An den Gerichten arbeiten nicht nur Juristen, Protokollführer und Wachtmeister. Vor allem in Strafverfahren und Familiensachen spielen Gerichtsdolmetscher eine bedeutende Rolle. Um ihre Arbeit gut zu machen, müssen sie nicht nur sprachlich firm sein, sondern auch auf kulturelle Eigenheiten der Parteien Rücksicht nehmen. Dabei erleben sie Dinge, die sich nicht so schnell vergessen lassen.
Gerichtssprache ist nach § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die deutsche. Egal ob vor einem Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgericht. Nur die Sorben dürfen in ihren Heimatkreisen auch vor Gericht sorbisch sprechen.
Außerdem wird immer wieder über Handelskammern diskutiert, vor denen auf Englisch verhandelt werden soll. Einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedete der Bundestag allerdings vor Ende der Legislaturperiode nicht mehr, obwohl sich Sachverständige mehrheitlich dafür ausgesprochen und das Landgericht (LG) Köln bereits eine mündliche Verhandlung auf Englisch geprobt hatte.
Bosnisch, Kroatisch, Serbisch und Ungarisch
All das sind aber Ausnahmen. In der Regel bleibt es dabei: Gerichtssprache ist deutsch. Und das bringt Menschen wie János Bölcskei ins Spiel. Er ist Gerichtsdolmetscher und -übersetzer für Bosnisch, Kroatisch, Serbisch und Ungarisch in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Wird unter Beteiligung von Personen verhandelt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, muss das Gericht in der Regel einen Dolmetscher hinzuziehen. So will es § 185 GVG, um das Recht auf rechtliches Gehör zu sichern.
Bölcskei kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien und gehörte der ungarischen Minderheit im heutigen Kroatien an. Noch zu DDR-Zeiten kam er über seine Frau nach Halle. Der studierte Historiker und Archäologe sattelte um und wurde Übersetzer. "Die Sprachen, die ich beherrschte, waren damals defizitär besetzt."
Nach der Wende machte er sich selbständig und wurde allgemein als Gerichtsdolmetscher beeidigt. Heute arbeitet er mit mehreren Büros zusammen, die ihm Aufträge vermitteln. Überwiegend arbeitet er als Behörden- und Gerichtsdolmetscher. Manchmal kommen auch Privatpersonen zu ihm, die eine beglaubigte Übersetzung brauchen.
"Kulturelle Prägung spielt eine große Rolle"
Um als Dolmetscher allgemein beeidigt zu werden, muss man bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Welche genau das sind, legen die Länder in Verwaltungsvorschriften fest. Dabei geht es in der Regel um die fachliche Eignung, außerdem darf man in den letzten Jahren weder ein Verbrechen noch Straftaten wie Urkundenfälschung begangen haben und die eigenen Vermögensverhältnisse müssen geordnet sein. Außerdem muss man bereit sein, auch kurzfristig zur Verfügung zu stehen.
Die allgemeine Beeidigung spart es den Gerichten, einem Dolmetscher bei jeder Verhandlung neu einen Eid abzunehmen. Dolmetscher unterliegen auch einer Verschwiegenheitspflicht, § 189 GVG. Wie Anwälte dürfen sie Dinge, die sie bei ihrer Tätigkeit erfahren, nicht weitergeben. Außerdem müssen sie sich neutral verhalten.
Trotzdem geht es beim Dolmetschen nicht nur darum trocken Worte von der einen in die andere Sprache zu übertragen, meint Bölcskei. "Die kulturelle Prägung spielt auch eine große Rolle." Da er selbst aus dem Gebiet stammt, in dem man die Sprachen spricht, die er dolmetscht, kann er die Menschen meist auch kulturell gut einschätzen. "Ich verstehe, wie die Leute ticken, kenne die Mentalitäten. Ein Deutscher verhält sich anders als jemand vom Balkan."
Um nicht mit der Neutralitätspflicht in Konflikt zu geraten, braucht es Fingerspitzengefühl. "Ich versuche, in beide Richtungen zu vermitteln. Die Menschen, für die ich dolmetsche, sollen die deutschen Gesetzen verstehen und begreifen, dass die Deutschen in manchen Situationen anders denken."
2/2: Vom Ladendiebstahl über OK bis hin zu Mord und Totschlag
Das juristische Fachwissen musste sich Bölcskei selbst aneignen. "Es reicht nicht, die Terminologie drauf zu haben, man muss sich auch in dem Rechtssystem auskennen." Meistens ist der Dolmetscher an Straf- und Familiengerichten unterwegs. "Das ist eine sehr abwechslungsreiche Tätigkeit. In meinen 25 Jahren als Gerichtsdolmetscher habe ich schon viel erlebt – vom Ladendiebstahl über Organisierte Kriminalität bis hin zu Mord und Totschlag."
Manchmal lernt er die Leute, für die er dolmetschen soll, erst kurz vor der Verhandlung kennen. "Aber es gibt auch immer wieder dieselben 'Patienten', mit denen ich zu tun habe. Manche kommen hinter Gitter, kommen raus und dann sehen wir uns ein paar Monate später schon wieder." Es kommt auch vor, dass er jemanden schon während des Ermittlungsverfahrens bei der Polizei kennenlernt. Bölcskei dolmetscht aber nicht nur für Beschuldigte, sondern auch für Zeugen.
Dolmetscher werden vom Gericht geladen. Manchmal wünschen sich Beteiligte auch einen bestimmten Dolmetscher, mit dem sie gute Erfahrungen gemacht haben. Letztendlich entscheidet aber das Gericht. Die Zusammenarbeit mit den Juristen funktioniert mal besser, mal schlechter, so Bölcskei. "Juristen sind auch nur Menschen. Manche haben viel Verständnis, andere denken, sie können alles besser."
70 Euro pro Stunde
Nach Schätzungen des Bundesverbandes der Dolmetscher und Übersetzer wird in jedem fünften Verfahren ein Gerichtsdolmetscher benötigt. Über 20.000 juristische Dolmetscher und Übersetzer gebe es in Deutschland laut den Datenbanken der Landesjustizverwaltungen. Der überwiegende Teil arbeitet freiberuflich.
Die Kosten für einen Dolmetscher trägt im Strafprozess in der Regel die Staatskasse, auch wenn der Angeklagte verurteilt wird, § 464c Strafprozessordnung. Das entspricht Art. 6 Abs. 3e der Europäischen Menschenrechtskonvention und soll die Gleichheit der Angeklagten vor Gericht sicherstellen. Im Zivilprozess sind sie Teil der Gerichtskosten, die die unterlegene Seite zu tragen hat.
Im Zuge der letzten Änderung des Kostenrechts, die zum 1. August in Kraft trat, wurden nicht nur für Anwälte, sondern auch für Dolmetscher die Gebühren angepasst. Nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) gibt es zwischen 70 und 75 Euro pro Stunde. "Das ist nicht so viel, wie unser Berufsverband gefordert hat, aber man muss zufrieden sein mit dem, was man kriegt." Ähnlich wie manche Anwälte spricht sich auch Bölcskei dafür aus, dass die Gebühren automatisch angepasst werden sollten, damit es nicht jedes Mal ein neues Gesetzgebungsverfahren braucht. Er spricht sich für eine prozentuale Koppelung an das Gehalt der Richter aus.
Manche Verfahren vergisst man nicht
Wenn Bölcskei nicht dolmetscht, übersetzt er: Ladungen, Eröffnungsbeschlüsse, Anklageschriften, Gutachten und auch Urteile, wenn ein Verfahrensbeteiligter oder das Gericht das wünschen. "Das ist vor allem dann der Fall, wenn Rechtsmittel angekündigt werden."
Ein Strafverfahren ist Bölcskei ganz besonders in Erinnerung geblieben. Es ging um ein Tötungsdelikt. Eine Frau hatte selbst auf einem Diktiergerät aufgenommen, wie ihr Mann sie umbrachte. Eigentlich wollte sie Argumente für eine Scheidung sammeln. In einer Küchenschürze versteckte sie ein Diktiergerät und begann, ihren Ehemann zu provozieren. Immer weiter bis dieser völlig ausrastete und wie in Trance mit einem Küchenmesser auf sie einstach. Mehrfach. Immer wieder.
"Man konnte auf der Aufnahme richtig verfolgen, wie das Opfer den Täter in eine Sackgasse getrieben hatte." Am Ende hörte der ganze Gerichtssaal die Frau über Minuten schreien und röcheln, bis sie starb. "Der Angeklagte saß neben mir und musste das mitanhören. Das war furchtbar. Auch für mich."
Claudia Kornmeier, Gerichtsdolmetscher: "Deutsche ticken anders als Menschen vom Balkan" . In: Legal Tribune Online, 19.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9842/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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