Ein von der Bundesregierung beschlossener Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption setzt internationale Vorgaben um und soll Schmiergeldzahlungen in der Wirtschaft bestrafen. Warum er die Bestechlichkeit von Ärzten nicht regelt, ob der neue § 299 StGB die Kritik verdient hat und wieso sich chinesische Amtsträger nach deutschem Recht strafbar machen können, erklärt Michael Kubiciel.
LTO: Herr Professor Kubiciel, welche wesentlichen Änderungen bringt der Entwurf, den die Bundesregierung am vergangenen Mittwoch beschlossen hat?
Kubiciel: Vor allem wird die Strafbarkeit der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr ausgeweitet. Künftig soll es strafbar sein, im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil dafür anzunehmen oder zu versprechen, dass der Angestellte oder Beauftragte eine Pflicht gegenüber seinem Unternehmen verletzt. Diese Tatvariante kriminalisiert also nicht die korruptive Verzerrung des Wettbewerbs, sondern die Störung innerbetrieblicher Rechtsverhältnisse.
LTO: Aber ist die Annahme finanzieller Vorteile im Wirtschaftsleben nicht immer strafwürdig – also unabhängig davon, ob einem Wettbewerber damit unmittelbar Schaden zugefügt wird?
Kubiciel: Nicht unbedingt. Die neue Fassung könnte auch nicht strafwürdige Fälle erfassen, meinen die Kritiker. Die Untreue in § 266 Strafgesetzbuch (StGB) bestraft schließlich auch nicht sämtliche Pflichtverletzungen, sondern lediglich solche mit Vermögensbezug, und setzt einen Vermögensschaden voraus.
Bei den neuen Tatvarianten des § 299 StGB scheint es hingegen so, als erschöpfe sich das Unrecht darin, dass ein Anstoß für die Verletzung irgendeiner innerbetrieblichen Pflicht gesetzt wird. Damit stellt sich aber die Frage, weshalb die bloße Einwirkung Dritter auf ein arbeitsrechtliches Verhältnis strafbar sein soll, wenn aus dieser Verletzung nichts weiter folgt.
"Teile der Kritik waren interessengeleitet"
LTO: Welches nicht strafwürdige Verhalten könnte das zum Beispiel erfassen?
Kubiciel: Kritiker des Entwurfes nennen den Fall, dass ein seriöses Catering-Unternehmen seinen Mitarbeitern vorschreibt, Anzug und Hemd zu tragen. Wenn nun ein Auftraggeber dieses Unternehmens den Mitarbeitern anbietet, ihnen Geld dafür zu zahlen, dass sie bei seinem Event Karnevalskostüme tragen, ließe sich dieses – evident nicht strafwürdige – Verhalten unter den Wortlaut des neuen § 299 StGB fassen.
LTO: Teilen Sie als Verfasser des EU-Korruptionsbekämpfungsberichts die geschilderte Kritik an dem Entwurf?
Kubiciel: Nein, jedenfalls nicht in dieser Intensität. Ich bin einer der wenigen, welche die nun eingeleiteten Schritte nicht nur für europarechtlich nötig, sondern auch kriminalpolitisch sinnvoll halten. Außerdem glaube ich, dass sich die neuen Tatvarianten des § 299 durch eine restriktive Auslegung sachgerecht anwenden lassen. Im Vorfeld der Gesetzesänderung wurden verschiedentlich Horrorszenarien von einer ausufernden Kriminalisierung aufgebaut, die sich mit Sicherheit nicht bewahrheiten werden.
Teile der Kritik an dem Entwurf waren sicherlich auch interessengeleitet. Vor allem die Wirtschaft hatte kein Interesse an der Ausweitung der Korruptionsstrafbarkeit. So wurden Gefahren, die aus der geschilderten Unbestimmtheit der Norm drohen, überzeichnet. Jetzt, nachdem der Gesetzgeber den Entwurf vorgelegt hat, ist der Zeitpunkt gekommen, den Tatbestand vernünftig zu konturieren – und das ist auch möglich.
"Sachgerechte Interpretation berücksichtigt nicht nur den Wortlaut"
LTO: Wie denn? Schließlich hat die Bundesregierung ihren Vorschlag, die Pflicht, deren Verletzung nun strafbewehrt werden soll, als "wettbewerbsbezogene" zu definieren, nicht umgesetzt.
Kubiciel: Das ist richtig. Aber auch wenn diese Einschränkung nicht übernommen wurde, wissen wir Juristen ja auch, dass nicht nur der Wortlaut einer Norm über ihre Auslegung und Anwendung entscheidet. Meiner Meinung nach gibt schon der Rahmenbeschluss (Anm. d. Red: 2003/568/JI des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor (ABl. L 192 vom 31.7.2003, S. 54), auf dem der Entwurf der Koalition basiert, die Richtung vor, in welche auch der Rat und die internationalen Organisationen ohnehin drängen.
Dieser Rahmenbeschluss legt es nämlich nahe, der Vorschrift einen stärkeren Wettbewerbsbezug beizumessen, als sie nach dem Wortlaut hat. Daran und an der systematischen Stellung des Tatbestandes bei den Straftaten gegen den Wettbewerb lässt sich ansetzen, um zu einer sachgerechten Interpretation zu gelangen, diese zu suchen ja die ureigene Aufgabe von Juristen ist.
LTO: Im Jahr 2007 ist die damalige Bundesregierung mit einem fast identischen Entwurf zur Ausweitung der Korruptionsstrafbarkeit an politischen Widerständen gescheitert. Was ist heute anders?
Kubiciel: Die große Koalition hat jetzt – auch mit der Reform der Abgeordnetenbestechung im vergangenen Jahr – die Kraft gefunden, die größte Reform des Korruptionsstrafrechts seit 20 Jahren anzugehen. Ein Unterschied zum Jahr 2007 ist sicherlich, dass damals die Frist zur Umsetzung des genannten europäischen Rahmenbeschlusses noch nicht verstrichen war.
Entscheidend ist aber, dass die jetzt beschlossenen Ausweitungen im Bereich der Wirtschaft damals mit der Reform der Abgeordnetenbestechung verknüpft waren. Weil sich die letzte große Koalition nicht auf eine Verschärfung der Abgeordnetenbestechung einigen konnte, ist damals das gesamte Vorhaben gescheitert.
Pia Lorenz und Constantin Baron van Lijnden, Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Korruption: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14481 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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