Rechtskräftig verurteilt, weil er aus einem Beschwerdebeschluss zwei Teilsätze wörtlich zitierte. Die Strafnorm, die das möglich macht, landet nun zum dritten Mal beim BVerfG. Im konkreten Fall sind die Erfolgsaussichten durchaus gut.
Als Staatsanwalt liest man über den eigenen Fall nur ungern in der Presse von einer "Niederlage für die Staatsanwaltschaft". Es kommt aber eben vor, dass ein Landgericht einen Durchsuchungsbeschluss mangels Anfangsverdachts nachträglich für rechtswidrig erklärt, aufhebt, und Journalisten darüber berichten, weil das Verfahren an sich oder das Verhalten der Justiz von öffentlichem Interesse ist. Dass er nur seinen Job macht, dachte auch t-online-Investigativjournalist Carsten Janz, der im Dezember 2023 über eine solche "Niederlage" der Hamburger Staatsanwaltschaft bei Ermittlungen wegen eines Amoklaufs aus dem Frühjahr 2023 berichtete.
Dass Janz für den Artikel später selbst in Hamburg ein Strafverfahren am Hals hatte, habe sich wie ein "Einschüchterungsversuch" angefühlt, sagte er gegenüber der SZ. Das Vorgehen war nach Auffassung der Hamburger Strafgerichte aber vom Recht gedeckt: Janz wurde wegen § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Danach macht sich strafbar, wer die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens im Wortlaut veröffentlicht, bevor sie in die öffentliche Hauptverhandlung eingeführt oder das Verfahren beendet worden ist. Es genügt die Wiedergabe "in wesentlichen Teilen". Außer diesem Wesentlichkeitsmerkmal lässt die Vorschrift keinen Spielraum für Abwägungen. Hinzu kommt die Unsicherheit: Was sind "wesentliche" Teile? Und sollten Journalisten nicht gerade "Wesentliches" detailgetreu berichten dürfen?
Weil der Sinn eines solchen strikten Verbotes nicht unbedingt einleuchtet, lag die Strafnorm schon zweimal beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung, 1985 und zuletzt 2014. Beide Male erteilte Karlsruhe seinen Segen. Janz versucht es nun ein drittes Mal: Am Freitag legte er Verfassungsbeschwerde ein. Das teilte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) mit, die das Verfahren unterstützt. Der LTO vorliegende Schriftsatz rügt eine Verletzung der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit und des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Gute Chancen im konkreten Fall
Unterzeichnet ist er von den Rechtsanwälten Dr. Frédéric Schneider und Dr. Sebastian Seel von der Kanzlei Schneider Mick. Die haben Janz auch schon vor dem LG Hamburg vertreten, über das Berufungsurteil vom März 2025 hatte LTO berichtet.
Die Anwälte hätten sich auf die Begründung beschränken können, warum Janz' Verurteilung durch die Hamburger Strafgerichte im konkreten Fall seine Grundrechte verletzten. Die Karlsruher Richter hiervon zu überzeugen, ist alles andere als unmöglich. Immerhin hat Janz aus dem Beschwerdebeschluss des LG Hamburg, mit dem dieses die Durchsuchung im Ausgangsfall für unrechtmäßig erklärt hat, nur zwei Teilsätze zitiert. Die waren auch noch inhaltsgleich, wörtlich zitiert wurde also nur eine einzige Information: dass das Gericht keinen Anfangsverdacht einer Straftat gesehen hat, weil das Verhalten des Beschuldigten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafbar sei. In dem Fall wird man wohl argumentieren können, dass es sich bei einem solchen Teilsatz nicht um eine wörtliche Wiedergabe "in wesentlichen Teilen" handelt.
Dass alle drei Instanzgerichte diese Ausfahrt nicht genommen haben, um in einem solchen Fall den Grundrechten des Journalisten höheres Gewicht einzuräumen, könnte das BVerfG beanstanden. Ein Erfolg von Janz in Karlsruhe ist daher nicht unwahrscheinlich. Ihm und der GFF geht es aber um mehr: Sie wollen die umstrittene Strafnorm zu Fall bringen. 76 von 184 Seiten widmet der Schriftsatz der Begründung, warum § 353d Nr. 3 StGB – und nicht bloß dessen Anwendung in Janz' Einzelfall – verfassungswidrig ist.
Hauptargument ist, dass der Tatbestand keine Abwägung mit der Pressefreiheit und dem Interesse der Allgeheinheit an einer möglichst genauen Berichterstattung, sondern ihr Schutzzweck absolut ist. Damit genüge die Vorschrift auch nicht den Anforderungen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2011 zu einer ähnlichen Strafnorm aus Portugal formuliert hat. Das Problem nur: Das BVerfG hat § 353d Nr. 3 StGB schon zweimal, zuletzt 2014, also nach dem Urteil des EGMR, nicht nur nicht beanstandet, sondern vielmehr dessen Schutzzwecke bekräftigt.
BVerfG billigte die Strafnorm in den Jahren 1985 und 2014
Schon in seiner ersten Entscheidung zu § 353d Nr. 3 StGB hielt der Erste Senat 1985 im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle (Az. 1 BvL 15/84) fest, dass die Norm mehrere Schutzzwecke hat. Einerseits gehe es um den Schutz der Persönlichkeitsrechte desjenigen, gegen den das Ermittlungsverfahren im Ausgangsfall geführt wird. Andererseits um die Unschuldsvermutung und den Schutz der Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten, insbesondere der Richter und Schöffen. Im konkreten Fall kam es aber nur auf Ersteres an, denn hier war die Presseberichterstattung ohne den erklärten Willen des Beschuldigten erfolgt.
Anders die Konstellation 2014: Hier hatte derjenige, gegen den das Strafverfahren geführt wird, über seinen eigenen Fall mit wörtlichen Zitaten berichtet. Dass er dafür strafrechtlich verurteilt worden war, beanstandete der Zweite Senat nicht. Er musste dafür den zweiten Teil des Schutzzwecks, den Schutz der Unbefangenheit der Richter und Schöffen, in den Vordergrund rücken (Az. 2 BvR 429/12). Da der Beschuldigte kein Journalist war, sondern Details in eigener Sache öffentlich machte, maß das Gericht § 353d und seine Anwendung hier nur an der Meinungs-, nicht aber der Pressefreiheit. Und daher spielte auch das Urteil des EGMR keine Rolle, obwohl es bereits 2011 ergangen war.
Der EGMR hatte es damals als Verstoß gegen die Pressefreiheit gewertet, dass eine portugiesische Journalistin wegen frühzeitiger Veröffentlichung einer Anklageschrift verurteilt worden war, ohne dass im Einzelfall eine Abwägung stattgefunden hatte (Urt. v. 28.06.2011, Az. 28439/08). Der EGMR hat zugleich Kriterien entwickelt, die bei der Abwägung zu berücksichtigen sind. Darunter etwa, ob der Berichtende legal oder illegal an das Dokument gekommen ist, ob ihm das Verbot wörtlicher Zitate bekannt ist, ob die Berichterstattung einen Beitrag zu einer politischen Diskussion von allgemeinem Interesse leistet, welche Qualität die Berichterstattung hat. Auch muss laut EGMR Beachtung finden, dass die Verwendung wörtlicher Zitate journalistischen Standards entspricht und Authentizität signalisiert.
Die Norm, die keine Abwägung zulässt
Dass deutsche Gerichte diese Kriterien irgendwie berücksichtigen müssen, hat sich inzwischen etabliert. Nur wo? Der Wortlaut des Tatbestands lässt außerhalb des Merkmals "in wesentlichen Teilen" keine Abwägung zu. Daher scheint die Tendenz zu sein, sie erst auf der Rechtsfolgenseite zu berücksichtigen. Da geht es dann aber nur noch um die Frage, wie hoch die Strafe ausfällt; ein Ausweg aus der Strafbarkeit ist dann nicht möglich.
So geschah es etwa im Fall des FragDenStaat-Gründers Arne Semsrott. Der Aktivist hatte kritisch über Durchsuchungen bei der "Letzten Generation" berichtet und die entsprechenden Gerichtsbeschlüsse dabei im Gegensatz zu LTO vollständig im Wortlaut veröffentlicht. Er wollte damit offenbar seine eigene Strafverfolgung provozieren, um § 353d Nr. 3 StGB erneut vor das BVerfG zu bringen. Semsrotts Antrag auf Vorlage ans BVerfG lehnte das LG Berlin I im Oktober 2024 aber ab. Stattdessen sprach es Semsrott stattdessen schuldig, verhängte allerdings keine Strafe, sondern nur eine Verwarnung.
Auch der BGH schielt zum BVerfG
Solche Rechtsfolgenlösungen entsprächen nicht dem Ansinnen des EGMR, argumentieren Janz' Anwälte. Die Abwägungskriterien müssten schon auf Tatbestandsebene Berücksichtigung finden – ebendort ist § 353d Nr. 3 aber strikt. "Die Norm berücksichtigt schon im Ausgangspunkt nicht den besonderen Rang der Pressefreiheit. Sie differenziert auf Tatbestandsebene nicht nach unterschiedlichen Tätern und Veröffentlichungszwecken", schreiben die Anwälte. Ihre Schlussfolgerung: § 353d Nr. 3 StGB verstößt gegen Art. 10 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention und deshalb auch gegen Art. 5 Abs. 1 GG. Zudem sei die Vorschrift zu unbestimmt.
Ob sich das BVerfG auf diese Argumente einlassen wird, ist offen. Es könnte die Grundfrage für geklärt halten. So hatte es auch 2014 eben schon entschieden, dass § 353d Nr. 3 StGB auf einer Abwägung beruhe. Ausprägung sei, dass das Zitatverbot zeitlich bis zur Erörterung des Schriftstücks in der strafrechtlichen Hauptverhandlung und inhaltlich auf wörtliche Zitate beschränkt sei. Indirekte Zitate seien zumutbar, auch wenn sie bei der Leserschaft nicht "den Anschein amtlicher Authentizität" erweckten.
Befasst sich das BVerfG ausschließlich mit der Rechtsanwendung in Janz' Einzelfall, wäre allerdings zu hoffen, dass das Gericht klare Vorgaben macht, in welchen Fällen Journalisten straffrei bleiben müssen. Entgegen dem starren Wortlaut methodisch umsetzen müssten dies dann die Strafgerichte. Arne Semsrott, der ebenfalls von der GFF unterstützt wird, wird ebenso auf Janz' Verfahren beim BVerfG schielen wie die Richter des Bundesgerichtshofs. Dort liegt Semsrotts Fall nämlich aktuell.
GFF und Journalist wollen beim BVerfG klären: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58461 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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