Dem Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen soll das Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit abhelfen. Das wird es aber nicht leisten können, denn der Entwurf enthält außer viel Bürokratie und Symbolpolitik kaum Sinnvolles, meint Anna Köhn.
Seit Dezember 2015 liegt der Referentenentwurf zum Lohngerechtigkeitsgesetz aus der Feder des Familienministeriums vor. Es gilt als das mit viel Leidenschaft und Überzeugung vorangetriebene Vorzeigeprojekt von Ministerin Manuela Schwesig. Doch so ehrenhaft das mit dem Gesetzesentwurf verfolgte Ziel sein mag, umso problematischer gestaltet sich seine Umsetzung. Neben zahlreichen Berichtspflichten und einem umständlichen Prüfverfahren für große Unternehmen stellt sich auch die Frage, was das Gesetz den Arbeitnehmern in der Praxis bringen wird.
Ein Blick auf die Statistiken zeigt, dass es tatsächlich eine Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen in Deutschland gibt. Im Durchschnitt verdienen Männer 22 Prozent mehr als Frauen. Schaut man aber genauer hin, ist der Unterschied nicht mehr ganz so gravierend. Denn bei gleicher formaler Qualifikation und exakt gleichen Merkmalen wie Dauer der Betriebszugehörigkeit oder gleicher Stellung im Unternehmen liegt der Entgeltunterschied zwischen Männern und Frauen laut Statistischem Bundesamt nur noch bei sieben Prozent und ist damit einer der niedrigsten Werte in der EU. Dennoch ist der Gesetzgeber nach dem Grundgesetz richtigerweise weiterhin verpflichtet, eine Gleichbehandlung zwischen den Geschlechtern zu fördern und die immer noch bestehenden Nachteile zu beseitigen.
Förderung der Gleichbehandlung schon durch das AGG
In Bezug auf das Arbeitsentgelt und alle anderen Arbeitsbedingungen ist der Gesetzgeber dieser Pflicht bereits durch das 2006 eingeführte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nachgekommen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist damit schon lange gesetzlich verankert. Ebenso besteht bereits jetzt nach dem AGG die Möglichkeit, auf gleichen Lohn zu klagen.
Der neue Gesetzesentwurf zielt in eine andere Richtung und will die Unternehmen vor allem zu größerer Transparenz im Hinblick auf die Lohngestaltung zwingen. Es ist höchst zweifelhaft, ob damit das - grundsätzlich sehr ehrwürdige - Ziel der Lohngerechtigkeit erreicht werden kann.
Zentraler Punkt: Auskunftsanspruch
Ein zentraler Punkt des Entwurfs ist die Schaffung eines Auskunftsanspruchs des Arbeitnehmers zu bestimmten "Kriterien, Verfahren und des statistischen Medians" der Entgeltbestimmung. Der Auskunftsanspruch soll der Ermittlung des Entgelts von Vergleichspersonen des anderen Geschlechts sowie der Einordnung des eigenen Entgelts dienen. Ergibt diese Auskunft eine Benachteiligung, so soll der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung des höheren Lohns haben.
Der Entwurf sieht weiter vor, dass in einer Stellenausschreibung das vorgesehene Mindestentgelt angegeben werden soll. Der Arbeitgeber soll außerdem angeben, ob die Bereitschaft besteht, mehr als das vorgehsehe Mindestentgelt zu zahlen. Arbeitsvertragliche Klauseln, die Arbeitnehmer zur Geheimhaltung über die Höhe ihres Einkommens verpflichten, sollen künftig nichtig sein.
2/2: Extremer bürokratischer Unterbau
Soweit, so umfassend. Doch was darüber hinaus noch an bürokratischem Unterbau in dem Gesetz geregelt ist, macht jeden Praktiker stutzig. So sollen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern alle drei bzw. alle fünf Jahre ein zertifiziertes betriebliches Prüfverfahren durchführen müssen. Dieses Verfahren ist formal streng geregelt und muss eine Bestandsaufnahme über den gezahlten Lohn, eine Analyse und einen Ergebnisbericht enthalten. Weist der Ergebnisbericht Benachteiligungen in Bezug auf das Entgelt auf, müssen Arbeitgeber künftig Abhilfe schaffen und dazu einen Umsetzungsplan anfertigen.
Nach der Durchführung des betrieblichen Prüfverfahrens soll zusätzlich die Pflicht bestehen, einen Bericht zur Frauenförderung und Entgeltgleichheit zu erstellen und diesen dem Statistischen Bundesamt zukommen zu lassen. Als wären das noch nicht genug Berichtspflichten, sind Arbeitgeber nach dem Entwurf weiter verpflichtet, auf Betriebs- oder Abteilungsversammlungen sowie auf Betriebsratsversammlungen über den Stand der Entgeltgleichheit zu informieren. Zudem soll für Maßnahmen zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit ein neues Mitbestimmungsrecht für den Betriebsrat eingeführt werden. Dazu muss das Betriebsverfassungsgesetz geändert werden.
Bürokratische Hürden statt realer Chancengleichheit
Die Summe der geplanten Auskunftspflichten, Informations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sowie die Pflicht zur Durchführung eines zertifizierten Prüfverfahrens in Unternehmen ab 500 Mitarbeitern ist zu groß. Der bürokratische Aufwand steht in keinem Verhältnis zum abzusehenden Nutzen. Es wird damit massiv in Unternehmensstrukturen eingegriffen. So müssen Zuständigkeiten für die Durchführung des Prüfverfahrens und die Anfertigung der Berichte geschaffen werden.
Aber auch kleinere Unternehmen können entgegen ihrer bisherigen Praxis dazu gezwungen werden, Statistiken zu führen oder ausgefeilte Entgeltsysteme einzuführen. Denn andernfalls werden sie kaum in der Lage sein, die hohen formalen Anforderungen an den Auskunftsanspruch zu erfüllen.
Zweifelhaft ist auch die Verpflichtung, bereits in der Stellenausschreibung das Mindestentgelt anzugeben. Denn damit erfahren nicht nur Mitarbeiter des Unternehmens das Lohnniveau für die ausgeschriebene Tätigkeit, sondern auch jeder Dritte. Welche Auswirkungen dies auf das Lohnniveau insgesamt haben wird, bleibt abzuwarten.
Noch zweifelhafter ist die Verpflichtung, in der Stellenanzeige anzugeben, ob der Arbeitgeber zu einer höheren Vergütung bereit ist. Dies sollte das Resultat einer überzeugenden Verhandlung bei entsprechender Qualifikation und nicht das Ergebnis einer Stellenanzeige sein. Praktisch dürfte es für Arbeitgeber schwierig werden, individuell einem Bewerber zu erklären, dass er im konkreten Fall nicht bereit ist, mehr als das angegebene Mindestentgelt zu zahlen.
An der Wirklichkeit vorbei
Wenn das Gesetz in der aktuellen Fassung in Kraft treten sollte, ist keine signifikante Verringerung der Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen zu erwarten. Zu Recht erntet der Entwurf daher viel Kritik sowohl von arbeitgebernahen Verbänden als auch Frauen- und Arbeitnehmerverbänden, denen der Vorschlag nicht weit genug geht. Das Institut der deutschen Wirtschaft kam in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass der Unterschied der Einkommen nicht durch Diskriminierungen der Unternehmen entstehe und sich folgerichtig auch nicht qua Gesetz beheben ließe. Individuelle Entscheidungen wie Teilzeitarbeit oder der Verzicht auf Führungspositionen, Faktoren wie Betriebsgröße und Branche und nicht zuletzt auch die immer noch bestehenden Defizite in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien maßgeblich für Lohndifferenzen.
Diese Aspekte lässt der Gesetzesentwurf jedoch außen vor. Wichtiger als die mit dem Gesetz geplante Einführung maßloser Berichtspflichten wäre es, an der in der Praxis immer noch so schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf anzusetzen. Denn Kindererziehung ist nicht nur Frauensache. Lohngleichheit ist die Folge echter Chancengleichheit und nicht die von Berichtspflichten für Unternehmen.
Erst wenn sich nach der Geburt eines Kindes endlich auch junge Väter für einen längeren Zeitraum in die Elternzeit verabschieden und/oder nur noch in Teilzeit arbeiten, wird sich das Lohnniveau anpassen. Denn erst dann wird es für Arbeitgeber aus unternehmerischer Sicht genauso "riskant", einen jungen Mann mit Familie oder Familienplanung einzustellen wie eine junge Frau.
Die Autorin Anna Köhn ist Rechtsanwältin bei Altenburg Fachanwälte für Arbeitsrecht in Berlin. Sie berät Unternehmen und öffentliche Institutionen auf sämtlichen Gebieten des Arbeitsrechts.
Anna Köhn, Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen: Fern der Realität . In: Legal Tribune Online, 29.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19828/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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