort. So können zum Beispiel Vermieter Interesse haben, ihre Immobilie im Netz zu präsentieren, um Interessenten leerstehende Wohnungen schmackhaft zu machen. Wessen Interessen aber gehen vor, wenn bereits vorhandene Mieter die Verpixelung beantragen?
Die Tiefgaragenzufahrt des Hauptquartiers von Scotland Yard in London wird von einem Mann in leuchtend gelber Jacke bewacht und ja, im Bois de Bologne stehen immer noch die leichten Mädchen und warten auf Kundschaft.
Wer diese oder andere Details aus internationalen Großstädten erfahren möchte, muss seit kurzem nicht mehr das heimische Wohnzimmer verlassen. Mithilfe von Street View, einer Erfindung des Internetkonzerns Google, kann er aus der Perspektive eines Fußgängers Straßenzüge abschreiten und in die Vorgärten anderer Menschen schauen – ganz anonym natürlich.
Die Seite läuft wie geschnitten Brot. Die vielen Klicks locken Werbekunden an, Google hat eine weitere lukrative Einnahmequelle erschlossen. Bedenken gegen diese jederzeit abrufbare Zurschaustellung von Häusern, Straßen, Parks, von Bushaltestellen und U-Bahn-Eingängen, von Menschen, die gerade einen Sex-Shop verlassen oder oben-ohne in der Sonne liegen, gab es in anderen Ländern bislang kaum. Ob in den USA oder England, in Frankreich oder Holland – abgesehen vom Protest einzelner Bürger, die sich in ihrer Privatsphäre gestört sahen, hat Street View keine großen Wellen geschlagen.
Anders in Deutschland: Datenschützer laufen Sturm, Hauseigentümer wollen Google verbieten, ihre Immobilien ins Netz zu stellen. Und so räumt Google nun Eigentümern und Mietern die Möglichkeit des Widerspruchs gegen die Veröffentlichung des Hauses ein.
Aber was, wenn sich Eigentümer und Mieter uneins über die Veröffentlichung bei Google Street View sind? Etwa weil der Eigentümer die Veröffentlichung seiner Häuserfassade begrüßt, um potentiellen Mietinteressenten anzulocken, der Mieter aber die Veröffentlichung verhindern möchte, da nicht alle Welt sehen soll, wie und mit wem er zum Zeitpunk der Aufnahme auf seinem Balkon gesessen hat. Denn auch wenn Gesichter gepixelt werden, Zuordnungen sind ein Leichtes.
Ein Widerspruch pro Haus lässt Google handeln
Laut Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wird bei einem von mehreren Parteien bewohnten Haus das Gebäude unkenntlich gemacht, sobald eine Partei Widerspruch gegen die Veröffentlichung einlegt – unabhängig davon, ob es sich dabei um den Eigentümer oder Mieter des Wohnhauses handelt. Befinden sich neben den Wohnungen allerdings noch Ladenlokale in dem Gebäude, ist vorgesehen, das Gebäude mit Ausnahme des Ladenlokals unkenntlich zu machen.
Müsste nicht aber der Eigentümer über die Veröffentlichung seines Eigentums selbst entscheiden können? Ist ihm doch sein Eigentum nach Art. 14 GG verfassungsrechtlich garantiert.
Diesem Eigentumsgrundrecht steht in diesem Fall das Persönlichkeitsrecht des Mieters gegenüber, dessen Schutz aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet und damit ebenfalls garantiert wird. Insoweit wäre also eine Abwägung dieser beiden Grundrechte im Hinblick auf eine Veröffentlichung der Häuser von Google Street View vorzunehmen, um das Problem der Grundrechtskollision zu lösen.
Die Aufgabe des Persönlichkeitsrechts ist es, die mit der Menschenwürdegarantie des Art 1 Abs 1 GG eng verbundene Persönlichkeitssphäre – und somit die Grundbedingungen der Menschenwürde – zu gewährleisten.
Dem Persönlichkeitsrecht immanent ist der Schutz der Privatsphäre. Hiervon erfasst ist nicht erst der Bereich im Inneren einer Wohnung oder eines Hauses: Das Landgericht Hamburg hat bereits mit Urteil vom 27.09.1996 (324 O 292/96 – nicht veröffentlicht) festgestellt, dass auch der Garten in den Bereich der Privatsphäre fällt. Zudem hat auch der Bundesgerichtshof schon 1995 in der Caroline von Monaco-III-Entscheidung entschieden, dass die Privatsphäre nicht auf die eigenen vier Wände beschränkt ist, sondern der Schutz auch dann besteht, wenn eine Person sich in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hat, objektiv erkennbar für sich allein sein möchte und sich in der konkreten Situation im Vertrauen auf Abgeschiedenheit so verhält, wie er es in der Öffentlichkeit nicht tun würde.
Persönlichkeitsrecht vs. Eigentumsgrundrecht
Eine weitere Ausprägung des Persönlichkeitsrechts ist das Recht am eigenen Bild gem. § 22 KUG. Danach dürfen Abbildungen von Personen nur mit Einwilligung der Abgebildeten veröffentlicht oder zur Schau gestellt werden. Laut Bundesgerichtshof setzt der Bildnisbegriff allerdings die Erkennbarkeit der Abgebildeten voraus. Google könnte argumentieren, dass durch das Unkenntlichmachen von Gesichtern eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild und damit des Persönlichkeitsrechts nicht vorliegt. Somit würde das Eigentumsrecht des Vermieters überwiegen.
Allerdings reicht es aus, wenn sich die Erkennbarkeit der Personen aus den Umständen ergibt. Dabei verhindern auch ein Augenbalken oder die Verpixelung von Gesichtern die Erkennbarkeit nicht. Denn sobald sich Personen auf dem Grundstück der abgebildeten Gebäude befinden, wird eine Zuordnung aufgrund der Erkennbarkeit der Statur, Haltung etc. zwar nicht für sämtliche Benutzer von Google-Street-View aber doch für einen bestimmten Personenkreis möglich sein.
Und selbst wenn man eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild verneinen sollte, dürfte letztlich trotzdem auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zurück gegriffen werden können. Denn auch wenn die Erkennbarkeit der Personen nicht gegeben ist, dürfte eine Zuordnung aufgrund der medialen Möglichkeiten ein Leichtes sein: Einfach die anhand der über Google-Street-View gesuchten/gefundenen Adresse bei der ebenfalls von Google angebotenen Suchmaschine eingeben, und schon erhält der User. den Namen und andere über die abgebildete Person gespeicherten Daten.
Aufgrund des nach Auffassung der Verfasser absolut geringen Informationsinteresses der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung der Abbildungen, müsste dieses auch hinter dem Schutzinteresse der identifizierbaren Abbildung zurücktreten. Denn das Bundesverfassungsgericht hat schon in seinem Volkszählungsurteil entschieden, dass jeder selbst entscheiden dürfe, ob persönliche Lebenssachverhalte an die Öffentlichkeit gebracht werden. Dazu gehört auch die Möglichkeit, sich unbeobachtet im eigenen häuslichen Bereich aufhalten zu können – unabhängig davon, ob man Mieter oder Eigentümer des abzubildenden Gebäudes ist.
Die Frage, ob das eigene Gebäude im Internet voll umfänglich abgebildet wird oder nicht, darf zwar nicht zu einer Einschränkung des verfassungsrechtlich garantierten Eigentums für den Vermieter führen, da dieser im Übrigen nach wie vor mit seinem Eigentum nach seinen Vorstellungen verfahren kann. Dabei ist aber zu bedenken, dass sowohl das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 1460/99) als auch das Bundesverwaltungsgericht (4 CN 1/98) auch dem Mieter ein eigentumskräftiges Besitzrecht zukommen lassen, da dieser in eigentumsähnlicher Weise an einem Grundstück dinglich berechtigt ist, so dass die vorzunehmende Abwägung von Eigentum und Persönlichkeitsrecht wohl zu Lasten des Vermieters gehen muss. Dem Mieter stehen somit beide Schutzrechte zur Seite.
Rechtsanwalt Michael Olfen ist Partner und Julia Beyer, Ass. Jur., freie Mitarbeiterin in der Rechtsanwaltskanzlei Oberwetter & Olfen, Hamburg.
Michael Olfen, Google Street View: . In: Legal Tribune Online, 30.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1311 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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