Nach langem Ringen steht der Entwurf, der allem Widerstand der Verbände zum Trotz eine Strafbarkeit dopender Sportler einführen soll. Zugleich sollen die in Verruf geratenen Schiedsgerichte legitimiert werden. Gut so, meint Jens Adolphsen.
Die Bundesregierung will ein Anti Doping Gesetz schaffen, das diesen Namen verdient: Eine in sich geschlossene Regelung, die auch eine Strafbarkeit von Sportlern vorsieht, die sich dopen. Mit dem Inkrafttreten wäre ein langes und zähes Ringen beendet, das sich bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückverfolgen lässt. Der Staat hat sich einer Kriminalisierung des Dopings langsam und nicht immer systemgerecht angenähert. Was jetzt in den Bundestag eingebracht wird, ist konsequent, aber auch mutig. Der Staat macht ernst im Anti Doping Kampf.
Deutschland hat keinen staatsgelenkten Sport. Einen staatsfreien aber auch nicht. Sport in der heutigen Form würde es ohne staatliche Finanzierung nicht geben. Der aktuelle Sportbericht der Bundesregierung spricht dies offen an und beziffert die Ausgaben 2010 bis 2013 auf 948 Millionen Euro. Und wer zahlt, der darf mitreden: Nach diesem Motto nimmt der Staat in Deutschland massiv Einfluss auf den Sport, sei es bei der Abstimmung von Förderkonzepten oder der Ausarbeitung von Dopingregeln im Rahmen der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA). Im Sportbericht wird dies als partnerschaftliche Zusammenarbeit umschrieben.
Der Ansatz, Verhalten im Sport unter Strafe zu stellen, ist nicht neu. Der Gesetzgeber hat bisher systemwidrig Regelung im Arzneimittelgesetz (AMG) vorgezogen: Seit 1998 gilt für das Umfeld des Sportlers das Verbot des Inverkehrbringens, Verschreibens und Anwendens von Dopingsubstanzen. 2007 folgte eine Strafverschärfung für banden- und gewerbsmäßige Dopingstraftaten.
Dopingstrafbarkeit: auf zaghafte Schritte folgt der große Sprung
Erstmals konnten damit auch Sportler selbst bestraft werden, allerdings nur wegen Besitzes einer nicht geringen Menge bestimmter besonders gefährlicher Dopingmittel, nicht aber wegen Eigendopings. Das Ganze war kein Anti Doping Gesetz, sondern ein Anti Dealing Gesetz. Der Gesetzgeber traute sich nicht, das zu sanktionieren, was Doping im Kern ausmacht – den Betrug gegenüber der Konkurrenz, Sponsoren, Arbeitgebern, dem Förderer Staat und der Öffentlichkeit.
Die größte Neuerung des Regierungsentwurfs (RegE) ist das Verbot des Selbstdopings (Einnahme, Sichverschaffen und Besitz von Dopingsubstanzen). Der organisierte Sport ist zwar nach wie vor dagegen, der Widerstand ist aber überschaubar. Die Bundesregierung beschränkt diese Strafbarkeit auf Spitzensportler, die einem Testpool der NADA angehören, und greift damit Bedenken auf, es könne zu einer flächendeckenden Kriminalisierung von Hobbysportlern kommen.
Derzeit besteht der Kreis potentiell als Täter in Betracht kommender Sportler aus etwa 7.000 Personen. Daneben sollen solche Sportler erfasst werden, die aus der sportlichen Betätigung unmittelbar oder mittelbar Einnahmen von erheblichem Umfang erzielen. An dieser teilweise als zu unbestimmt kritisierten Regelung will die Regierung offenbar festhalten, um keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz zu provozieren.
2/3: Geschützt ist der Sport – nicht die Gesundheit
Die Strafbarkeit des Selbstdopings kann nicht mit der Gesundheitsschädigung durch Doping begründet werden. Die Eigenschädigung ist in Deutschland anerkanntermaßen straffrei. Daher benennt der Entwurf auch klar ein anderes Ziel: "Die Norm dient dem Schutz der Integrität des Sports. Sie stellt damit den Kern der Neuausrichtung in der strafrechtlichen Dopingbekämpfung dar."
Dies ist mutig und richtig. An der Frage des zu schützenden Rechtsgutes hatte sich die rechtliche, aber auch die rechtspolitische Diskussion entfacht. Der Staat missachte, wenn er "rein" sportliche Werte mit dem Strafrecht schütze, die Trennung von Moralität und Legalität, hatten Kritiker moniert. Er missbrauche das Strafrecht und übergehe das ultima ratio-Prinzip.
Richtig ist, dass es sich bei der Integrität des Sports um ein diffuses Rechtsgut handelt. Dieses Schicksal teilt es mit jüngeren, anerkannt schutzwürdigen Rechtsgütern, allen voran dem des wirtschaftlichen Wettbewerbs, der bereits durch die §§ 298 ff. Strafgesetzbuch (StGB) geschützt wird.
Rechtsgüter fallen nicht vom Himmel
Der Staat ist aber nicht darauf beschränkt, Kernrechtsgüter zu schützen. Rechtsgüter fallen nicht vom Himmel, sie bilden sich heraus und werden vom Gesetzgeber als schützenswert herausgegriffen, auch, um eine ansonsten bestehende Schutzlücke zu schließen. Die Regierung formuliert diesen Findungsprozess in ihrer Entwurfsbegründung ganz offen: "Angesichts der herausragenden gesellschaftspolitischen Bedeutung des Sports muss der Staat – neben den Anstrengungen der Sportverbände, deren Maßnahmen allein aber nicht ausreichen – zum Schutz der Integrität des Sports zur Dopingbekämpfung beitragen."
Zudem hatte sich das Rechtsgut der Integrität des Sports ohnehin bereits systemwidrig in das AMG eingeschlichen: Dieses enthält das Verbot von Arzneimittel zu Dopingzwecken im Sport. Der Arzt darf Studenten und Manager dopen, nicht aber Sportler. Mit Arzneimittelsicherheit hat das wenig, mit dem Schutz des Sports wohl eher zu tun.
Neben dieser eher dogmatischen Frage nach dem zu schützenden Rechtsgut ist gewarnt worden, das Nebeneinander von Verbands- und Strafverfahren führe ins Chaos. Es drohe eine Haftung der Sportverbände, wenn Sportler vom Verband bestraft, vom Staat aber frei gesprochen würden. In Expertenanhörungen haben sich jedoch gerade leitende Staatsanwälte der Schwerpunktstaatsanwaltschaften Doping gegen diese These ausgesprochen.
Gleichlauf von Straf- und Sportgerichtsbarkeit keineswegs zwingend
Seit fast zehn Jahren muss nach den Vorgaben von WADA und NADA das Umfeld des Sportlers (Trainer, Ärzte, Betreuer) von den verbandlichen Dopingbestimmungen erfasst sein. Dieser Personenkreis war schon bisher tauglicher Täter nach dem AMG. Ein Chaos ist ausgeblieben.
Die Anwendung von unterschiedlichen Normkomplexen auf einen Sachverhalt ist im Recht zudem eher häufig: Bei jedem Verkehrsunfall können zivilrechtlich (sogar Gefährdungshaftung nach dem Straßenverkehrsgesetz) und strafrechtlich unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Dass dies beim Sport, an dem größeres öffentliches Interesse als an Verkehrsunfällen besteht, einen gewissen Erklärungsaufwand mit sich bringen wird, mag sein. Für zu blöd sollte man aber weder Journalisten noch die Öffentlichkeit halten.
Im Übrigen begründet die Unterschiedlichkeit der Ergebnisse allein noch keine Haftung. Die rechtmäßige Anwendung rechtmäßiger Regeln durch Sportverbände ist sicher keine unerlaubte Handlung. Sie wird dies auch nicht dadurch, dass der Staat auf der Grundlage seiner Vorschriften zu einem anderen Ergebnis kommt.
Weniger Diskussion wird das gegenüber dem AMG neu gefasste Verbot des Fremddopings hervorrufen. Die Regelungen aus dem AMG werden in das Anti Doping Gesetz überführt, neue Tathandlungen (Herstellen, Handel treiben, Abgeben, in oder durch den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringen) aufgenommen, zudem werden Dopingmethoden erfasst. Schwierigkeiten, ein zu schützendes Rechtsgut zu finden, bestehen hier nicht - die Vorschriften dienen klar dem Gesundheitsschutz.
3/3: Schiedsgerichtsbarkeit ist besser als ihr Ruf
Die Schiedsgerichtsbarkeit genießt aktuell keinen guten Ruf. Gerade in der Diskussion um das TTIP Abkommen wird von "Schattenjustiz im Nobelhotel" gesprochen. Auch die Schiedsgerichtsbarkeit im Sport ist in Verruf geraten; im Verfahren Pechstein wird der inzwischen weitgehend auf die Seite Pechsteins umgeschwenkten Öffentlichkeit suggeriert, Schiedsgerichtsbarkeit und Grundrechtsverlust seien synonym.
Im Kern der Kritik steht der Vorwurf, dass die Verbände die Unterzeichnung von Schiedsvereinbarungen einfordern und den Profisportlern praktisch keine Alternative dazu verbleibt, sich den Sportgerichten zu unterwerfen. Der Entwurf der Regierung stellt klar, dass solche Schiedsvereinbarungen dennoch wirksam sind, und zwar nicht nur in Dopingstreitigkeiten.
Ob eine Schiedsvereinbarung im Einzelfall oder gar verfassungsrechtlich zulässig ist, kann der (einfache) Gesetzgeber nicht klären. Die jetzige Regelung ist weder eine Reaktion auf das – noch nicht rechtskräftige – Verfahren Pechstein noch ein Zugeständnis an den organisierten Sport, der im Gegenzug die Kröte "Verbot des Selbstdopings" schlucken möge. Der Staat hat ein ureigenes Interesse, rechtliche Zweifel auszuräumen, vor allem da er sich selbst durch das UNESCO-Übereinkommen gegen Doping im Sport 2005 verpflichtet hat, Schiedsgerichte in Sportstreitigkeiten vorzusehen.
Sportgerichtsbarkeit bleibt – aber sie muss sich verbessern
Selbstverständlich sind mit der im Entwurf getroffenen Regelung Schiedsvereinbarungen im Sport auch nicht per se wirksam. Der Prozess Claudia Pechsteins hat Mängel im CAS-Verfahren aufgezeigt. Die Bemühungen um eine Reform des CAS-Verfahrens müssen daher weiter gehen.
Der Sport ist auf den Entscheidungseinklang durch die Schiedsgerichtsbarkeit zwingend angewiesen. Nationale Entscheidungen gefährden die Einheitlichkeit der Sportausübung. Zwangsschiedsgerichtsbarkeit im Sport ist aber nur zu rechtfertigen, wenn im Verfahren Rechte der Sportler effektiv geschützt werden. Dieses zu prüfen ist selbstverständliche Aufgabe staatlicher Gerichte.
Ein mutiger und gelungener Entwurf
Mit der Norm würde der Gesetzgeber zudem den allgemeinen Justizgewährungsanspruch ausgestalten. Sehr treffend hat der Präsident des Bundesverfassunsgerichts, Andreas Voßkuhle, vergangenes Jahr formuliert: "Da es sich beim Justizgewährungsanspruch um einen Leistungsanspruch handelt, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, diesen Anspruch auszugestalten." Nicht mehr, aber auch nicht weniger leistet die Vorschrift.
Die Regierung setzt mit dem Entwurf ihren Koalitionsvertrag konsequent und mutig um und schafft erstmals ein in sich stimmiges Anti Doping Gesetz, das diesen Namen auch verdient. Dass die Zentralgestalt – der Sportler – nun wie alle anderen Beteiligten vom Strafrecht erfasst wird, ist, auch angesichts des Systemdrucks, der auf den Sportlern lastet, richtig.
Der Autor Prof. Dr. Jens Adolphsen ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Nationales und Internationales Zivilverfahrensrecht und Sportrecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Prof. Dr. Jens Adolphsen, Regierungsentwurf eines Anti-Doping-Gesetzes: Wer die Musik bezahlt, bestimmt die Melodie . In: Legal Tribune Online, 22.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15634/ (abgerufen am: 07.06.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag