Eine Anpassung alter Gesetze an die heutigen Gegebenheiten des Internets ist wünschenswert, eine Beteiligung der Bürger an diesem Prozess ebenfalls. Beides bietet das aktuell laufende öffentliche Konsultationsverfahren zur Reform des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages, doch der Entwurf erntet vor allem herbe Kritik. Leider zu Recht, findet Ansgar Koreng.
An der Internetregulierung hat sich die Politik schon mehr als einmal versucht, oft ohne Erfolg. So verdankt beispielsweise die heutige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihren Spitznamen "Zensursula" ihren früheren Bestrebungen, mit dem Zugangserschwerungsgesetz eine weitgehende Grundlage für Website-Sperrungen in Deutschland zu schaffen. Die Bemühungen blieben letztlich erfolglos, was nicht zuletzt dem großen Widerstand der Netzgemeinde geschuldet ist.
Ähnliches gilt für den Versuch, den etwas angegrauten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) dahingehend zu novellieren, dass Websites künftig mit einer Alterskennzeichnung versehen werden sollten. Auch dieses Vorhaben scheiterte 2010, dem Jahr, das wohl den bisherigen Höhepunkt der netzpolitischen Mobilisierung markiert.
Man muss demnach begrüßen, dass die Politik aus diesen Erfahrungen ihre Lehren gezogen hat und nun versucht, die Öffentlichkeit vergleichsweise frühzeitig in die Diskussion um die erneut geplante Novellierung des JMStV einzubeziehen. So kann derzeit jedermann auf einer eigens eingerichteten Website seine Meinung zu den vorgesehenen Änderungen des Staatsvertrags kundtun. Auch wenn davon bislang nur begrenzt Gebrauch gemacht wird, so ist das offenere Verfahren doch sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings bedeutet Feedback nicht unbedingt positives Feedback, wie die für den Entwurf federführend verantwortliche sächsische Staatskanzlei dieser Tage schmerzlich erfahren muss.
Tatsächlich erntet der Entwurf vor allem Kritik. So zieht etwa der Medienrechtsexperte Prof Dr. Liesching das wenig erbauliche Fazit: "In den Papierkorb damit und nochmal anfangen." Rechtsanwalt Thomas Stadler sieht "wieder nur unausgegorene Vorschläge". Auch der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur äußert sich kritisch und warnt vor der geplanten Novellierung.
Reform des JMStV eigentlich überfällig
Dabei verfolgt der Gesetzgeber mit dem JMStV ein im Grundsatz durchaus anerkennenswertes Ziel: Es geht ihm um den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor entwicklungsgefährdenden Angeboten im Rundfunk und den "Telemedien", also allen Verbreitungsformen, die in irgendeiner Weise über das Internet stattfinden. Dies betrifft nicht nur klassische Websites, sondern zum Beispiel auch Apps und Social Media-Angebote. Der Staatsvertrag stellt an die Anbieter solcher Medien ein relativ ausgefeiltes, wenngleich momentan an einem strukturellen Vollzugsdefizit krankendes System von Anforderungen, um Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu schützen.
Der zwischen den Ländern vereinbarte und somit im Rang von förmlichem Landesrecht stehende JMStV ist allerdings nicht der einzige Normkomplex, der den Jugendschutz zum Anliegen hat. Daneben gibt es noch das Jugendschutzgesetz (JuSchG) als Bundesgesetz, welches, im Gegensatz zum JMStV, vor allem für den Offline-Bereich gilt. Hinsichtlich der Rechtsfolgen sind beide Regelwerke mehr oder weniger eng aufeinander abgestimmt. So können beispielsweise auch Telemedien nach dem JuSchG indiziert werden, was dann wiederum zu Aufsichtsmaßnahmen nach dem JMStV führen kann.
Der derzeit gültige JMStV stammt noch aus dem Jahr 2003, vor der Gründung von Facebook. Nach Internetmaßstäben ist das eine halbe Ewigkeit. Es liegt daher auf der Hand, dass er nicht auf alle Fragen, die das Netz heute aufwirft, adäquate Antworten geben kann. Eine Novelle ist also grundsätzlich zu begrüßen. Umso bedauerlicher, dass der Entwurf aus Sachsen selbst geringen Erwartungen nicht gerecht wird. Der Erwartung beispielsweise, dass er nicht gegen Bundes- und Europarecht verstoßen würde.
Entwurf kann in derzeitiger Form nicht in Kraft treten
Der Kern des Problems liegt in dem geplanten § 5 Abs. 3 Nr. 4 JMStV. Diesem liegt der erklärte Gedanke zugrunde, dass der Betreiber eines Angebots mit "user generated content", also mit von Nutzern eingestellten Inhalten, für diese Inhalte genauso haftet, wie für die von ihm selbst veröffentlichten Inhalte. Demgemäß habe der Anbieter, so die Autoren des Entwurfs, nicht nur die Alterskennzeichnung seines Angebots am Fremdinhalt auszurichten, sondern auch "die Einbeziehung“ von jugendgefährdende Fremdinhalten "in seinem Gesamtangebot" zu verhindern (§ 5 Abs. 3 Nr. 4 lit. b JMStV-E).
Dabei sind die Verfasser des Entwurfs allerdings von einer falschen Prämisse ausgegangen. Denn nach § 10 Telemediengesetz (TMG) sind Anbieter für fremden Content grundsätzlich überhaupt nicht verantwortlich, jedenfalls solange nicht, bis sie Kenntnis von dem fremden Content haben. Vorabprüfungspflichten, wie sie den Verfassern des JMStV vorschweben, werden von § 7 Abs. 2 Satz 1 TMG ausdrücklich für unzulässig erklärt. Da es sich beim TMG um ein Bundesgesetz handelt, sind die Länder schon mit Blick auf Art. 31 GG ("Bundesrecht bricht Landesrecht") daran gehindert, hier eine anderslautende Regelung zu vereinbaren.
Des Weiteren beruhen die Haftungsprivilegierungen des TMG auf europarechtlichen Vorgaben, namentlich auf der Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000. Die Richtlinie bewirkt nach allgemeiner Meinung eine Vollharmonisierung, von der die Mitgliedstaaten nicht abweichen dürfen. Da das Europarecht nach ständiger Rechtsprechung Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht genießt, wären die Länder auch aus europarechtlichen Gründen gehindert, den Staatsvertrag wie derzeit geplant zu novellieren. Eine öffentliche Konsultation sollte kein Ersatz für eine eigene, gründliche Prüfung in der Entwurfsphase sein, bei der diese Defizite eigentlich hätten auffallen müssen.
Der Autor Dr. Ansgar Koreng wurde mit einer Arbeit zum Thema "Zensur im Internet" promoviert. Er arbeitet bei JBB Rechtsanwälte in Berlin und ist dort vorwiegend im Medien- und Urheberrecht, sowie im IT-Recht tätig.
Ansgar Koreng, Reform des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11482 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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