Gerichtsdolmetscher: "Deutsche ticken anders als Menschen vom Balkan"

von Claudia Kornmeier

19.10.2013

2/2: Vom Ladendiebstahl über OK bis hin zu Mord und Totschlag

Das juristische Fachwissen musste sich Bölcskei selbst aneignen. "Es reicht nicht, die Terminologie drauf zu haben, man muss sich auch in dem Rechtssystem auskennen." Meistens ist der Dolmetscher an Straf- und Familiengerichten unterwegs. "Das ist eine sehr abwechslungsreiche Tätigkeit. In meinen 25 Jahren als Gerichtsdolmetscher  habe ich schon viel erlebt – vom Ladendiebstahl über Organisierte Kriminalität bis hin zu Mord und Totschlag."

Manchmal lernt er die Leute, für die er dolmetschen soll, erst kurz vor der Verhandlung kennen. "Aber es gibt auch immer wieder dieselben 'Patienten', mit denen ich zu tun habe. Manche kommen hinter Gitter, kommen raus und dann sehen wir uns ein paar Monate später schon wieder." Es kommt auch vor, dass er jemanden schon während des Ermittlungsverfahrens bei der Polizei kennenlernt. Bölcskei dolmetscht aber nicht nur für Beschuldigte, sondern auch für Zeugen.

Dolmetscher werden vom Gericht geladen. Manchmal wünschen sich Beteiligte auch einen bestimmten Dolmetscher, mit dem sie gute Erfahrungen gemacht haben. Letztendlich entscheidet aber das Gericht. Die Zusammenarbeit mit den Juristen funktioniert mal besser, mal schlechter, so Bölcskei. "Juristen sind auch nur Menschen. Manche haben viel Verständnis, andere denken, sie können alles besser."

70 Euro pro Stunde

Nach Schätzungen des Bundesverbandes der Dolmetscher und Übersetzer wird in jedem fünften Verfahren ein Gerichtsdolmetscher benötigt. Über 20.000 juristische Dolmetscher und Übersetzer gebe es in Deutschland laut den Datenbanken der Landesjustizverwaltungen. Der überwiegende Teil arbeitet freiberuflich.

Die Kosten für einen Dolmetscher trägt im Strafprozess in der Regel die Staatskasse, auch wenn der Angeklagte verurteilt wird, § 464c Strafprozessordnung. Das entspricht Art. 6 Abs. 3e der Europäischen Menschenrechtskonvention und soll die Gleichheit der Angeklagten vor Gericht sicherstellen. Im Zivilprozess sind sie Teil der Gerichtskosten, die die unterlegene Seite zu tragen hat.

Im Zuge der letzten Änderung des Kostenrechts, die zum 1. August in Kraft trat, wurden nicht nur für Anwälte, sondern auch für Dolmetscher die Gebühren angepasst. Nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) gibt es zwischen 70 und 75 Euro pro Stunde. "Das ist nicht so viel, wie unser Berufsverband gefordert hat, aber man muss zufrieden sein mit dem, was man kriegt." Ähnlich wie manche Anwälte spricht sich auch Bölcskei dafür aus, dass die Gebühren automatisch angepasst werden sollten, damit es nicht jedes Mal ein neues Gesetzgebungsverfahren braucht. Er spricht sich für eine prozentuale Koppelung an das Gehalt der Richter aus.

Manche Verfahren vergisst man nicht

Wenn Bölcskei nicht dolmetscht, übersetzt er: Ladungen, Eröffnungsbeschlüsse, Anklageschriften, Gutachten und auch Urteile, wenn ein Verfahrensbeteiligter oder das Gericht das wünschen. "Das ist vor allem dann der Fall, wenn Rechtsmittel angekündigt werden."

Ein Strafverfahren ist Bölcskei ganz besonders in Erinnerung geblieben. Es ging um ein Tötungsdelikt. Eine Frau hatte selbst auf einem Diktiergerät aufgenommen, wie ihr Mann sie umbrachte. Eigentlich wollte sie Argumente für eine Scheidung sammeln. In einer Küchenschürze versteckte sie ein Diktiergerät und begann, ihren Ehemann zu provozieren. Immer weiter bis dieser völlig ausrastete und wie in Trance mit einem Küchenmesser auf sie einstach. Mehrfach. Immer wieder.

"Man konnte auf der Aufnahme richtig verfolgen, wie das Opfer den Täter in eine Sackgasse getrieben hatte." Am Ende hörte der ganze Gerichtssaal die Frau über Minuten schreien und röcheln, bis sie starb. "Der Angeklagte saß neben mir und musste das mitanhören. Das war furchtbar. Auch für mich."

Zitiervorschlag

Claudia Kornmeier, Gerichtsdolmetscher: "Deutsche ticken anders als Menschen vom Balkan" . In: Legal Tribune Online, 19.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9842/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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