Gesetz zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe: Eine Norm für die Wis­sen­schaft

2/2: Subjektiver Tatbestand erfordert doppelten Vorsatz

Im subjektiven Tatbestand erfordert das Gesetz neben dem Vorsatz die "Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern“. Der Gesetzgeber hat dies insofern präzisiert, als in Bezug auf die Förderung selbst Absicht (i.S. eines Darauf-Ankommens) vorliegen soll, während im Hinblick auf die Selbsttötung dolus eventualis ausreichen soll (BT-Drucksache 18/5373., S. 19). Es reicht also aus, wenn der Akteur, z.B. ein Arzt, die Selbsttötung für möglich hält und sich damit abfindet. In den oben skizzierten Fällen, in denen ein Sterbezimmer zur Verfügung gestellt wird, ist dies ohne Weiteres der Fall; hier dürfte in Bezug auf die Selbsttötung des Sterbewilligen sogar Wissentlichkeit vorliegen. Die Förderhandlung selbst, also das Zur-Verfügung-Stellen des Zimmers, geschieht mit Absicht. Auch in Bezug auf alle anderen Tatbestandsmerkmale liegt der erforderliche Vorsatz vor. Damit ist der subjektive Tatbestand erfüllt.

Dasselbe dürfte aber auch in dem Fall zutreffen, in welchem ein Arzt einem potenziell Sterbewilligen Medikamente in einer u.U. todbringenden Dosis überlässt. Viele Patienten in onkologischen Abteilungen, Palliativstationen und Hospizen schwanken tagtäglich zwischen der Hoffnung, weiter zu leben, und dem Verlangen nach einem raschen Tod. Beim Überlassen von Medikamenten an einen solchen Patienten wird man also stets damit zu rechnen haben, dass sich der Patient eine Überdosis zuführt. Dies gilt auch dann, wenn sich der Patient das Medikament selbst, z.B. mittels einer Infusion, geben kann, etwa wenn er über das Wochenende die Möglichkeit erhält, eine Morphinpumpe selbst zu regeln.

Strafbeschwerung für ethisch akzeptierte Handlungen

Damit wird deutlich, dass das neue Gesetz nicht bloß die Tätigkeit von Sterbehilfeorganisationen im engeren Sinne erfasst, sondern auch weite Teile der Hospiz- und Palliativmedizin, auch und gerade auf onkologischen Stationen. § 217 n.F. StGB stellt damit auch Handlungsweisen unter Strafe, die nach der in Deutschland ganz überwiegend akzeptierten Sozialethik nicht als Unrecht angesehen werden, sondern vielmehr als moralisch gebotene Hilfe im und zum Sterben. Die Norm umschreibt keinen Unrechtstatbestand, sondern greift weit darüber hinaus. Dies war einer der Hauptgründe, die den Streit um das Gesetz angeheizt haben.

Als Rechtfertigungsgrund kommt zunächst eine Einwilligung in Betracht. Nach der Gesetzesbegründung soll § 217 n.F. StGB das Leben und die Entscheidungsfreiheit potenziell Sterbewilliger schützen (BT-Drucksache 18/5373,S. 10). Es handelt sich also um Individualrechtsgüter.

Problematisch ist allerdings, dass das Leben, obgleich es sich um ein Individualrechtsgut handelt, von der herrschenden Meinung als nicht disponibel angesehen wird. Dies lässt sich aus § 216 StGB ableiten, der die Tötung auf Verlangen trotz des darin notwendigerweise enthaltenen Rechtsgutsverzichts unter Strafe stellt. Es ist allerdings zu beachten, dass es sich bei § 217 StGB nicht um ein Verletzungsdelikt (Verletzung des Lebens), sondern, wie oben ausgeführt, um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. In Gefährdungen des Lebens, und zwar nicht bloß in abstrakte, sondern auch in konkrete, kann der Betroffene nach ganz herrschender Meinung aber wirksam einwilligen.

Für dieses Ergebnis spricht auch, dass § 217 n.F. nach dem Willen des Gesetzgebers neben dem Leben des Betroffenen auch dessen Entscheidungsfreiheit schützt. Noch wesentlich schwerer wirkt der Umstand, dass das Grundgesetz in Art. 1 und 2 Abs. 1 die Freiheit, über das eigene Lebensende zu entscheiden, garantiert. Dies wird auch in der Gesetzesbegründung anerkannt und mehrfach hervorgehoben (BT-Drucksache 18/5373, S. 13). Es wäre deshalb nicht nur verfassungswidrig, sondern geradezu widersprüchlich, dem Betroffenen die Entscheidung über eine Einwilligung in die eigene Lebensgefährdung zu versagen.

Strenge Anforderungen an Einwilligungserklärungen nötig

Daraus folgt, dass eine nach § 217 StGB tatbestandsmäßige Handlung gerechtfertigt sein kann, wenn die üblichen für eine Einwilligung erforderlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Situation ähnelt insofern dem ärztlichen Heileingriff, der nach herrschender Meinung ebenfalls einen Straftatbestand, nämlich den der Körperverletzung, § 223 StGB, erfüllt. Besonders strenge Anforderungen wird man an die Freiverantwortlichkeit der Einwilligungserklärung zu stellen haben. Schon aus Beweissicherungsgründen empfiehlt es sich außerdem, eine solche Erklärung auch zu dokumentieren.

Ein anderer möglicher Rechtfertigungsgrund ist der Notstand nach § 34 StGB. Er kann etwa dann vorliegen, wenn der Patient unerträgliche Schmerzen leidet. Insofern wird man auf die Rechtsprechung zur indirekten Sterbehilfe verweisen dürfen. Entschuldigungsgründe kommen dagegen nur ausnahmsweise in Betracht, insbesondere dann, wenn sich Täter auf seine Gewissensfreiheit nach Art.* 4 GG stützen kann.

Die angeführten Gesichtspunkte machen deutlich, dass der neue § 217 StGB nicht nur die Gerichte, sondern auch die Strafrechtswissenschaft wohl noch intensiv beschäftigen wird.

Der Autor Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtstheorie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

* Zuvor stand hier fälschlicherweise "§". Geändert am 13.11.2015 um 14.59 Uhr.

Zitiervorschlag

Eric Hilgendorf, Gesetz zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe: Eine Norm für die Wissenschaft . In: Legal Tribune Online, 12.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17514/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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