Gesetzentwurf zu gleichem Lohn für Männer und Frauen: "Lebens­f­remd, inef­fi­zient, sogar schäd­lich"

von Tanja Podolski

02.12.2016

Das Entgelttransparenzgesetz wird die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen nicht beseitigen. Es kann die Situation sogar verschlimmern. Ein Interview mit Heide Pfarr, die die Familienministerin beim ersten Entwurf beraten hat.

LTO: Frau Professorin Pfarr, Sie haben das Ministerium intensiv zur ersten Fassung des Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz – EntgTransG) beraten. Wozu die Arbeit? Der Blick in die Statistik zeigt doch, dass der bereinigte Lohnunterschied lediglich bei sieben Prozent liegen soll und Deutschland damit im europäischen Vergleich einen guten Platz einnimmt?

Prof. Dr. Heide Pfarr: Nur mit einer Korrektur der Zahl von 21 Prozent Entgeltlücke kommt man auf diese Angaben. Und darin liegt bereits der erste Rechtsverstoß. Die sieben Prozent Lohndifferenz sind erst das Ergebnis, wenn man beim Lohnunterschied die Lohnniveaus unterschiedlicher Branchen und Berufe sowie ungleich verteilte Arbeitsplatzanforderungen hinsichtlich Führung und Qualifikation abzieht. Hinzu kommen Faktoren wie das Dienstalter und der Beschäftigungsumfang.

Mit dieser Bereinigung der Zahlen wird zum Beispiel auch suggeriert, dass es in Ordnung sei, dass Frauen in Teilzeit pro Stunde schlechter bezahlt werden als Männer in derselben Position in Vollzeit. Das ist aber nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) nicht erlaubt, § 4 Abs. 1 TzBfG. Und die Studie, auf die Sie Bezug nehmen, liefert noch andere schön gerechnete Durchschnittswerte.

LTO: Die Studie stammt vom Statistischen Bundesamt, das als neutraler Dienstleister der Bundesregierung agieren soll. Worauf stützen Sie Ihre abweichenden Erkenntnisse?

Pfarr: Auf eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds, die ein realistischeres Bild zeichnet und andere Berechnungen. Sie zeigen, dass die Lohnunterschiede teilweise viel höher sind als die 21 Prozent, welche die von Ihnen zitierte unbereinigte Statistik als Durchschnittswert aufführt. Das betrifft vor allem das mittlere Management, wo es keine Tarifverträge gibt. Da gibt es Lohnunterschiede von bis zu 30 Prozent.

"Individueller Auskunftsanspruch lebensfremd"

LTO: Das EntgTransG gilt als ein mit viel Leidenschaft und Überzeugung vorangetriebenes Vorzeigeprojekt von Familienministerin Manuela Schwesig. Vorgesehen sind etwa Auskunftsrechte und Aufforderungen zur Prüfung an Unternehmen, um Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen zu erreichen. Kann das Gesetz mit diesen Mechanismen diese Gehaltsunterschiede aufheben?

Pfarr: In der ursprünglichen Fassung ja. In dem Gesetzentwurf von Oktober, der den Beschluss des Koalitionsausschusses umsetzt, ist von den zielführenden Regelungen dagegen wenig bis gar nichts übriggeblieben. Das Gesetz hat jeden Biss verloren.

In der ersten Fassung waren Auskunftsrechte über das Lohngefüge von Betriebsrat und Gewerkschaften vorgesehen, jetzt soll es nur noch einen individuellen Auskunftsanspruch der Beschäftigten selbst geben. Es ist aber vollkommen lebensfremd, dass Beschäftigte – und zwar egal ob Mann oder Frau – in einem lebendigen Arbeitsverhältnis derartige Ansprüche geltend machen und notfalls sogar einklagen. Die Sorge um den Arbeitsplatz, um das Betriebsklima und natürlich die Scheu vor dem Kostenrisiko eines Prozesses wären viel zu groß.

Hinzu kommt, dass es mit der Neufassung für die Beschäftigten viel zu schwierig wird, überhaupt an die richtigen Informationen zu kommen. Sie müssen nach § 11 E-EntgTransG nämlich gegenüber dem Arbeitgeber direkt "eine ihres Erachtens nach gleiche oder gleichwertige Tätigkeit" benennen und können dazu neben dem "durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt" Auskunft zu bis zu zwei einzelnen Entgeltbestandteilen erfragen. Bei der Vielzahl an möglichen Gehaltskomponenten müsste man schon viel Glück haben, um zufällig nach den richtigen Lohnbestandteilen zu fragen, die zur Lohnungleichheit führen.

Ansprechpartner für das Auskunftsverlangen ist nach der aktuellen Fassung in der Regel der Betriebsrat. Der ist aber gar nicht Vertragspartner in dem Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und beschäftigter Person. Er müsste daher faktisch Einsicht in alle Arbeitsverträge nehmen können, was wiederum – schon aus Datenschutzgründen - eine absurde Regelung ist.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Gesetzentwurf zu gleichem Lohn für Männer und Frauen: "Lebensfremd, ineffizient, sogar schädlich" . In: Legal Tribune Online, 02.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21331/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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