Proteste zum G20-Gipfel in Hamburg: Här­te­fall für den Rechts­staat

von Tanja Podolski

05.07.2017

2/2: Zelte können untersagt werden

LTO: Die Polizei stört sich offenbar insbesondere an den geplanten Übernachtungen in den Protestcamps.

Gärditz: Das darf sie grundsätzlich auch. Das BVerfG hatte bereits in dem Eilverfahren mitgeteilt, dass die Behörden Zelte und Einrichtungen untersagen können, die allein der Beherbergung von Personen dienen sollen, welche an einer der zahlreichen anderen Versammlungen teilnehmen wollten. Die Lage hierzu scheint derzeit jedoch sehr unübersichtlich und Polizei sowie Verwaltungsgerichte müssen, wie die Kette an Eilentscheidung zeigt, ein breites Spektrum möglicherweise zusammenhängender Szenarien im Blick behalten.

LTO: Dann können Protestcamps mit Übernachtungen generell verboten werden?

Gärditz: Nach dem BVerfG ist zu unterstellen, dass es sich um eine Versammlung handelt. Dies bedeutet aber nicht, dass keine Verbote möglich wären, wenn sich anders die öffentliche Sicherheit nicht gewährleisten lässt. Auch das BVerfG verlangt hier einen maßgeschneiderten Interessenausgleich zwischen den Versammlungsteilnehmern und der öffentlichen Sicherheit. Dabei geht es vor allem um das Design von Auflagen. Im Einzelnen hängt dies von den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort ab. Und danach können Übernachtungen jedenfalls an bestimmten Orten notfalls auch generell verboten werden.

Neue Verfügung durch Polizei stets möglich

LTO: Zu den Geschehnissen am Sonntag in Entenwerder gibt es - wie Sie schon sagten - sehr unterschiedliche Berichte, die kaum zu verifizieren sind. Daher einmal folgenden Sachverhalt unterstellt: Es gäbe eine Entscheidung eines VG, nach der die Errichtung eines Camps von den Behörden zu dulden sei. Die Polizei hielte sich aber nicht an diese Entscheidung, sondern hindere die Aktivisten am Aufbau des Camps. Wie wäre dies rechtlich zu beurteilen?

Gärditz: Ein solches Verhalten der Polizei kann durchaus rechtskonform sein. Das VG hat nur die aufschiebende Wirkung gegen eine Verbotsverfügung wiederhergestellt. Es hat aber nicht verboten, eine neue Verfügung zu erlassen, wenn sich etwa die derzeit sehr dynamische Lage vor Ort oder die Gefahrenprognose geändert hat. So kann die Polizei gegebenenfalls auch kurzfristig eine neue, mündliche Verfügung aufgrund der Umstände vor Ort aussprechen. Dies kann eine Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz sein, die sofort vollzogen wird.

LTO: Prof. Gärditz, vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Klaus F. Gärditz ist Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Universität Bonn.

Das Interview führte Tanja Podolski.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Proteste zum G20-Gipfel in Hamburg: Härtefall für den Rechtsstaat . In: Legal Tribune Online, 05.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23372/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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