Der Bericht der Expertenkommission zur Reform der Tötungsdelikte liegt vor. Danach soll sich an den Mordmerkmalen kaum etwas tun – an der Strafzumessung schon etwas mehr. Kein großer Wurf, aber auch keine Makulatur, meint Wolfgang Mitsch.
Das Strafgesetzbuch wird auch weiterhin zwischen Mord und Totschlag unterscheiden. Erwartungsgemäß wurde der spektakuläre Regelungsvorschlag des Deutschen Anwaltvereins, der die ersatzlose Streichung des Mordtatbestandes und die Umbenennung des Totschlags in "Tötung" vorsah, in der Kommission mit einem Stimmverhältnis von zehn zu vier abgelehnt. Die Kommission spricht sich für die Beibehaltung des Stufenmodells mit Totschlag als Grundtatbestand und Mord als Qualifikation aus.
Wer von den Experten den Anstoß zu einer durchgreifenden Neuordnung des Mordtatbestandes erwartet hat, sieht sich enttäuscht. Von Aufbruchstimmung ist wenig zu spüren. Zwar wird der "Ungeist der Nazi-Ideologie" (Justizminister Heiko Maas) vertrieben, weil die Worte "Mörder" und "Totschläger" verschwinden. Ansonsten wird sich aber auf der tatbestandlichen Ebene wenig ändern. Alle Mordmerkmale des geltenden Rechts sollen erhalten bleiben. Lediglich bei einigen besonders umstrittenen Merkmalen werden Korrekturen empfohlen, mit denen die Probleme der geltenden Fassung behoben werden sollen.
"Heimtücke" und "niedrige Beweggründe" bleiben
An den mit Abstand problematischsten und umstrittensten Mordmerkmalen wollte die Kommission nicht rütteln. Für die Abschaffung der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe fand sich keine Mehrheit. Allerdings soll die Unbestimmtheit der "Motivgeneralklausel" durch Aufnahme einiger zusätzlicher konkreter niedriger Beweggründe in den Gesetzestext abgemildert werden. So plädierte die Mehrheit der Kommission für die Einführung spezieller Motivmerkmale, die an bestimmte Kennzeichen des Opfers anknüpfen und den Hass des Täters auf Menschen mit diesen Kennzeichen hervorheben. Mord soll es daher künftig sein, wenn der Täter sein Opfer wegen dessen Geschlecht, der Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder rassischen Gruppe, wegen seines religiösen Bekenntnisses oder seiner sexuellen Identität oder Orientierung tötet. Dagegen fand die besondere Berücksichtigung politisch oder terroristisch gefärbter Beweggründe keine Zustimmung.
Auch am Kernbereich des Merkmals "Heimtücke" soll festgehalten werden. Die Kommission befürwortet aber sprachliche Verbesserungen, ohne sich auf einen einheitlichen Text festlegen zu wollen. Empfohlen werden Formulierungen wie "mittels eines hinterhältigen Angriffs" oder "durch Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit oder einer aus anderen Gründen bestehenden Schutzlosigkeit". Ob die Tötung des schlafenden "Haustyrannen" durch die jahrelang gequälte und gedemütigte Ehefrau künftig kein Mord mehr sein wird, ist auf dieser Grundlage nicht eindeutig zu beantworten. Insbesondere die Ausnutzung "einer aus anderen Gründen bestehenden Schutzlosigkeit" wird sich in diesem Szenario wohl auch weiterhin kaum verneinen lassen.
Überraschend ist das klare Votum für eine unveränderte Beibehaltung des umstrittenen Mordmerkmals der "Verdeckungsabsicht". Obwohl in der Diskussion gewichtige Bedenken gegen diese Tötungsqualifikation vorgebracht wurden, stimmten am Ende nur drei Kommissionsmitglieder für die Streichung des Merkmals. Überhaupt nicht in Frage gestellt wurden die Mordmerkmale Mordlust, Habgier, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln und Straftatermöglichungsabsicht. Hier beschränkt sich der Reformwille der Kommission auf geringfügige Sprachkorrekturen. Bescheiden ist auch der Ertrag an Impulsen für die Schaffung neuer Mordmerkmale. Lediglich ein einziger Vorschlag fand eine Mehrheit, nämlich die schon in vielen älteren Reformvorschlägen enthaltene "Mehrfachtötung". Wie sich die Experten die Beseitigung des Wertungswiderspruchs zwischen der Mehrfachtötung durch eine Tat (Mord) und durch mehrere Taten (kein Mord, sondern mehrere Totschläge) vorstellt, verraten sie in ihrem Bericht leider nicht.
2/2: Lebenslang wird nicht abgeschafft…
Täter eines Mordes sollen auch künftig zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt werden. Die Ersetzung der Lebenszeitstrafe durch eine zeitige Freiheitsstrafe wäre auch ein zu kühner Schritt gewesen, der zu der Zurückhaltung, mit der die Kommission die Mordmerkmale angefasst hat, schlecht gepasst hätte. Erfreuliche Einhelligkeit herrschte dahingehend, dass der "Exklusivitäts-Absolutheits-Zusammenhang" zwischen Mordmerkmalserfüllung und lebenslanger Freiheitsstrafe aufgehoben werden soll.
Zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit sollen die Gerichte jedoch die Möglichkeit haben, von der lebenslangen Freiheitsstrafe abzuweichen und eine zeitlich begrenzte Strafe zu verhängen. Wie diese Idee gesetzgeberisch umgesetzt werden soll, ist ein Thema, dem die Kommission mit einiger Ratlosigkeit begegnete, wie die zahlreichen Enthaltungen bei den Abstimmungen zu den Einzelvorschlägen belegen. Abgelehnt wurde die alternative zeitige Freiheitsstrafe neben der lebenslangen Freiheitsstrafe ebenso wie die Einführung einer Milderungsvorschrift für minder schwere Fälle.
Lediglich in Fällen erheblich verminderten Unrechts oder erheblich verminderter Schuld soll dem Gericht die Verhängung einer zeitigen statt der lebenslangen Freiheitsstrafe gestattet sein. § 213 StGB, der "minder schwere Fall des Totschlags", soll zwar beibehalten, aber weiterhin nicht auf Fälle des § 211 StGB angewendet werden. Die Begründung eines minder schweren Falles des Totschlags soll im Gegenteil schwieriger werden, weil aus § 213 StGB der "unbenannte" minder schwere Fall entfernt werden soll.
… aber wohl seltener verhängt werden
Stattdessen soll ein neuer spezieller Milderungsgrund der Tötung aus "Verzweiflung oder Ausweglosigkeit" eingeführt werden. Erhöht werden soll die Mindeststrafe des minder schweren Falles von einem Jahr auf zwei Jahre. Im Themenbereich der Strafvollstreckung war die Schuldschwereklausel des § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB Gegenstand einer intensiven und kontroversen Diskussion. Nur eine knappe Mehrheit (8 Ja- gegen 7 Nein-Stimmen) votierte für ihre Beibehaltung. Allgemein wurde eine Konkretisierung der Klausel durch exemplarische Aufführung konturierter Schulderschwerungsgründe befürwortet.
Eine faire Bewertung der Leistung, die in dem fast 1.000 Seiten umfassenden Abschlussbericht dokumentiert ist, kann natürlich erst nach gründlichem Studium desselben unternommen werden. Eine spannende Diskussion wird dieser Text gewiss befeuern. Schon jetzt kann lobend vermerkt werden, dass die Kommission für die Lösung der drängendsten Probleme konstruktive Anstöße gegeben hat. Ein Mordstrafrecht mit einem starren Lebenslang-Automatismus wird es nach diesem Bericht mit Sicherheit nicht mehr geben.
Damit ist ein großer Schritt in Richtung zu mehr Einzelfallgerechtigkeit getan, und das Hauptärgernis der jetzigen Regelung zu Grabe getragen. Vernünftig ist gewiss auch das Festhalten an der systematischen Grundkonzeption mit einem merkmalsarmen Grundtatbestand Totschlag und einem darauf aufbauenden kasuistisch geprägten Qualifikationstatbestand. Allerdings hätte man sich hinsichtlich der Ausgestaltung des Mordtatbestandes durch Mordmerkmale mehr Einfallsreichtum und auch mehr Mut zur Beseitigung notorischer Problemfälle gewünscht. Aber der kann ja auf der Basis des Berichts vielleicht im Bundesjustizministerium zur Entfaltung gebracht werden. Auf den Gesetzentwurf aus dem Hause Maas darf man jedenfalls gespannt sein.
Prof. Dr. Wolfgang Mitsch ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht mit Jugendstrafrecht und Kriminologie an der Universität Potsdam. Er hat sich mit zahlreichen Veröffentlichungen zu Fragen der Tötungsdelikte geäußert. Auch in die aktuelle Reformdebatte hat er sich mit einigen Aufsätzen eingeschaltet.
Prof. Dr. Wolfgang Mitsch, Reform der Tötungsdelikte: Mord soll Mord bleiben . In: Legal Tribune Online, 29.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16024/ (abgerufen am: 08.12.2023 )
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