Druckversion
Sonntag, 26.11.2023, 11:07 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/gesetzentwurf-strafrecht-hatecrimes-generalbundesanwalt-nsu-untersuchungsausschuss/
Fenster schließen
Artikel drucken
11772

Gesetzentwurf nach dem NSU-Ausschuss: Mehr Strafe für Hass-Ver­b­re­chen, mehr Macht für den Gene­ral­bun­des­an­walt

von Annelie Kaufmann

23.04.2014

Rassistisch motivierte Gewalt (Symbolbild)

© nicolas dumoulin - Fotolia.com

Bundesjustizminister Heiko Maas legt einen Gesetzentwurf vor, um Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Mehr Kompetenzen für den Generalbundesanwalt will er und rassistische und menschenverachtende Motive von Straftaten härter bestrafen. Opfervertreter halten das bestenfalls für Symbolpolitik. Und sehen das Problem woanders.

Anzeige

Auf mehr als 1.000 Seiten hatte der Untersuchungsausschuss des Bundestags im August vorigen Jahres über den Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds berichtet, Behördenversagen aufgelistet und Empfehlungen ausgesprochen.

Für den Bereich Justiz stehen diese auf der Seite 863 unter den Nummern 22 bis 30. Diese Empfehlungen will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nun umsetzen - sein Gesetzentwurf wird zur Zeit mit den anderen Ministerien abgestimmt und liegt LTO vor. Maas will damit die Rolle des Generalbundesanwalts stärken und rassistische Motive bei Straftaten stärker berücksichtigen.

Der Untersuchungsausschuss hatte kritisiert, dass die Morde an den türkisch- und griechischstämmigen Händlern in mehreren Bundesländern auch deshalb nicht rechtzeitig aufgeklärt wurden, weil die Staatsanwaltschaften nicht gemeinsam ermittelten. Der Generalbundesanwalt hatte sich zunächst für nicht zuständig erklärt, allerdings lagen ihm auch keine ausreichenden Hinweise vor, um seine Zuständigkeit zu prüfen.

 

Mehr Infos und Zuständigkeit für den Generalbundesanwalt

Grundsätzlich ist der Generalbundesanwalt nur bei besonders gravierenden Straftaten gegen die innere und äußere Sicherheit zuständig. Er kann außerdem bei anderen schweren Straftaten in bestimmten Fällen die Ermittlungen an sich ziehen. Den Rahmen für diese Zuständigkeit gibt das Grundgesetz vor, die Einzelheiten sind im Gerichtsverfassungsgesetz geregelt.

Hier sieht der Gesetzentwurf nun mehrere Änderungen vor. Sie sollen sicher stellen, dass der Generalbundesanwalt frühzeitig eingebunden wird, wenn es um Fälle geht, die in seine Zuständigkeit fallen könnten. Zwar waren die Landesstaatsanwaltschaften schon bisher verpflichtet, den Generalbundesanwalt bei entsprechenden Anhaltspunkten schnell und umfassend zu informieren – im NSU-Fall haben sie das jedoch nicht getan.

Diese Informationspflicht soll deshalb in das Gesetz aufgenommen werden. Außerdem soll es künftig ausreichen, dass eine Tat "objektiv staatsschutzfeindlichen Charakter" hat. Es soll also nicht mehr darauf ankommen, ob der Täter subjektiv staatsschutzfeindliche Ziele hat, denn solche Tätervorstellungen sind meist schwer festzustellen. Auch länderübergreifende Taten sollen stärker berücksichtigt werden. Bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Ländern soll der Generalbundesanwalt über die Zuständigkeit entscheiden.

Künast: "Das größte Versagen war beim BKA"

 

Wirklich neue Kompetenzen erhält der Generalbundesanwalt damit nicht, aber seine Rolle soll unterstrichen werden. Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass Ermittlungen damit häufiger von den Ländern auf den Bund übertragen werden könnten. Ob das in der Praxis so kommen wird, bleibt abzuwarten.

Die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags, Renate Künast (Grüne), begrüßt die Änderungen. Als "bloße Zeitungsleser- und Auswerter" seien der Generalbundesanwalt und seine Mitarbeiter "überbezahlt". Die Bundesanwaltschaft müsse "die Kompetenz und die Verpflichtung erhalten, die Frage des Ob ihrer Zuständigkeit selber ermitteln zu können".

Änderungsbedarf sieht Künast aber vor allem bei anderen Behörden: "Das Bundeskriminalamt sollte eigentlich der Ort sein, an dem sich die kriminalistische Kompetenz ballt. Hier war es aber der Ort des größten Versagens, von der Nichtauswertung der Garagenliste in Jena über das Versanden-Lassen der Ceska-Spur bis zum besonders bornierten Festhalten an der Organisationstheorie." Die Ermittlungsbehörden hatten lange nach Tätern aus einer türkischen Mafia gesucht, rechtsextreme Motive jedoch nicht berücksichtigt. Die Polizei müsse deshalb "endlich in Ausbildung und personeller Zusammensetzung auf die Höhe einer Einwanderungsgesellschaft gebracht werden", so Künast.

Mehr Strafe für Hass und wieso das zu spät kommt

Maas hat deshalb einen weiteren Vorschlag in den Gesetzentwurf aufgenommen, der schon seit Jahren diskutiert wird. Rassistische und menschenverachtende Motive von Straftätern sollen zu höheren Strafen führen.

Tatsächlich finden die Beweggründe und Ziele des Täters bei der Strafzumessung zwar auch jetzt schon Beachtung. In § 46 des Strafgesetzbuchs (StGB) soll nun aber eingefügt werden, dass "rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende" Ziele besonders berücksichtigt werden müssen.

Maas will damit nicht nur erreichen, dass die Gerichte solche Motive stärker beachten. Vielmehr sollen schon Polizei und Staatsanwaltschaft stärker in diese Richtung ermitteln. Der Berliner Rechtsanwalt Peer Stolle, Nebenklagevertreter im NSU-Prozess, ist jedoch skeptisch: "Das ist eigentlich Augenwischerei, da wird Aktionismus dokumentiert, der an anderer Stelle besser angebracht wäre."

Er sieht das Problem vor allem bei den Ermittlungsbehörden. Wenn hier etwa rassistische Motive nicht erkannt werden, können die Gerichte das auch nicht im Verfahren berücksichtigen. "Es gibt auch jetzt noch immer wieder Fälle, in denen bei Ermittlungen rassistische Motive ausgeblendet werden, obwohl Neonazis Migranten angreifen und dabei 'Türkenschlampe' oder 'Scheiß-Ausländer' brüllen." Als Nebenklagevertreter habe er aber auch schon Ermittlungsberichte zu Gesicht bekommen, in denen von "Negern" oder "Zigeunern, mit einem Hang zur Lüge" berichtet wird, so Stolle. "Wir müssen das Problem des institutionellen Rassismus ganz klar benennen und dort ansetzen", fordert er.

Dafür braucht es allerdings mehr als Gesetzesänderungen. Auch die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses für den Bereich Justiz enden, unter der Nummer 33, mit einer Forderung, die darüber hinaus geht: Die Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und Justizvollzugsbeamten müsse "die Grundlage dafür legen, dass Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in ihrer Gefährlichkeit nicht unterschätzt werden."

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Gesetzentwurf nach dem NSU-Ausschuss: Mehr Strafe für Hass-Verbrechen, mehr Macht für den Generalbundesanwalt . In: Legal Tribune Online, 23.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11772/ (abgerufen am: 29.11.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Strafrecht
    • Extremismus
    • Hassverbrechen
    • Innere Sicherheit
    • NSU
    • Rechtsextremismus
    • Straftaten
27.11.2023
Cannabis-Legalisierung

Ampel-Fraktionen einigen sich auf geändertes Cannabisgesetz:

Ent­kri­mi­na­li­sie­rung zum 1. April 2024

Kleinere Konsumverbotszonen, größere erlaubte Menge beim Eigenanbau, dafür aber auch Strafverschärfungen, wenn es um Minderjährige geht: Die Ampel hat sich auf diverse Änderungen des Cannabisgesetzes verständigt.

Artikel lesen
15.11.2023
Antisemitismus

Nach Hamas-Verbot durch das BMI:

"From the River to the Sea" plötz­lich strafbar?

Bislang war die Strafbarkeit der Parole eine Frage des Einzelfalls. Durch einen Halbsatz in der Hamas-Verbotsverfügung des Innenministeriums könnte der Spruch nun schlagartig strafbar geworden sein – pauschal und ohne jede Auslegung.

Artikel lesen
28.11.2023
Gil Ofarim

Sechster Verhandlungstag im Prozess gegen Gil Ofarim:

Die Hin­ter­gründe zum über­ra­schenden Geständnis

Im Prozess wegen falscher Verdächtigung führt das Geständnis Gil Ofarims zur Einstellung gegen Geldauflage, das Gericht sieht nur Gewinner, der Verteidiger verrät die Hintergründe und der Zentralrat der Juden spricht von großem Schaden. 

Artikel lesen
28.11.2023
Studium

LG Koblenz zur Kündigung von Studienvertrag:

Trink­ge­lage mit Ers­ties beein­träch­tigt Ansehen der Hoch­schule

Weil er in seiner Wohnung eine Feier mit viel Alkohol für Erstsemester veranstaltete, hat eine private Hochschule den Studienvertrag eines Drittsemester-Studenten gekündigt. Die fristlose Kündigung sei rechtmäßig, entschied das LG Koblenz.

Artikel lesen
28.11.2023
Gil Ofarim

"Die Vorwürfe treffen zu":

Ver­fahren gegen Ofarim nach Geständnis ein­ge­s­tellt

Im Prozess gegen Gil Ofarim gibt es eine überraschende Wende: Der Musiker legte am Dienstagmorgen ein Geständnis ab. Die Vorwürfe träfen zu, den betroffenen Hotelmanager bat er um Entschuldigung. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt.

Artikel lesen
27.11.2023
Medien

Juristische Fernsehkritik zum ZDF Magazin Royale:

Was ist dran an Böh­m­er­manns "Cancel-Klagen-Cul­ture"?

Jan Böhmermann knöpft sich Medienanwälte vor, die mit Einschüchterungsklagen angeblich die Pressefreiheit bedrohen. Eine verunglückt-verwirrende Sendung voller Unschärfen. Doch ein Anwalt konnte sich über kostenlose Kanzleiwerbung freuen.

Artikel lesen
TopJOBS
Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz , Wies­ba­den

Geld ver­die­nen als Te­le­fon­an­walt / Te­le­fon­an­wäl­tin

DAHAG Rechtsservices AG , 100% Re­mo­te

Staats­an­wält:in­nen (m/w/d) im Rich­ter­ver­hält­nis auf Pro­be (Be­sol­dungs­grup­pe...

Freie Hansestadt Bremen , Bre­men

Rich­ter:in­nen (w/m/d) im Rich­ter­ver­hält­nis auf Pro­be (Voll­ju­rist:in­nen...

Freie Hansestadt Bremen , Bre­men

Rich­ter/in auf Pro­be (m/w/d)

Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt , Mag­de­burg

Rechts­an­walt (m/w/d) - Me­xi­ko

Rödl & Partner

Re­fe­ren­da­rin/​Re­fe­ren­dar (m/​w/​d) Straf­recht

REDEKER SELLNER DAHS , Bonn

Steu­er-/Wirt­schafts­prü­fung­sas­sis­tent*in­nen (m/w/d)

Geipel & Kollmannsberger Partnerschaft mbB , Mün­chen

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Fachanwaltslehrgang Verkehrsrecht im Fernstudium/online

06.12.2023

Termine und Fristen – das Herzstück der Kanzlei sicher bedienen

06.12.2023

RA-MICRO vOffice – Das sichere virtuelle Büro inkl. Videokonferenzmöglichkeit

06.12.2023

BrownBag «ChatGPT in der Verwaltung: Go oder No-Go»

06.12.2023

Kölner Tage Krypto und Steuern 2023

08.12.2023, Köln

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH