Germanwings' Haftung nach dem Absturz: "Ob der Co-Pilot sich umbringen wollte, ist völlig egal"

von Anne-Christine Herr

27.03.2015

2/2: "Nur tatsächliche Schäden werden ersetzt"

LTO: Könnte die unbegrenzte Haftung am Ende die finanzielle Leistungsfähigkeit der Germanwings bedrohen?

Giemulla: Zunächst einmal zahlt sowieso die Versicherung, denn im Montrealer Übereinkommen ist auch eine Versicherungspflicht für Luftfrachtführer geregelt.

Und am Ende geht es für die Versicherungen der Airline auch um verhältnismäßig geringe Summen, maximal einen  zweistelligen Millionenbetrag. Das bedroht die finanzielle Leistungsfähigkeit der Fluggesellschaft nicht.

LTO: Wie setzt sich Ihre Schätzung zusammen? Welche Schäden werden denn überhaupt ersetzt?

Giemulla: Die Ersatzpflicht erfasst die Abgleichung der unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse. Das umfasst beispielsweise die Reise- und die Beerdigungskosten. Das ist nicht besonders viel, was ich für sehr problematisch halte.  

Alle darüber hinausgehenden Schäden müssen von den Hinterbliebenen nachgewiesen werden. Hier gilt das deutsche Schadensrecht, da die Opfer Deutsche waren. Und damit auch die normale Beweislastverteilung sowie der Gedanke des rein finanziellen Ausgleichs: Anders als beispielsweise im amerikanischen Recht werden nur die finanziellen Schäden ersetzt, die jemand tatsächlich erlitten hat.

Die Erstattung darf nicht zu einer Bereicherung des Anspruchstellers führen.
Weitere finanzielle Einbußen könnte zum Beispiel der Unterhaltsausfall der hierzu verpflichteten Person sein, wenn also das Elternteil eines Kindes stirbt. Bis zum 27. Lebensjahr muss der Unterhalt des Kindes gesichert sein. Das sind jedoch keine besonders großen Summen, ca. 500 Euro im Monat, also 60.00 Euro im Jahr. Darüber diskutieren Versicherungen natürlich nicht und zahlen anstandslos.  

Und nicht einmal das wird hier in den meisten Fällen zum Tragen kommen, wenn man sich die Zusammensetzung der Passagiergruppe anschaut. Denn tragischerweise waren hier besonders viele Kinder an Bord. Dann geht es allenfalls um die psychologische Betreuung der Familie. Doch auch dafür gehen die Krankenkassen sofort in Vorleistung und lassen sich die Kosten von der Versicherung der Fluggesellschaft erstatten.

"Dass das Leben nicht mehr ist, was es vorher war, ist nicht ersetzbar"

LTO: Wann zahlt in diesem Fall die Germanwings denn an die Hinterbliebenen?

Giemulla: Die EG-Verordnung regelt eine Vorauszahlungspflicht, die im Montrealer Übereinkommen nicht festgehalten ist. Im Falle von Körperverletzungen müssen die Versicherer einen Pauschalbetrag von 20.000 Euro pro Opfer an die schadensersatzberechtigten Personen zahlen. Zur "Befriedigung ihrer unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse", heißt es. Damit sind die Reise- und Beerdigungskosten in jedem Fall gedeckt. Diese Vorauszahlungen wurden bislang, seit es die Regelung gibt, auch immer sofort geleistet. Alles, was darüber hinausgeht, muss dann ja, wie gesagt, von den Geschädigten nachgewiesen werden.

LTO: Halten Sie diese Regelung für ausreichend angesichts dessen, was ein solcher Verlust bei den Angehörigen anrichtet. Gibt es denn keine darüber hinausgehende Lösung?

Giemulla: Nein, zumindest halten die Buchstaben des Rechts keine Antwort bereit. Der Hauptschaden, nämlich dass das Leben der Angehörigen nicht mehr das ist, was es vorher war und ihre Familie zerrissen wurde, ist nicht ersetzbar.  

Völlig zu Recht reagieren Hinterbliebene da mit Unverständnis. Ich habe einmal eine ältere Dame vertreten. Ihr Ehemann war bereits gestorben. Die einzigen vier Menschen, die ihr Leben noch ausgemacht haben, kamen bei einem Flugunfall ums Leben. Was sagt man einem solchen Menschen? Dass die Gesellschaft nur die Beerdigungskosten zahlen muss?  

Natürlich sind das Leben eines Menschen und seine Bedeutung für die Angehörigen nicht in Geld aufzuwiegen. Und es geht auch nicht um finanzielle Bereicherung. Das wäre das falsche Signal.

Dennoch ist die Behandlung der Hinterbliebenen und der Umgang mit ihrem Leid ein riesiges Problem. Aber ich kann nur an die Verantwortlichkeit der Unternehmen appellieren, freiwillig mehr zu zahlen.

LTO: Herr Professor Giemulla, vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. iur. Elmar M. Giemulla ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Luftfahrtrecht an der Technischen Universität Berlin. Er vertritt u.a. Angehörige der Hinterbliebenen der vermutlich von prorussischen Separatisten über der Ukraine abgeschossenen Maschine MH 17-Opfer.

Das Interview führte Anne-Christine Herr.

*Anm. d. Red.: Zunächst war hier eine andere, vor allem die Haftung für Verspätung regelnde Richtlinie zitiert. Dieser Hinweis war fehlerhaft. Wir bitten um Entschuldigung. Geändert am 30.03.2015, 10:48 Uhr.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Germanwings' Haftung nach dem Absturz: "Ob der Co-Pilot sich umbringen wollte, ist völlig egal" . In: Legal Tribune Online, 27.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15092/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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