Tausende Frauen weltweit fragen sich, wer dafür haftet, dass ihnen potentiell gefährliche Brustimplantate der Firma PIP eingesetzt wurden. Der TÜV Rheinland gerät in die Kritik, Rufe nach dem Staat werden laut, weil die mit Industriesilikon gefüllten Kissen ein CE-Siegel trugen. Viel Hoffnung auf Geld vom Staat aber kann Michael Wimmer den deutschen Patientinnen nicht machen.
Für die betroffenen Frauen ist es eine Katastrophe. Brustimplantate müssen entfernt, in aller Regel auch neue Implantate eingesetzt werden. Der Hersteller der mangelhaften Polster aber ist insolvent und einem nackten Mann kann man bekanntlich nicht in die Tasche greifen. Die Bundesregierung diskutiert über die Einführung eines nationalen Registers für Implantate und erwägt, die Kontrolle der Herstellung von Medizinprodukten zu verbessern.
Schon im Jahre 2010 hat die französische Medizinproduktebehörde Afssaps darüber informiert, dass sie die Vermarktung, den Vertrieb, den Export und die weitere Verwendung von Silikongel-gefüllten Brustimplantaten des Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) untersagt habe. Die Behörde hatte bei der Inspektion festgestellt, dass die meisten Implantate nicht mit dem eigentlich vorgesehenen, produktspezifischen Silikongel gefüllt sind, sondern mit Industriesilikon. Weltweit waren zu diesem Zeitpunkt bereits tausende der potentiell gefährlichen Kissen eingesetzt worden.
Der Skandal gelangte erst Ende 2011 an die breite Öffentlichkeit, nachdem die französische Gesundheitsdirektion 30.000 betroffene Französinnen dazu riet, die Implantate entfernen zu lassen. Nun ist die Diskussion in vollem Gange, die das System zur Überwachung von Medizinprodukten in Frage stellt.
Wenn der Hersteller insolvent ist: Wer bezahlt die entstandenen Schäden?
Deren Sicherheit wird im Kontrollsystem der Europäischen Union vor allem von so genannten Benannten Stellen (notified bodies) überwacht. Staatliche Behörden prüfen die Produkte hingegen nicht, sondern sie beaufsichtigen nur die Kontrolleure. Wenn diese die Unbedenklichkeit bestätigen, sind die medizinischen Artikel europaweit verkehrsfähig.
Abseits dieser Debatte ist für die geschädigten Patientinnen und die Krankenkassen von ungleich größerem Interesse, wer ihren Schaden ersetzt, wenn das verantwortliche Unternehmen insolvent ist. Im Fokus stehen zum einen die Behörden. Aber auch der TÜV Rheinland gerät als möglicher Anspruchsgegner ins Visier, da er als Benannte Stelle für die Prüfung der Implantate verantwortlich war.
Bevorzugter Schuldner der Ansprüche wäre aber sicherlich die öffentliche Hand. Im Wege der Amtshaftung haftet der Staat, wenn ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Unterstellt, dass die zuständige Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) keine Fehler bei der Akkreditierung des hier betroffenen TÜV Rheinland gemacht hat, stellt sich die Frage, ob der Staat für die Zertifizierungsstelle haften muss, weil deren Angestellte als Beliehene einem Beamten gleichgestellt sind.
Die Rechtsnatur des Handelns einer Benannten Stelle ist weder durch nationales noch durch europäi-sches Gemeinschaftsrecht ausdrücklich festgelegt. Zwar nimmt eine solche zum Schutze der Volksgesundheit eine herausragende staatliche Aufgabe wahr. Dennoch üben Benannte Stellen keine öffentlich-rechtliche Tätigkeit aus, weil sie von den Herstellern der Medizinprodukte ausgewählt und aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung mit ebenjenen tätig werden. Als Beliehene handeln sie damit gerade nicht, so dass der Staat nicht für ihre Fehler herangezogen werden kann.
Weit weg vom Staat: Der Hersteller selbst wählt den Prüfer aus
Es ist der Hersteller eines Medizinprodukts, der eine Benannte Stelle seiner Wahl mit der Beteiligung an der Konformitätsbewertung beauftragt. Diese verpflichtet sich vertraglich dazu, dem Hersteller zu bescheinigen, dass er die grundlegenden Anforderungen, das heißt die in den jeweils einschlägigen Normen festgelegten technischen Spezifikationen des Produktes erfüllt. Ferner bestätigt sie, dass die Vorschriften für die Konformitätsbewertungsverfahren beachtet werden. Geprüft werden dabei abhängig von der Risikoklasse des Produktes zum Beispiel das Qualitätssicherungssystem und die Produktauslegung. Soweit die Beteiligung einer Benannten Stelle an der Konformitätsbewertung gesetzlich vorgeschrieben ist, wird ihre Pflicht zum Schutz der Volksgesundheit deutlich: Hochrisikoprodukte darf ein Hersteller ohne diese Kontrolle nicht auf den Markt bringen. Die Sachkunde der Benannten Stellen ist gesichert durch ihre öffentlich-rechtliche Akkreditierung.
Brustimplantate gehören zur höchsten Risikoklasse. Die Prüftiefe ist deshalb eine der höchsten, die das Medizinprodukterecht kennt. Der Betrieb des Herstellers wird vor Ort im Rahmen so genannter Audits regelmäßig überprüft. Die Zertifikate, welche die Benannte Stelle nach bestandener Prüfung ausstellt, sind notwendige Voraussetzungen dafür, dass die Produkte die erforderliche Konformitätserklärung erhalten und die CE-Kennzeichnung auf dem Produkt anbringen dürfen, ohne die Medizinprodukte in Europa nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen.
Die Benannten Stellen erteilten die Kennzeichnung aber nicht im Wege eines Verwaltungsaktes, wie es für behördliches Handeln typisch wäre. Sie erfüllen zwar Aufgaben der Gefahrenabwehr, werden dabei aber aufgrund zivilrechtlicher Vereinbarungen mit dem Hersteller tätig und eben nicht im Auftrag der ZLG oder einer Bundesoberbehörde. Sie sind daher nicht "beliehen" und der Staat haftet nicht für ihre Fehler.
Ob eine Benannte Stelle Schadensersatz leisten muss, beurteilt sich daher im Wesentlichen nach den allgemeinen Vorschriften der privatrechtlichen Deliktshaftung. Wenn sie bei der Bewertung von Medizinprodukten entweder vor Markteinführung oder später im Rahmen der Kontrolle durch Audits in den Betrieben vorsätzlich oder fährlässig ihre Kontrollpflichten verletzt und dadurch das Leben oder die Gesundheit von Patienten geschädigt wird, können Schadensersatzansprüche entstehen.
Kriminelle Energie kann auch das beste System umgehen
Ob der TÜV Rheinland im Fall der Brustimplantate seine Kontrollaufgaben in diesem Sinne vorwerfbar vernachlässig hat, lässt sich jedoch noch nicht abschließend beurteilen. Immerhin hat der französische Hersteller die Behörden und die Benannten Stellen offensichtlich vorsätzlich darüber getäuscht, dass er Industriesilikon einsetzte, um zu sparen. Eine solche kriminelle Energie lässt nicht zwingend auf Fehler im System schließen.
Die französische Behörde hat immerhin die Verstöße im Rahmen einer Inspektion festgestellt und bereits 2010 ein Vertriebsverbot angeordnet. Ob und inwieweit dies auf Initiative des TÜV Rheinland geschehen ist, ob er daran beteiligt war und ob danach in Europa noch Silikon des Herstellers PiP implantiert wurde, ist für die Haftung sicher von Bedeutung. Derzeit ist völlig unklar, ob die Verarbeitung des minderwertigen Silikons durch bessere Kontrolle hätte vermieden werden können.
Für Geschädigte sind das zunächst schlechte Nachrichten: Das Ausmaß des Schadens bei implantierbaren Medizinprodukten führt häufig zur Insolvenz der verantwortlichen Hersteller. Auch bei PIP dürfte nichts zu holen sein. Deshalb ist allerdings noch lange nicht der Staat automatisch der nächste Schuldner. Und wenn so viel kriminelle Energie im Spiel ist, sind Risiken für Verbraucher nicht notwendig in einem vermeintlich lückenhaften Überwachungssystem des Medizinproduktegesetzes begründet. Inwieweit eine Verantwortung bei dem Hersteller des Silikons zu suchen ist, wird zu untersuchen sein. Immerhin liegt die Vermutung nahe, dass das gelieferte Silikon erkennbar ungeeignet für den von PiP vorgenommene Verwendung in Brustimplantaten war.
Der Autor Michael Wimmer ist Rechtsanwalt bei Sträter Rechtsanwälte. Er ist Dozent im Mas-terstudiengang "Drug Regulatory Affairs" der Universität Bonn sowie des Masterstudienganges "Consumer Health Care (CHC)" am Klinikum Charité der Humboldt-Universität in Berlin.
Mehr auf LTO.de:
OLG Koblenz: Arzt haftet nicht unbedingt bei mißverstandener Aufklärung
LG Aurich: Schadensersatz für Sturz vom OP-Tisch
LSG Berlin: Keine Mindestmengen für Krankenhausoperationen
Gefährliche Billig-Brustimplantate: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5360 (abgerufen am: 10.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag