Mit seiner Suchmaschine nimmt Google wesentlichen Einfluss darauf, welche Inhalte im Internet auffindbar sind. Die EU-Kommission prüft schon seit Jahren, nun wollen auch immer mehr deutsche Stimmen aus Wirtschaft und Politik die Marktmacht des Internetgiganten beschränken. Wie gut sich dafür das Kartellrecht eignet, nach dem nun alle rufen, prüft Boris P. Paal.
Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, rief bereits im Februar auf gegen die "Verdinglichung des Menschen durch den technologischen Totalitarismus". Spätestens der öffentlichkeitswirksame Schlagabtausch zwischen Eric Schmidt, Verwaltungsratschef von Google, Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, und EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia im Feuilleton haben Googles Marktmacht die verdiente Aufmerksamkeit gebracht. Den kartellrechtlichen Rahmen hat die hiermit verbundene öffentliche Diskussion längst gesprengt.
Das EU-Kartellverfahren ist zu einem Instrument in der generellen Auseinandersetzung mit dem Unternehmen Google geworden. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat eine "kartellrechtsähnliche Regulierung" ebenso ins Spiel gebracht wie eine "Entflechtung, wie sie bei Strom- und Gasnetzen durchgesetzt wurde".
Zutreffend haben Almunia und der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt zwar darauf hingewiesen, dass das Kartellrecht nur den Missbrauch marktmächtiger Stellungen, nicht dagegen die Marktmacht als solche sanktionieren kann.
Die Wettbewerbshüter sollten von den ihnen eröffneten Sanktionsmöglichkeiten aber auch konsequent Gebrauch machen, damit das Kartellrecht einen gewichtigen Beitrag erbringen kann. So gilt es, in Kartellverfahren den veränderten Rahmenbedingungen durch eine Aktualisierung der Normanwendungspraxis, insbesondere in Ansehung von mehrseitigen Plattformen mit ihren Netzwerkeffekten, angemessen Rechnung zu tragen.
Europäisches Kartellverfahren dauert an
Die EU-Kommission hat bereits 2010 ein Kartellverfahren in Bezug auf den möglichen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Suchmaschinen- und Werbemarkt gegen Google eingeleitet. Das Verfahren dauert bis heute an, die Bedenken gegen die Praxis des Internetkonzerns sind vielfältig.
Die Kommission wirft dem Unternehmen vor, bezahlte und unbezahlte Suchergebnisse von konkurrierenden spezialisierten bzw. vertikalen Suchdiensten aktiv herabzustufen. Die Ergebnisse von Diensten, welche ihre Suche auf ein ausgewähltes Themengebiet beschränken, würden trotz sachlicher Relevanz zum Beispiel nicht auf der für die Nutzeraufmerksamkeit entscheidenden ersten Seite der Suchergebnisse angezeigt.
Außerdem bevorzuge Google eigene Dienstleistungen, zwinge Inhalteanbieter, das Kopieren ihrer Inhalte zu dulden, schließe Konkurrenten bei Verträgen mit Anzeigenkunden vertraglich aus und verbiete faktisch den Transfer von Anzeigen zu Konkurrenzsuchdiensten.
Googles Vorschläge - und was davon zu halten ist
Im April 2013 hat sich die Aktiengesellschaft mit Sitz in Mountain View im Wege erster Verpflichtungszusagen bereit erklärt, die Suchergebnisanzeige zu modifizieren. Google will vor allem die Verweise auf konkurrierende vertikale Suchmaschinen prominenter darstellen und eigene Angebote bzw. Werbung eindeutiger als solche kennzeichnen. Außerdem will es die Ausschließlichkeitsklauseln aus den Verträgen seiner Werbepartner tilgen.
Ende Januar 2014 legte das Unternehmen eine weitere Nachbesserung auf dem Gebiet der vertikalen Suche vor: So sollen in Zukunft neben eigenen vertikalen Suchdiensten drei konkurrierende Suchmaschinen auf vergleichbare Weise dargestellt werden. Ihre Auswahl soll im Wege von Auktionen erfolgen, deren Erlöse wiederum Google zufließen.
Die EU-Kommission hat insbesondere Konkurrenten, Verbände und Nutzer um Stellungnahmen zu den von Google vorgelegten Kompromissvorschlägen gebeten – der entsprechende Markttest läuft.
Die Umsetzung der aktuellen Vergleichsvorschläge dürfte Googles Position weiter verfestigen. Schließlich werden diskriminierende Ergebnismanipulationen gerade nicht untersagt. Zudem wird bei der Auktion für die Darstellung externer Suchergebnisse die Finanzkraft, nicht aber Leistung oder Verbrauchernutzen den Ausschlag geben. Das droht den Wettbewerb zusätzlich zu verzerren. Insgesamt bleiben die Vergleichsvorschläge hinter den Erwartungen zurück, das Sanktionspotenzial des Kartellrechts wird nicht hinreichend ausgeschöpft.
2/2: Ist Google längst eine wesentliche Infrastruktureinrichtung?
Dem mitunter vor allem aus den Reihen der Politik geäußerten Wunsch nach einer "Suchmaschinenneutralität" ist jedenfalls nicht nachzugeben. Eine absolute Objektivität bei der Reihung von Suchergebnissen ist weder möglich noch wünschenswert. Die Auswahl der für die Ergebnisreihung maßgeblichen Parameter stellt stets eine Wertungsentscheidung dar.
Aus kartellrechtlicher Warte ist vielmehr zu fragen, welche Suchparameter und Einflussnahmen auf die Suchmaschinenergebnisse zulässig sind. Google ist ein vertikal integrierter Suchmaschinenbetreiber. Für das Unternehmen Google Inc., das unter anderem auch Dienste wie GMail, Maps oder Youtube betreibt, besteht ein erheblicher Anreiz, die Suchalgorithmen so zu konfigurieren, dass eigene Inhalte stets auf einem Spitzenplatz gelistet – und somit Konkurrenten diskriminiert – werden.
Kartellrechtlich könnte man die Google-Suchmaschine überdies als wesentliche Infrastruktureinrichtung (essential facility) einstufen. Das betreibende Unternehmen würde seine marktbeherrschende Stellung in diesem Sinne missbräuchlich ausnutzen, sollte es anderen Marktteilnehmern ohne sachlichen Grund keinen angemessenen Zugang zu der Suchmaschine gewähren, vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).
Immerhin haben weder Inhalteanbieter noch Werbetreibende oder Nutzer gegenwärtig eine faktisch tragfähige Alternative zu dem (Quasi-)Monopolisten: Google ist seinen Wettbewerbern auf dem Suchmaschinensektor in den maßgeblichen Wettbewerbsfaktoren wie etwa Daten- und Informationsvolumen, Nutzer-Reichweite und Werbevolumen weit voraus. Zudem sind potenzielle Wechselkosten hoch und es bestehen vielfältige Gewöhnungs- bzw. Lock-In-Effekte.
Ausbeutungsmissbrauch: Nutzung drittproduzierter Inhalte ohne Kompensation
Das Geschäftsmodell von Google könnte auch einen sogenannten Ausbeutungsmissbrauch darstellen. Es beruht vornehmlich auf Verweisen auf bzw. der Verwendung von fremdproduzierten Inhalten und Leistungen. Bei der Wiedergabe verwertet Google diese fremdproduzierten Inhalte und Leistungen, ohne das angemessen zu vergüten bzw. zu kompensieren.
In diesem Sinne läuft etwa das zum Schutze der Presseverleger im Jahr 2013 neu geschaffene Leistungsschutzrecht wegen der Marktmacht von Google nahezu leer, da das Unternehmen mit einer Opt-in-Erklärung die Verleger faktisch zu einem Verzicht auf Lizenzentgelte zwingt.
Die Internetnutzer wiederum greifen ganz grundsätzlich immer seltener unmittelbar auf die Webseiten von Inhalteanbietern zu, weshalb die Werbetreibenden ihre Buchungen zu den Suchmaschinen hin verschieben.
Google hat hierzu angeboten, Inhalteanbietern die Möglichkeit zu geben, die Anzeige ihrer Inhalte in Googles eigenen spezialisierten Diensten zu untersagen, ohne dafür von Google im Suchergebnisranking benachteiligt zu werden. Eigentlich sollte die Nichtdiskriminierung eine Selbstverständlichkeit sein.
Ausschließlichkeitsbindungen und unzulässiger Marktmachttransfer
Zudem wirft die EU-Kommission Google vor, durch Ausschließlichkeitsbindungen konkurrierende Unternehmen auf dem beherrschten Markt oder benachbarten Märkten zu behindern. Der Internetkonzern soll bei Verträgen mit Anzeigenkunden einen vertraglichen Ausschluss von Konkurrenten vereinbart und den Transfer von Anzeigen zu Konkurrenten faktisch verboten haben. Entsprechende Klauseln will das Unternehmen seinen Verpflichtungszusagen zufolge nun aus den Werbeverträgen tilgen.
Ferner rügt die Kommission einen unzulässigen Marktmachttransfer, wo Google eigene Dienste bei der Ergebnisreihung im Suchranking – etwa durch bessere Platzierung oder optische Hervorhebungen – bevorzugt behandelt, um hiervon auf verwandten Märkten zu profitieren.
Das Gefährdungspotenzial der ökonomischen Marktmacht Googles reicht über den freien Wettbewerb weit hinaus. Nicht zuletzt die allumfassende Datensammlung durch die zahlreichen weiteren Dienste und zugekauften Unternehmen, welche unter anderem Drohnen, Rauchmelder, Thermostate und sogar künstliche Intelligenz zur optimierten Datenauswertung entwickeln wollen, werfen ausgreifende ethische, soziale und (rechts-)politische Fragen auf.
Verwiesen sei schließlich auf den Zusammenhang von ökonomischer Marktmacht und publizistischem Einfluss auf die Meinungsbildung. Insgesamt sind mit Blick auf die – nicht nur – den Medienbereich prägenden Entwicklungen der Konvergenz und der Internationalisierung überkommene Denkmuster aufzubrechen, um auch und gerade das Medienkartellrecht für eine Zukunft zu rüsten, die längst begonnen hat. Anzustreben ist hierbei ein integrierter rechtlicher Ordnungsrahmen, der eine umfassende Kontrolle der Konzentration von medieninduzierter Markt- und Meinungsmacht eröffnet.
Der Autor Prof. Dr. Boris P. Paal, M.Jur. (Oxford) ist Direktor des Instituts für Medien- und Informationsrecht, Abt. I: Privatrecht, an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Prof. Dr. Boris P. Paal, M.Jur. (Oxford), Googles Marktmacht: Gefährdet mehr als nur den ökonomischen Wettbewerb . In: Legal Tribune Online, 28.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12110/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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