Auch nach 10 Jahren AGG ist die freie Wirtschaft von Gleichstellung noch weit entfernt. Warum es Frauen in Behörden und Gerichten viel besser geht und wieviel davon Gleichstellungsbeauftragten zu verdanken ist, erklärt Dieter Kugele.
LTO: Zehn Jahre nach seinem Inkrafttreten reden alle über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Über die Änderung des Bundesgleichstellungsgesetzes (BGleiG) im vergangenen Jahr wurde viel weniger diskutiert. Herr Professor Kugele, liegt das vielleicht daran, dass Frauenförderung in den Behörden viel besser läuft als in der freien Wirtschaft?
Kugele: Nur zur Klarstellung: Auch die Behörden sind an das AGG gebunden. Dieses regelt aber Benachteiligungen aus ganz unterschiedlichen Gründen. Für die Behörden und Bundesgerichte und Unternehmen des Bundes gibt es darüber hinaus spezielle Regelungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern, geregelt im BGleiG, für die Behörden der Länder in den jeweiligen Landesgesetzen.
Im Vergleich mit der freien Wirtschaft sind die Bundesbehörden mit großem Abstand sicherlich beispielgebend. Auf der "Arbeitsebene" bis ungefähr A16 ist inzwischen eine gute Gleichstellung erreicht. Bis zur Besoldungsgruppe A15 liegt das Verhältnis zwischen Frauen und Männern nahe bei 50 zu 50. In der Endverwendung A16 gibt es noch ein paar Löcher; aber auch dort sind die Bundesbehörden recht dicht an einer paritätischen Besetzung. Lediglich Führungspositionen ab B3 sind zu höchstens 30 Prozent von Frauen bekleidet.
"Vor allem Vorzeigepositionen mit Frauen besetzt"
LTO: Also täuscht der Eindruck, dass gerade in der Justiz viele Führungspositionen von Frauen bekleidet werden?
Kugele: Der Eindruck täuscht nicht. Gerade in der Justiz werden Repräsentationsposten häufig mit Frauen besetzt, etwa die Leitung von Gerichten. Solche Positionen vermitteln aber bloße Verwaltungskompetenzen und eher wenig Möglichkeiten zu einer darüber hinausgehenden Einflussnahme. Die Gründe, warum nicht andere Spitzenpositionen in der Justiz, etwa als Richterinnen an einem obersten Bundesgericht, häufiger mit Frauen besetzt werden, sind hauptsächlich praktischer Natur. Ein solches Amt bekommt man in der Regel erst ab 45 Jahren angeboten – ein Zeitpunkt, zu dem Kinder noch nicht aus dem Haus und oft auch noch auf die Mutter angewiesen sind. Da ist es sehr schwierig, zu einem nicht selten hunderte von Kilometern entfernten Dienstort zu pendeln. Frauen, die Kinder erziehen und örtlich gebunden, also weniger flexibel sind, sind eher in der Lage, Führungsposten "vor Ort" anzunehmen.
Ähnliches zeigte sich übrigens auch beim Sitzwechsel des Bundesverwaltungsgerichts von Berlin nach Leipzig im Jahr 2002: Viele Mitarbeiterinnen zogen es vor, in Berlin zu bleiben. Das so entstandene Personalproblem hat das Bundesverwaltungsgericht geradezu beispielhaft im Sinne des BGleiG gelöst: Es wurden viele junge Frauen aus der Sächsischen Justiz und Verwaltung übernommen. Das ist aber nur gelungen, weil des BVerwG ein gutes Angebot machen konnte: z. B. familienfreundliche Arbeitszeiten, Zeiterfassung und Gleitzeit. Es hat darüber hinaus Kinderbetreuungsplätze vorgehalten, von Anfang an eine gute Begleitung der Elternzeit angeboten und etwa bei Dienstreisen berücksichtigt, ob eine Frau mit Familien-oder Pflegeaufgaben betraut war.
LTO: Es sind also Ihres Erachtens die bekannten Gründe – wie flexible Arbeitszeiten oder die Sicherheit, auch nach einer sogenannten Babypause wieder in den alten Job zurück zu können -, welche die bessere Gleichstellung im öffentlichen Dienst erklären?
Kugele: Natürlich. Und diese besseren praktischen Umstände im Bundesdienst haben ihre Ursache in entsprechenden Regelungen des BGleiG und damit in einer gesetzlichen Garantie ihrer Durchsetzbarkeit.
Mehr Rechte für Gleichstellungsbeauftragte
LTO: Die Durchsetzung der Ziele des BGleiG ist Aufgabe der Gleichstellungsbeauftragten. Deren Position sollte mit der letzten Änderung des BGleiG im Jahr 2015 noch einmal gestärkt werden. Sie haben gerade Ihren JURION Online-Kommentar zum Bundesgleichstellungsgesetz* aktualisiert. Was hat sich geändert?
Kugele: Die Änderungen sind quantitativ zahlreich. Wenn auch die meisten von ihnen nicht bahnbrechend sind, bringen sie insgesamt doch viel Gutes. Viele bis dahin ungenau formulierte Vorschriften wurden präzisiert – das ist gerade für Gleichstellungsbeauftragte, die in der Regel keine Juristinnen sind, äußerst wichtig. Tatsächlich wird die Position der Gleichstellungbeauftragten durch mehrere Neuerungen gestärkt.
LTO: Bedarf es denn einer Stärkung?
Kugele: Nach ihrer Wahl sitzt eine Gleichstellungsbeauftragte juristisch geschulten Personalreferenten gegenüber, die ihr fachlich nicht selten überlegen sind – und die, wenn sie Interesse daran haben, zum Beispiel eine Position mit einem bestimmten Mann zu besetzen, viele Möglichkeiten besitzen, Vorschriften des Beamten- und Arbeitsrechts zu umgehen. Da gibt es raffinierte Tricks; aber es fängt auch schon bei ganz profanen Dingen an: Was die Gleichstellungsbeauftragte nicht weiß, wird sie nicht verhindern.
Eine insoweit wichtige Klarstellung trifft § 30 Abs. 1 BGleiG in der neuen Fassung: Die Vorschrift stellt klar, dass die Gleichstellungsbeauftragte und die Dienststellenleitung eng zusammen arbeiten müssen. Das ist, wenn man die in der Praxis häufige anzutreffende Zerrüttung dieses Verhältnisses betrachtet, eine wichtige Regelung.
2/2: "Mehr als nur Absichtserklärungen"
LTO: Die Vorschrift klingt aber zunächst einmal eher nach einer nett gemeinten Absichtserklärung . Konnten Sie bei Ihrer anwaltlichen und Vortragstätigkeit im Laufe des vergangenen Jahres seit Inkrafttreten der Änderung schon feststellen, dass die Neuregelungen eine echte Veränderung bewirkt haben?
Kugele: Mein Eindruck ist eher, dass sich die neuen Regelungen in den Personalreferaten noch nicht herumgesprochen haben. Wenn allerdings die Gleichstellungsbeauftragte hartnäckig ihre Aufgabe erfüllt, kann sie schon einiges durchsetzen. So gibt es jetzt besser geregelte operative Vorgaben, etwa in § 27 BGleiG n.F.: Dort werden - sehr übersichtlich formuliert - sämtliche Anlässe und Maßnahmen der Dienststelle aufgeführt, welche die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten zwingend erfordern.
Männerbenachteiligung: Prozessrechtliches Monster, aber leere Sprechblase
LTO: Eine andere Neuregelung kritisieren Sie allerdings: Auch Männer können sich nun bei Auswahlentscheidungen auf das BGleiG berufen.
Kugele: Das Gesetz macht bei Auswahlentscheidungen in § 8 nun auch Männer zum Gegenstand der Sorge der Gleichstellungsbeauftragten. In einer Konkurrenzsituation darf also auch ein gleich qualifizierter Mann, der eine Tätigkeit in einem Bereich ausüben will, in dem Frauen überrepräsentiert sind, sich auf das BGleiG berufen und eine bevorzugte Berücksichtigung verlangen. Das gilt allerdings nur dann, wenn die Unterrepräsentation der Männer eine strukturelle Benachteiligung darstellt.
LTO: Wie sollte ein Mann eine solche strukturelle Benachteiligung nachweisen? Und an welchen Fall dachte der Gesetzgeber dabei überhaupt?
Kugele: Diese Zielerweiterung könnte ein prozessrechtliches Monster geschaffen haben. Anders als bei Frauen, für die es aus den regelmäßigen Gleichstellungsberichten der Bundesregierung bereits verlässliche Zahlen gibt, müssten für die Männer Sachverständigengutachten eingeholt werden und ähnliches. Denn für sie gibt es noch keine Empirie zur strukturellen Benachteiligung.
Das einzig Gute an dieser Ergänzung ist, dass sie – obgleich politisch hoch aufgezäumt - praktisch eine leere Sprechblase ist.
"Männer wollen die Jobs gar nicht"
LTO: Wie meinen Sie das?
Kugele: Für Jobs in den Bereichen, in denen Frauen überrepräsentiert sind - in den neuen Ländern sind das zum Beispiel die Arbeitsagenturen -, melden sich keine Männer. Das gilt jedenfalls im Moment und das weiß man übrigens auch in der Politik, wo man von einem Gesetz ausgeht, das "für die Zukunft gemacht" sei. Juristisch möchte ich eine solche Aussage lieber nicht bewerten.
Hinzu kommt, dass es dann ein demokratisches Defizit gibt: Obwohl Männer sich nun auf eine Benachteiligung berufen könnten, sind sie auf Bundesebene – anders als in vielen Bundesländern – immer noch nicht aktiv wahlberechtigt bei der Wahl zur Gleichstellungsbeauftragten.
LTO: Wenn ich Sie recht verstehe, schadet diese eher politisch als praktisch bedeutsame Änderung aber auch erst einmal nicht weiter. Insgesamt also bewerten Sie die neue Fassung positiv?
Kugele: Die Änderungen aus dem Jahr 2015 sind ein Fortschritt, der sich auswirken wird, wenn der Gesetzesauftrag erfüllt wird - wenn also die Führungskräfte und die Personalverantwortlichen ihre Fortbildungspflicht erfüllen und auch wissen, was neu ist und was sie tun müssen. Das BGleiG ergibt ein zunehmend stimmiges Gesamtbild. Wenn es nun in der Praxis hapert, dann liegt es am Vollzug, nicht am Gesetz.
LTO: Herr Professor Kugele, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Prof. Dr. Dieter Kugele war von 1992 bis 2009 Richter am Bundesverwaltungsgericht. Nach seiner Pensionierung wurde er Anwalt mit Sitz in München und hat noch immer seinen Lehrauftrag am Institut der Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Schwerpunkt seiner Vortrags- und wissenschaftlichen Tätigkeit ist das Öffentliche Recht, darunter auch das Beamten- und das Gleichstellungsrecht. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Online-Kommentare, unter anderem seit 2006 des soeben aktualisierten JURION Online-Kommentars zum Bundesgleichgestellungsgesetz.
*Das Werk erscheint beim Luchterhand Fachverlag, der wie LTO zu Wolters Kluwer gehört.
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Pia Lorenz, Ex-BVerwRichter zur Gleichstellung in Behörden: "Die Jobs, in denen sie benachteiligt sind, wollen Männer gar nicht" . In: Legal Tribune Online, 23.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20348/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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