In der Berichterstattung um die zum Teil mutmaßlich frei erfundenen Vorwürfe gegen den Grünen-Politiker Gelbhaar gerät in strafrechtlicher Hinsicht manches durcheinander. Dr. Yves Georg erläutert die Rechtslage.
Im Dezember berichtete der RBB über Vorwürfe sexueller Belästigung gegen den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar (MdB). Mehrere Frauen sollen die Anschuldigungen in "eidesstattlichen Versicherungen" gegenüber dem RBB dargelegt haben. Gelbhaar hat die Vorwürfe von Anfang an bestritten. Bei der Wiederholung der Wahl zum Direktkandidaten der Pankower Grünen, die Gelbhaar zuvor mit 98,4 Prozent gewonnen hatte, stieg er aus. Auch seine Kandidatur für Platz 2 der Berliner Landesliste zog er zurück. Sieben der Frauen halten weiterhin an ihren Vorwürfen fest. Die "Hauptbelastungszeugin" hingegen, eine Frau mit dem angeblichen Namen "Anne K.", scheint tatsächlich nicht zu existieren. Das hat nach einer Prüfung mittlerweile auch der RBB eingeräumt.
Vielmehr soll die Berliner Grünen-Bezirksabgeordnete Shirin Kreße die eidesstattliche Versicherung unter diesem falschen Namen verfasst haben. Einem Parteiausschlussverfahren ist sie durch ihren Austritt zuvorgekommen. Der RBB hat Strafanzeige gegen sie erstattet, und auch der Bundesvorstand der Grünen hat sich dafür entschieden; zuvor hatte Gelbhaar selbst bereits Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Die Medien bieten ein wildes Potpourri in Betracht kommender Straftatbestände. Was ist dran?
Falsche Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB)
Vor allem was eine mögliche Strafbarkeit Kreßes wegen falscher Versicherung an Eides Statt angeht, gerät in der Berichterstattung einiges durcheinander: Die einen gehen wie selbstverständlich davon aus, dass sich nach § 156 StGB auch strafbar macht, wer gegenüber Journalisten eine falsche eidesstattliche Versicherung abgibt; die anderen glauben, es besser zu wissen, und meinen, in einer eidesstattlichen Versicherung gegenüber der Presse dürfe man "straflos lügen, dass sich die Balken biegen". Beides greift zu kurz:
Nach § 156 StGB macht sich namentlich strafbar, wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt. In der Causa Gelbhaar – oder aktueller: der Causa Kreße – scheint bisher nicht gesichert, ob auch der Inhalt der von Kreße jedenfalls unter falschem Namen abgegebenen Erklärung falsch war. Das kann dahinstehen, weil sich nach herrschender Meinung schon strafbar macht, wer eine inhaltlich richtige eidesstattliche Versicherung unter falschem Namen abgibt. Weil aber weder der RBB noch dessen Journalisten eine Behörde im Sinne des § 156 StGB sind, scheint die Sache auf den ersten Blick klar: Der Tatbestand ist nicht erfüllt. Andererseits: Was soll dann das ganze Theater um die eidesstattliche Versicherung? Als Mittel der Glaubhaftmachung (§ 294 Abs. 1 ZPO) sind solche Erklärungen ein Standardinstrument presserechtlicher Auseinandersetzungen, insbesondere in Fällen der Verdachtsberichterstattung. Gerade mit Blick auf die Strafbarkeit der falschen Versicherung an Eides Statt billigt ihr das Prozessrecht eine gegenüber nicht eidesstattlich versicherten Angaben höhere Beweiskraft zu. Was wäre die noch wert, wären eidesstattliche Versicherungen gegenüber einem Journalisten strafrechtlich genauso zu beurteilen wie nicht solcherart versicherte Erklärungen?
Die Lösung weist ein Blick auf den gewöhnlichen Ablauf einer presserechtlichen Auseinandersetzung: Der Journalist baut seine Berichterstattung (auch) auf den Angaben seiner Informanten auf. Diese Angaben lässt er sich eidesstattlich versichern, um den Wahrheitsgehalt seiner Recherchen für den Fall eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vonseiten des Betroffenen gegenüber dem Gericht glaubhaft machen zu können. Hierzu muss er die eidesstattlichen Versicherungen vorlegen, womit sie – so wird ein Schuh draus – vermittelt über ihn "vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde" im Sinne des § 156 StGB abgegeben werden. Schon 1891 hat das Reichsgericht entschieden, dass für eine solche Abgabe "auch die Einreichung der schriftlich erklärten Versicherung durch einen Dritten mit Wissen und Willen des Erklärenden genüg(t)" (RGSt 22, 267 (268)).
Auf die tatsächliche Weitergabe durch den Journalisten an das Gericht und auf den diesbezüglichen Vorsatz des Informanten kommt es also an: Bleibt die Versicherung in der Schublade der Redaktion, ist der Tatbestand nicht erfüllt. Mangels Erfolgseintritts ist die Tat nicht vollendet, und der Versuch des § 156 StGB ist straflos (§ 23 Abs. 1 StGB). Wird die Versicherung hingegen bei Gericht vorgelegt, handelt der Informant vorsätzlich, wenn er das weiß oder zumindest billigend in Kauf nimmt. Demgegenüber fehlt es am Vorsatz, wenn er etwa glaubt, der Journalist benötige das Dokument bloß für "interne Zwecke" oder zur Rechtfertigung seiner Berichterstattung vor den Augen der Öffentlichkeit; angesichts der verbreiteten Unkenntnis über Wesen und Zweck eidesstattlicher Versicherungen muss eine solche Einlassung keine Schutzbehauptung sein.
Doch zu welchem Zeitpunkt muss dieser Vorsatz vorliegen – bei der Abgabe gegenüber dem Journalisten oder bei der Weiterleitung an das Gericht? Nach § 16 StGB kommt es auf den Vorsatz "bei Begehung der Tat" an; maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt des "unmittelbaren Ansetzens" zur Tat im Sinne der Versuchsdogmatik (§ 22 StGB). Schaltet der Täter (hier der Informant) für seine Tat einen Tatmittler (hier den Journalisten) ein, so setzt er nach der Rechtsprechung grundsätzlich schon dann unmittelbar zur Tat an, wenn er seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen und "das Geschehen aus der Hand gegeben" hat. Das gilt allerdings nur, wenn das Rechtsgut nach seiner Vorstellung bereits in diesem Zeitpunkt konkret gefährdet ist; verhält es sich anders, kommt es auf das unmittelbare Ansetzen durch den Tatmittler selbst an. Ergo: Rechnet der Informant mit einer alsbaldigen Vorlage seiner Versicherung bei Gericht, handelt er vorsätzlich. Soll die eidesstattliche Versicherung nach seiner Vorstellung hingegen erst nach längerer Zeit vorgelegt werden oder bleibt überhaupt ungewiss, ob und wann das geschehen soll, muss der Vorsatz (noch) im Zeitpunkt des Einreichens bestehen.
Was heißt das für den Fall Kreße? Hat der RBB ihre falsche eidesstattliche Versicherung dem Landgericht Hamburg (324 O 2/25) vereinbarungsgemäß alsbald nach ihrer Abgabe durch Kreße vorgelegt, so hat sie sich mit der Vorlage durch den RBB strafbar gemacht. War die spätere Vorlage hingegen bei Abgabe gegenüber dem RBB noch ungewiss, kommt es auf den Willen Kreßes zum Zeitpunkt der Einreichung bei Gericht an. Wurde die Versicherung hingegen überhaupt nicht bei Gericht vorgelegt, scheidet eine Strafbarkeit nach § 156 StGB aus.
Üble Nachrede (§ 186 StGB) und Verleumdung (§ 187 StGB)
Selbst wenn es sich aber so verhielte, lässt sich freilich nicht sagen, gegenüber der Presse dürfe man "straflos lügen, dass sich die Balken biegen". Denn ehrverletzende unwahre Tatsachenbehauptungen sind schon als üble Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB) strafbar. Während die Verleumdung sicheres Wissen des Täters von der Unwahrheit seiner Behauptung verlangt, genügt für die üble Nachrede deren bloße Nichterweislichkeit – es greift also eine im Strafrecht höchst seltene Umkehr des Grundsatzes "in dubio pro reo", verbleibende Zweifel an der Wahrheit gehen ausnahmsweise zu Lasten des Beschuldigten.
Sollten Behauptungen Kreßes frei erfunden sein - was gegenwärtig naheliegt - sind sie hiernach jedenfalls als Verleumdung strafbar. Doch damit nicht genug. Auch die Qualifikation der "Politikerverleumdung" des § 188 Abs. 2 StGB dürfte erfüllt sein: Mindestfreiheitsstrafe sechs Monate. Die Tat richtete sich gegen einen Politiker und war geeignet, dessen öffentliches Wirken erheblich zu erschweren. Im Falle der geunkten "Intrige" hingen Kreßes Motive auch mit der Stellung Gelbhaars im öffentlichen Leben zusammen. Lediglich an der erforderlichen "Öffentlichkeit" der Verleumdung ließe sich kurz zweifeln. Der (kaum näher begründeten) herrschenden Meinung genügt hierfür nicht, dass die verleumderische Behauptung zunächst nur an einen individuellen Adressaten gerichtet war, dann aber "in die Öffentlichkeit gelangt" und der Täter "damit gerechnet hat". Überzeugend ist das freilich nicht, liegt doch ein "Feld, Wald und Wiesen"-Fall mittelbarer Täterschaft vor: Ob die Täterin ihre Verleumdung, etwa über soziale Netzwerke, selbst medial verbreitet oder ob sie sich hierzu eines Mediums wie des RBB als Tatmittler bedient ist, ist unerheblich. Das gilt umso mehr, wenn sie mit der Veröffentlichung nicht nur "gerechnet", sondern sie gerade beabsichtigt haben wird. Fälle der vorliegenden Art dürfte die herrschende Meinung denn auch gar nicht im Blick haben.
Verfolgt wird die Verleumdung grundsätzlich nur auf Strafantrag des Verletzten (§ 194 Abs. 1 Satz 1 StGB). Anderes gilt hier indessen mit Blick auf die "Politikerverleumdung". Angesichts ihrer kann ein etwa fehlender Strafantrag durch die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses vonseiten der Staatsanwaltschaft ersetzt werden (§ 194 Abs. 1 Satz 3 StGB). Nicht schon von Amts wegen einzuschreiten, wäre hier kaum vertretbar.
Urkundenfälschung (§ 267 StGB)
Interessant ist zudem die vom Spiegel in den Raum gestellte Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung. Entgegen einer landläufigen Fehlvorstellung ist eine schriftliche Lüge als solche keine unechte Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB. Erforderlich ist vielmehr eine Identitätstäuschung hinsichtlich des Ausstellers. Kreße soll ihre falsche Versicherung unter dem Namen der mutmaßlich nicht existierenden Person "Anne K." verfasst haben – genügt das?
Zweierlei ist zu unterscheiden: Zunächst hängt die Strafbarkeit nicht davon ab, dass der vermeintliche Aussteller der Urkunde real existiert; etwas anderes gilt nur bei erkennbaren Phantasienamen. Im Übrigen ist die Verwendung eines falschen Namens nur dann keine Identitäts-, sondern eine bloße (straflose) Namenstäuschung, wenn über die Person des wahren Ausstellers kein Zweifel bestehen oder aber die Richtigkeit des angegebenen Namens nach der Interessenlage dahinstehen kann. So aber verhält es sich hier gerade nicht: Zeichnet Shirin Kreße als "Anne K.", so hält der Empfänger der Erklärung nicht sie, sondern die wohl inexistente "Anne K." für die Ausstellerin der Urkunde. An deren Identität haben die Beteiligten, namentlich der RBB, gerade bei eidesstattlichen Versicherungen auch ein veritables Interesse. Weil die Versicherung schließlich auch zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt war, wird Kreße sich auch wegen Urkundenfälschung strafbar gemacht haben.
"Betrug" (§ 263 StGB), "Falschaussage" (§ 153 StGB) und "falsche Verdächtigung" (§ 164 StGB)
Weil in der Berichterstattung auch von "Betrug", "Falschaussage" und "falscher Verdächtigung" die Rede ist, lohnt noch ein kurzer Blick auf die §§ 263, 153 und 164 StGB. Alle drei sind nicht erfüllt: Für den Betrug fehlt es jedenfalls an einem stoffgleichen Vermögensschaden beim RBB und der Bereicherungsabsicht bei Kreße. Die uneidliche Falschaussage scheitert am Fehlen einer gerichtlichen Aussage. Und die falsche Verdächtigung dürfte (auch in der Variante der "Dunkelnorm" des § 164 Abs. 2 StGB) an der Absicht Kreßes scheitern, behördliche Maßnahmen gegen Gelbhaar herbeizuführen: Ihr Ziel wird die (gelungene) öffentliche Demontage Gelbhaars, nicht aber ein Ermittlungsverfahren gegen ihn gewesen sein, dass das Erlogene ihrer Vorwürfe zutage fördern musste.
Fazit und Ausblick
Strafbar gemacht haben dürfte sich Kreße nach alledem wegen "Politikerverleumdung" (§§ 187, 188 Abs. 2 StGB), Urkundenfälschung (§ 267 StGB) und womöglich auch falscher Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB). Auf die Anzeigen Gelbhaars, des RBB und des Bundesvorstands der Grünen wird die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleiten (§ 160 Abs. 1 StPO). Erhärtet sich der Verdacht gegen Kreße, liegt angesichts des Strafrahmens von sechs Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe (§ 188 Abs. 2 StGB) und der an die Vernichtung der öffentlichen Existenz Gelbhaars zumindest grenzenden Tatfolgen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) droht eine empfindliche Freiheitsstrafe.
Ob Gelegenheit bestehen wird, sich auch mit Besonderheiten in den Angaben der noch verbleibenden sieben "Zeuginnen" zu befassen, wird sich zeigen. Die Begründung der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 20. Januar 2025 gegen den RBB legt das durchaus nahe.
Ergänzung am 23.01.2025, 13:19 Uhr:
Nach einem Bericht der ZEIT vom 22./23.1.2025 lag dem RBB nur eine Kopie der "eidesstattlichen Versicherung" der angeblichen "Anne K." vor. Nach wohl allgemeiner Meinung macht sich nach § 156 StGB indessen nur strafbar, wer das Original oder eine gerichtlich oder notariell beglaubigte Abschrift der Versicherung abgibt; eine Zuleitung durch Telefax soll dabei genügen. Ob man diese Auffassung mit Blick auf die Dogmatik der Urkundendelikten in Zweifel zu ziehen hat, kann dahinstehen. In der Praxis jedenfalls scheidet eine Strafbarkeit Kreßes wegen falscher eidesstattlicher Versicherung damit aus.
Außerdem stammen nach dem ZEIT-Bericht zwei weitere Vorwürfe (ein angebliches Verabreichen von K.-o.-Tropfen und ein angebliches "Begrapschen") "offenbar aus der gleichen Quelle [gemeint: Shirin Kreße] und sind wahrscheinlich erfunden". Hinsichtlich des K.-o.-Tropfen-Vorwurfs habe Gelbhaar beispielsweise ein Alibi. Das erhärtet den Verdacht einer (schwerwiegenden) "Politikerverleumdung" nach § 188 Abs. 2 StGB.
Auf Medienanfragen war Kreße nicht erreichbar.
Der Autor Dr. Yves Georg ist Strafverteidiger und Partner der Kanzlei Schwenn Kruse Georg Rechtsanwälte in Hamburg.
Strafanzeige gegen Grünen-Bezirksabgeordnete Kreße: . In: Legal Tribune Online, 22.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56401 (abgerufen am: 08.02.2025 )
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