Das Entgelttransparenzgesetz wird die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen nicht beseitigen. Es kann die Situation sogar verschlimmern. Ein Interview mit Heide Pfarr, die die Familienministerin beim ersten Entwurf beraten hat.
LTO: Frau Professorin Pfarr, Sie haben das Ministerium intensiv zur ersten Fassung des Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz – EntgTransG) beraten. Wozu die Arbeit? Der Blick in die Statistik zeigt doch, dass der bereinigte Lohnunterschied lediglich bei sieben Prozent liegen soll und Deutschland damit im europäischen Vergleich einen guten Platz einnimmt?
Prof. Dr. Heide Pfarr: Nur mit einer Korrektur der Zahl von 21 Prozent Entgeltlücke kommt man auf diese Angaben. Und darin liegt bereits der erste Rechtsverstoß. Die sieben Prozent Lohndifferenz sind erst das Ergebnis, wenn man beim Lohnunterschied die Lohnniveaus unterschiedlicher Branchen und Berufe sowie ungleich verteilte Arbeitsplatzanforderungen hinsichtlich Führung und Qualifikation abzieht. Hinzu kommen Faktoren wie das Dienstalter und der Beschäftigungsumfang.
Mit dieser Bereinigung der Zahlen wird zum Beispiel auch suggeriert, dass es in Ordnung sei, dass Frauen in Teilzeit pro Stunde schlechter bezahlt werden als Männer in derselben Position in Vollzeit. Das ist aber nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) nicht erlaubt, § 4 Abs. 1 TzBfG. Und die Studie, auf die Sie Bezug nehmen, liefert noch andere schön gerechnete Durchschnittswerte.
LTO: Die Studie stammt vom Statistischen Bundesamt, das als neutraler Dienstleister der Bundesregierung agieren soll. Worauf stützen Sie Ihre abweichenden Erkenntnisse?
Pfarr: Auf eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds, die ein realistischeres Bild zeichnet und andere Berechnungen. Sie zeigen, dass die Lohnunterschiede teilweise viel höher sind als die 21 Prozent, welche die von Ihnen zitierte unbereinigte Statistik als Durchschnittswert aufführt. Das betrifft vor allem das mittlere Management, wo es keine Tarifverträge gibt. Da gibt es Lohnunterschiede von bis zu 30 Prozent.
"Individueller Auskunftsanspruch lebensfremd"
LTO: Das EntgTransG gilt als ein mit viel Leidenschaft und Überzeugung vorangetriebenes Vorzeigeprojekt von Familienministerin Manuela Schwesig. Vorgesehen sind etwa Auskunftsrechte und Aufforderungen zur Prüfung an Unternehmen, um Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen zu erreichen. Kann das Gesetz mit diesen Mechanismen diese Gehaltsunterschiede aufheben?
Pfarr: In der ursprünglichen Fassung ja. In dem Gesetzentwurf von Oktober, der den Beschluss des Koalitionsausschusses umsetzt, ist von den zielführenden Regelungen dagegen wenig bis gar nichts übriggeblieben. Das Gesetz hat jeden Biss verloren.
In der ersten Fassung waren Auskunftsrechte über das Lohngefüge von Betriebsrat und Gewerkschaften vorgesehen, jetzt soll es nur noch einen individuellen Auskunftsanspruch der Beschäftigten selbst geben. Es ist aber vollkommen lebensfremd, dass Beschäftigte – und zwar egal ob Mann oder Frau – in einem lebendigen Arbeitsverhältnis derartige Ansprüche geltend machen und notfalls sogar einklagen. Die Sorge um den Arbeitsplatz, um das Betriebsklima und natürlich die Scheu vor dem Kostenrisiko eines Prozesses wären viel zu groß.
Hinzu kommt, dass es mit der Neufassung für die Beschäftigten viel zu schwierig wird, überhaupt an die richtigen Informationen zu kommen. Sie müssen nach § 11 E-EntgTransG nämlich gegenüber dem Arbeitgeber direkt "eine ihres Erachtens nach gleiche oder gleichwertige Tätigkeit" benennen und können dazu neben dem "durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt" Auskunft zu bis zu zwei einzelnen Entgeltbestandteilen erfragen. Bei der Vielzahl an möglichen Gehaltskomponenten müsste man schon viel Glück haben, um zufällig nach den richtigen Lohnbestandteilen zu fragen, die zur Lohnungleichheit führen.
Ansprechpartner für das Auskunftsverlangen ist nach der aktuellen Fassung in der Regel der Betriebsrat. Der ist aber gar nicht Vertragspartner in dem Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und beschäftigter Person. Er müsste daher faktisch Einsicht in alle Arbeitsverträge nehmen können, was wiederum – schon aus Datenschutzgründen - eine absurde Regelung ist.
2/3: Marketing-Tool statt echter Prüfpflicht
LTO: In dem EntgTransG werden aber die Betriebe aufgefordert, die bei ihnen geltenden Entgeltregelungen und -bestandteile auf Entgeltdiskriminierung hin zu überprüfen. Danach würden doch die Lohnunterschiede ohnehin angeglichen werden und die Beschäftigten müssen die Ansprüche gar nicht persönlich geltend machen?
Pfarr: Diese Betriebsprüfungen verkommen aber in der aktuellen Fassung des Entwurfs zu einem reinen PR- und Marketing-Tool für die Unternehmen. Zunächst einmal gilt die Regelung nur für Betriebe ab 500 Beschäftigten. Und selbst diese werden dann zu der Entgeltprüfung nur "aufgefordert", nicht verpflichtet.
Das im ursprünglichen Gesetzentwurf der Ministerin vorgesehene betriebliche Entgeltprüfungsverfahren, das verbindlich vorgeschrieben und über ein zentrales Zertifizierungsverfahren nachweislich geeignet war, diskriminierende Praxen aufzudecken, ist also entfallen. Dabei war es das wirkungsvollste Instrument zur Durchsetzung der Lohngleichheit.
Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Unternehmen nach § 11 E-EntgTranspG die Methode dieser Prüfung frei wählen können. Derartige Prüfverfahren aufzusetzen, wird ein neues Geschäftsmodell für Kanzleien und Unternehmensberater. Denn die Verfahren müssen nicht zertifiziert sein, so dass nicht garantiert ist, dass sie den europarechtlichen Regelungen und der konkretisierenden Rechtsprechung entsprechen.
Das heißt, dass Unternehmen sich ein Verfahren aussuchen könnten, sich ihrer angeblichen Diskriminierungsfreiheit rühmen und damit nicht nur Werbung machen, sondern zudem sogar Ansprüche von tatsächlich diskriminierten Beschäftigten zum Erlöschen bringen könnten. Denn die Diskriminierungsfreiheit wird nach § 19 Abs. 2 E-EntgTranspG vermutet, sobald ein Unternehmen das Prüfverfahren durchlaufen hat – und das braucht es nur alle fünf Jahre.
In Betrieben mit weniger als 500, aber mehr als 200 Beschäftigten gibt es nicht einmal mehr diese Prüfpflichten, sondern nur noch einen Auskunftsanspruch.
Betriebe mit weniger als 200 Beschäftigten werden gar nicht mehr vom Gesetz erfasst. Dabei sind gerade dort sehr viele Frauen beschäftigt und die Lohnlücke ist besonders groß. Das reicht so alles nicht.
3/3: Falsch vermutet: keine Diskriminierung bei Tarifregelungen
LTO: Es bleiben die tarifvertraglichen Regelungen. Ist den Tarifvertragsparteien nicht zuzutrauen, dass sie für Lohngleichheit sorgen?
Pfarr: Tarifvertragliche Regelungen werden nach dem neuen Entwurf überhaupt nicht auf Entgeltdiskriminierung überprüft. Es besteht vielmehr künftig eine gesetzliche Vermutung, dass sie nicht diskriminieren. Dabei haben Gerichtsurteile und wissenschaftliche Untersuchungen das Diskriminierungspotenzial in Tarifverträgen hinreichend belegt. Und selbst die Begründung des Gesetzentwurfs geht davon aus, dass es auch in Betrieben mit Tarifbindung und betrieblicher Mitbestimmung eine, wenn auch geringere, aber dennoch vorhandene Entgeltlücke gibt.
Und dennoch gesteht der Gesetzentwurf diese Vermutung der Diskriminierungsfreiheit tarifvertraglicher Regelungen und die Einschränkung ihrer Überprüfbarkeit nicht nur tarifgebundenen Arbeitgebern zu, sondern sogar solchen, die lediglich Tarifregelungen verbindlich anwenden.
"Dieses Gesetz kann schädliche Wirkungen haben"
LTO: Welche Änderungen am Entwurf fordert der Juristinnenbund konkret?
Pfarr: In allen Fragen der Gleichstellung der Geschlechter hat es bisher nie ausgereicht, wenn die Arbeitgeber zu entsprechendem Handeln lediglich aufgefordert werden. Es bedürfte daher einer verbindlichen Pflicht für alle Unternehmen, einheitliche, von einer zentralen Stelle zertifizierte Prüfverfahren durchzuführen.
Darüber hinaus müssen staatliche oder zivilgesellschaftliche Institutionen ermächtigt werden, die Einhaltung dieser Pflicht durchzusetzen – durch Verbandsklagemöglichkeiten, und auch durch Verbesserung der Rechte der Interessenvertretungen von Beschäftigten wie Gewerkschaften, Betriebs- bzw. Personalräten. Denn erst über den Gang zu den Arbeitsgerichten kann man verbindlich klarstellen lassen, dass bestimmte Regelungen des Gesetzes europarechtswidrig sind und deshalb nicht gelten oder abweichend ausgelegt werden müssen. Dieses Risiko sollte nicht an einzelnen Beschäftigen hängen.
Würde ein Transparenzgesetz wie in dem Gesetzentwurf in Kraft treten, wäre es nicht nur notwendigerweise ineffektiv, sondern sogar schädlich. Denn so kann die Forderung von Frauen, endlich Entgeltgleichheit durchzusetzen, mit der Behauptung zurückgewiesen werden, die Forderung sei mit diesem Gesetz ja erfüllt. Quasi eine Einladung, die fordernden Frauen wieder auf die Position zu stellen, wo sie - immer voller Hoffnung - all die Jahrzehnte so schön standen: geduldig dazu bereit, geschlechtsbezogenes Unrecht hinzunehmen.
Professorin Dr. Heide Pfarr ist Rechtswissenschaftlerin, SPD-Politikerin und beim Deutschen Juristinnenbund Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht. Zum ersten Entwurf des Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz – EntgTransG) hat sie Familienministerin Manuela Schwesig beraten.
Das Gespräch führte Tanja Podolski.
Tanja Podolski, Gesetzentwurf zu gleichem Lohn für Männer und Frauen: "Lebensfremd, ineffizient, sogar schädlich" . In: Legal Tribune Online, 02.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21331/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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