Die Abgeordneten werden am Freitag die Beihilfe zum Suizid wohl nicht generell verbieten. Ob und wie aber Ärzte und Vereine Todkranken künftig beistehen dürfen, ist ungewiss. Wäre kein neues Gesetz vielleicht besser als ein schlechtes?
An diesem Donnerstag will der Bundestag das Palliativ- und Hospizgesetz verabschieden, mit dem die Betreuung sterbender Menschen verbessert werden soll. Am Freitag folgt dann eine Entscheidung über die vier im Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe.
Beide Gesetzesinitiativen werden in engem Zusammenhang gesehen. Den dringenden Handlungsbedarf für eine Verbesserung der Betreuung Schwerstkranker in ihrer letzten Lebensphase belegt eine Anfang der Woche veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung, die große regionale Unterschiede und erhebliche Versorgungslücken feststellte. So fehlen in gut einem Viertel aller Kreise Hospize, Palliativstationen oder Anbieter für eine ambulante Palliativversorgung. Nach der Studie wollen 75 Prozent der Menschen zu Hause sterben, tatsächlich stirbt aber jeder zweite ältere Deutsche im Krankenhaus.
Während der Ausbau von Palliativmedizin und Hospizbewegung weitgehend unumstritten ist, gibt es bei der Sterbehilfe erhebliche Meinungsunterschiede unter den Abgeordneten. Die Abstimmung darüber wird ohne Fraktionszwang stattfinden.
Was bleibt, wie es ist: die Beihilfe zum Suizid und die aktive Sterbehilfe
Der Wunsch schwer leidender, dem Tode naher Menschen nach einer vorzeitigen Beendigung ihres Lebens betrifft nach Informationen der Deutschen Presseagentur rund 500 Fälle im Jahr in Deutschland.
Keiner der vier zur Abstimmung stehenden Entwürfe beabsichtigt, die grundlegenden deutschen Rechtsprinzipien zur Selbsttötung zu ändern. Es soll dabei bleiben, dass der Suizid straflos ist und die aktive Sterbehilfe verboten. Selbst der "Entwurf über die Strafbarkeit der Teilnahme an einer Selbsttötung", der Anstiftung und Beihilfe zum Suizid unter Strafe stellen will, möchte nichts daran ändern, dass die sogenannte passive Sterbehilfe, also die Unterbrechung lebenserhaltender Maßnahmen, grundsätzlich möglich bleiben soll.
Dieser radikalste Entwurf einer Abgeordneten-Gruppe um Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (CDU) hat dem Vernehmen nach allerdings ohnehin kaum realistische Chancen. Nichts deutet darauf hin, dass künftig ein neuer § 217 Strafgesetzbuch (StGB) Anstiftung und Beihilfe zum straflosen Selbstmord generell unter Strafe stellen wird.
Worüber abgestimmt wird: gewerbsmäßige Sterbehilfe und Hilfe durch Ärzte
Alles spricht dafür, dass es bei der Abstimmung am Freitag im Wesentlichen um zwei Punkte gehen wird: die gewerbsmäßige Sterbehilfe und die Sterbehilfe durch Ärzte. Für Letztere gibt es derzeit keine strafrechtlichen Sonderregeln, die Beihilfehandlung zum Suizid des Patienten ist also möglich. Allerdings verbieten zehn von 17 Ärztekammern der Länder über ihr Berufsrecht den Medizinern, auf diese Art tätig zu werden.
Die profitorientierte Sterbehilfe lehnen alle vier Entwürfe im Prinzip ab. Nach geltendem Recht sind Vereine, welche organisierte Sterbebegleitung anbieten, nicht grundsätzlich verboten, mehrere Gerichte haben ihre Tätigkeit aber bereits untersagt. In der Schweiz hingegen agieren Sterbehilfe-Vereine durchweg legal.
Drei der Gesetzentwürfe bemühen für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe die schärfste Waffe, das Strafgesetzbuch. Eine Gruppe von Koalitionsabgeordneten um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und die SPD-Fraktionsvize Carola Reimann und Karl Lauterbach setzt darauf, dass sich bei zivilrechtlicher Verankerung eines ärztlich assistierten Suizids das Geschäftsmodell solcher Vereine ohnehin erledigen wird.
Der Brand-Entwurf: Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung
Den wohl aussichtsreichsten Entwurf hat einen Gruppe um Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Linke) und Elisabeth Scharfenberg (Grüne) vorgelegt. Er will die Entwicklung der Beihilfe zum Suizid zu einem "Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung verhindern".
Der Brand-Entwurf ist der einzige, der in allen Fraktionen Befürworter hat. Mehr als 170 Abgeordnete haben ihn unterschrieben, neben einem großen Teil der Unionsfraktion einschließlich Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Fraktionschef Volker Kauder auch die Bundestagsvizepräsidentin der Grünen, Claudia Roth. Auch Bundeskanzlerin Merkel hat signalisiert, das Papier zu unterstützen.
Ein neuer § 217 StGB soll die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung als abstrakt das Leben gefährdende Handlung unter Strafe stellen. Absatz 2 der Entwurfs-Vorschrift nimmt Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen, die sich lediglich als nicht geschäftsmäßig handelnde Teilnehmer an der Tat beteiligen, von der Strafandrohung aus.
Die Abgeordneten wollen nicht nur Vereine mit Gewinnerzielungsabsicht verbieten, sondern die organisierte Suizidhilfe im Allgemeinen. Hintergrund ist, dass viele Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas Schweiz und ihr deutscher Ableger, aber auch der nur mit ehrenamtlichen Mitarbeitern agierende Verein Exit, nur Aufwandsentschädigungen annehmen.
Und die Ärzte?
Der Entwurf will ausdrücklich nicht die Suizidbeihilfe kriminalisieren, die im Einzelfall in einer schwierigen Konfliktsituation gewährt wird. Wiederholung ist das Kriterium, an dem sich die Strafbarkeit ausrichten soll. Eine Gratwanderung: Ab welchem Maß an Wiederholung wird die Beihilfe strafbar?
Ärzte nimmt das Papier nicht von der Strafbarkeit aus. Laut Michael Brand sucht es einen "Weg zwischen Totalverbot und Öffnung hin zum ärztlich assistierten Suizid". Einen ärztlich assistierten Suizid als geregelten Fall will die Gruppe aber ausdrücklich nicht. Ein solcher könnte einen "Dammbruch in der Sterbehilfe" bedeuten, sagte Brand, der auch Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des Bundestags ist. Diese Auffassung teilt der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery.
Für die Ärzte würde sich also im besten Falle nichts ändern. Es bliebe dabei, dass in der sterbebegleitenden Palliativmedizin Patienten mit übermäßigen Schmerzen durch Medikamente so sediert werden dürfen, dass auch ein dadurch früher eintretender Tod in Kauf genommen wird (sogenannte mittelbare Sterbehilfe). Es bliebe voraussichtlich auch bei der jetzigen Regelung, die Medizinern eine Hilfe zur Selbsttötung ihrer Patienten in manchen Bundesländern verbietet und dies in anderen ihrer Entscheidung überlässt.
2/3: Der Künast-Entwurf: die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung
Im Extremfall könnte nach dem Brand-Entwurf jede ärztliche Unterstützung bei einem Suizid strafrechtliche Konsequenzen haben. Wenn gleichzeitig mit dem Verzicht auf die Gewerbsmäßigkeit als strafbarkeitsbegründendes Tatbestandsmerkmal eine Ausnahme nur für Angehörige und Freunde von Patienten, aber eben nicht für Ärzte gemacht wird, birgt das erhebliche Gefahren für Ärzte, die häufig mit Patienten konfrontiert sind, die dem Tod näher stehen als dem Leben.
Der Entwurf einer Gruppe rund um die Vorsitzende des Rechtausschusses Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) vertritt die Meinung, dass eine Kriminalisierung jeder organisierten Form der Suizidbegleitung, also auch von ehrenamtlichen Vereinen, oder jeder geschäftsmäßigen Form, also etwa von Ärzten, den betroffenen Menschen "die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten und würdevollen Tod nähme".
Die Gruppe will daher nur die gewerbsmäßige, also gewinnorientierte Hilfe zur Selbsttötung verbieten. Gleichzeitig definiert sie in einem eigenen Gesetz Voraussetzungen für die Beratung und Dokumentation bei der geschäftsmäßigen oder organisierten Hilfe zur Selbsttötung und will deklaratorisch festschreiben, dass die Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist, und dass Ärzte diese vornehmen dürfen, aber nicht müssen. Berufsständische Regelungen, die es Ärzten untersagen, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten, wollen diese Abgeordneten für unwirksam erklären.
Der Hintze-Entwurf: Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz)
Auch Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) wies in der Debatte bei der ersten Lesung darauf hin, dass das von Brand geplante Verbot, anders als beabsichtigt, gerade Ärzte wie Krebsspezialisten und Palliativmediziner bedrohe, die viele todkranke Menschen begleiten. Sie müssten befürchten, dass aus den wenigen Ausnahmefällen, in denen sie Sterbehilfe leisteten, eine geschäftsmäßige Suizidhilfe konstruiert werde.
Seine Gruppe wolle mit ihrem Entwurf, dem Experten für den nach dem Brand-Papier aussichtsreichsten halten, den Ärzten mehr Rechtssicherheit geben. Das sei nötig, denn auch das von Land zu Land unterschiedliche Berufsrecht verunsichere die Ärzte, so Hintze.
Der Bundestagsvizepräsident sowie die beiden SPD-Fraktionsvize Carola Reimann und Karl Lauterbach wollen einen ärztlich assistierten Suizid in bestimmten, ausdrücklich definierten Fällen ermöglichen. Dazu wollen sie das StGB und dessen Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid unangetastet lassen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Abschnitt "Selbstbestimmung des Patienten", soll in Sachnähe zur Patientenverfügung in § 1921a eine Regelung eingefügt werden, die es Ärzten ausdrücklich ermöglicht, unter bestimmten definierten Voraussetzungen dem Wunsch eines todkranken Patienten nach Hilfe bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung zu entsprechen.
Ärztepräsident Montgomery, der eine Uneinheitlichkeit der derzeitigen Rechtslage bestreitet, kündigte während des Gesetzgebungsverfahrens an, nach der Entscheidung des Bundestages über die Berufsordnungen der 17 Landesärztekammern zur Sterbebegleitung reden zu wollen. "Das werden wir hinterher machen, wenn wir die endgültige Gesetzesfassung kennen. Möglicherweise ergibt sich daraus auch noch anderer Handlungsbedarf für uns", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
3/3: Wissenschaftlicher Dienst bezweifelt Verfassungsmäßigkeit der Entwürfe
Am Brand-Entwurf beanstandeten sie einen möglichen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes. Denn es werde nicht klar, wie zwischen einer verbotenen geschäftsmäßigen Suizidhilfe mit Wiederholungsabsicht und einer erlaubten Sterbehilfe im Einzelfall aus selbstlosen Motiven unterschieden werden soll.
Ähnliche Bedenken hegen die Juristen auch bei dem Plan der Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke), die nur die kommerzielle, also gewerbsmäßige Suizidhilfe mit Haftstrafen sanktionieren will.
Der Entwurf der Gruppe um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) greife in das den Ländern obliegende Standesrecht der Ärzte ein, so die Kritik. Dafür fehle dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz.
Nützt ein neues Gesetz mehr, als es schadet?
Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kritisierte juristische Mängel der Vorschläge: "Gerade in diesem sensiblen Bereich sollte man unklare Formulierungen im Gesetzestext vermeiden." Bei drei der vier Entwürfe sei klar, dass sie vor Gericht landen würden, sagte die SPD-Politikerin. Sie plädierte dafür, auf die geplante Neuregelung zu verzichten. "Besser kein neues Gesetz als ein schlechtes", sagte sie dem Magazin Spiegel. Zypries unterstützt einen Antrag der grünen Rechtsexpertin Katja Keul, gar kein Gesetz zu verabschieden.
Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, forderte die Bundestagsabgeordneten auf, keinen der vorliegenden Gesetzentwürfe zu beschließen. Die Parlamentarier "sollten es bei der Straflosigkeit der Beihilfe zu einem frei verantwortlichen Suizid belassen", sagte Woopen dem Magazin Focus.
Renate Künast, Mitinitiatorin eines Entwurfs und Vorsitzende des Rechtausschusses, schrieb in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten: "Es steht allen Abgeordneten offen, keinen der vier vorgelegten Gesetzentwürfe zu unterstützen. Das wäre kein Zeichen der Schwäche, sondern angesichts vieler offener Fragen nur zu verständlich." Ablehnung könne aber nicht mit Enthaltung zum Ausdruck gebracht werden, da diese bei der Schlussabstimmung nicht zähle und somit der größten Gruppe nütze.
Die Abgeordneten werden ohne Fraktionszwang und nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet entscheiden. Die Fraktionsführungen nehmen vor allem bei ethischen Fragen Gesetzentwürfe hin, die von der Mehrheitsmeinung abweichen, so auch bei der Reform des Abtreibungsrechts 1974. Beim neuen Transplantationsgesetz von 1997 und zuletzt 2011 bei der Abstimmung über die ethisch heikle Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID) war die Abstimmung ebenfalls freigegeben.
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, Bundestag stimmt über Sterbehilfe ab: Wer darf den letzten Weg begleiten? . In: Legal Tribune Online, 05.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17435/ (abgerufen am: 08.12.2023 )
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