Bundestag stimmt über Sterbehilfe ab: Wer darf den letzten Weg beg­leiten?

von Pia Lorenz

05.11.2015

3/3: Wissenschaftlicher Dienst bezweifelt Verfassungsmäßigkeit der Entwürfe

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat, wie Ende August bekannt wurde, nur an dem am wenigsten aussichtsreichen Entwurf, welcher die Beihilfe zum Suizid unter Strafe stellen will, keine Zweifel. Die Verfassungsmäßigkeit der drei anderen, ernsthaft zur Debatte stehenden Entwürfe, zweifeln die Bundestags-Juristen an.

Am Brand-Entwurf beanstandeten sie einen möglichen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes. Denn es werde nicht klar, wie zwischen einer verbotenen geschäftsmäßigen Suizidhilfe mit Wiederholungsabsicht und einer erlaubten Sterbehilfe im Einzelfall aus selbstlosen Motiven unterschieden werden soll.

Ähnliche Bedenken hegen die Juristen auch bei dem Plan der Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke), die nur die kommerzielle, also gewerbsmäßige Suizidhilfe mit Haftstrafen sanktionieren will.

Der Entwurf der Gruppe um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) greife in das den Ländern obliegende Standesrecht der Ärzte ein, so die Kritik. Dafür fehle dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz.

Nützt ein neues Gesetz mehr, als es schadet?

Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kritisierte juristische Mängel der Vorschläge: "Gerade in diesem sensiblen Bereich sollte man unklare Formulierungen im Gesetzestext vermeiden." Bei drei der vier Entwürfe sei klar, dass sie vor Gericht landen würden, sagte die SPD-Politikerin. Sie plädierte dafür, auf die geplante Neuregelung zu verzichten. "Besser kein neues Gesetz als ein schlechtes", sagte sie dem Magazin Spiegel. Zypries unterstützt einen Antrag der grünen Rechtsexpertin Katja Keul, gar kein Gesetz zu verabschieden.

Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, forderte die Bundestagsabgeordneten auf, keinen der vorliegenden Gesetzentwürfe zu beschließen. Die Parlamentarier "sollten es bei der Straflosigkeit der Beihilfe zu einem frei verantwortlichen Suizid belassen", sagte Woopen dem Magazin Focus.

Renate Künast, Mitinitiatorin eines Entwurfs und Vorsitzende des Rechtausschusses, schrieb in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten: "Es steht allen Abgeordneten offen, keinen der vier vorgelegten Gesetzentwürfe zu unterstützen. Das wäre kein Zeichen der Schwäche, sondern angesichts vieler offener Fragen nur zu verständlich." Ablehnung könne aber nicht mit Enthaltung zum Ausdruck gebracht werden, da diese bei der Schlussabstimmung nicht zähle und somit der größten Gruppe nütze.

Die Abgeordneten werden ohne Fraktionszwang und nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet entscheiden. Die Fraktionsführungen nehmen vor allem bei ethischen Fragen Gesetzentwürfe hin, die von der Mehrheitsmeinung abweichen, so auch bei der Reform des Abtreibungsrechts 1974. Beim neuen Transplantationsgesetz von 1997 und zuletzt 2011 bei der Abstimmung über die ethisch heikle Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID) war die Abstimmung ebenfalls freigegeben.

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Bundestag stimmt über Sterbehilfe ab: Wer darf den letzten Weg begleiten? . In: Legal Tribune Online, 05.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17435/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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