DFB prüft rechtliche Schritte gegen FIFA: "Ich halte das Ver­fahren für offen"

von Hasso Suliak und Dr. Franziska Kring

22.11.2022

Die FIFA verbietet u.a. Manuel Neuer das Tragen der "One Love"-Armbinde. Zunächst hat der DFB das zähneknirschend akzeptiert, jetzt will er vor den Sportgerichtshof ziehen. Sportrechtler Jan F. Orth bewertet die Erfolgsaussichten.

LTO: Herr Prof. Orth, als wäre die Vergabe der WM an Katar nicht an sich schon ein großer Skandal, setzte die FIFA gestern noch einen drauf und verbot den Kapitänen von sieben europäischen Teams das Tragen einer Armbinde, auf der eigentlich nur steht: "One Love", also "Eine Liebe". Ist das Handeln der FIFA rechtlich in Ordnung?

Prof. Dr. Jan F. Orth: Rechtlich gibt es da auf den ersten Blick nichts zu beanstanden. Die FIFA bewegt sich im Rahmen ihres Regelwerkes. Sie hat Ausrüstungsregeln: Für FIFA-Finalwettbewerbe muss der Kapitän jeder Mannschaft eine von der FIFA gestellte Armbinde tragen. Die angesprochene "One Love"-Binde beruht auf einer Initiative der sieben Nationen, nicht der FIFA. 

Die Spielführer der Teams können nun mit vom Weltverband bereitgestellten Armbinden auflaufen. Diese sollen an jedem Spieltag eine andere Antidiskriminierungsbotschaft verbreiten. Am Montag verteilte der Weltverband eine Binde mit dem Slogan "Keine Diskriminierung". Viel mehr sagt "One Love" doch auch nicht?

Für die FIFA impliziert die "One Love"-Binde, die auch schon eine Kompromisslösung war, eine politische Botschaft und transportiert Werte, die man dem Gastgeber Katar nicht zumuten wollte. Ein buntes Herz, in dem noch nicht mal die Regenbogenfarben auftauchen, mit denen man ein klares Signal gegen Homophobie hätte setzen können, war Katar schon zu viel. Nicht verwunderlich, wenn man Homosexualität als "Geisteskrankheit" versteht. Für mich hat Thomas Hitzlsperger hier die klaren Worte gefunden: Das Verbot ist ein Kniefall der FIFA vor der rückständigen und menschenrechtsfeindlichen Haltung Katars.

Die FIFA hat den Nationen mit "massiven sportlichen Konsequenzen" für den Fall gedroht, dass sie sich nicht an das Verbot halten. Was wären die Sanktionen, wenn beispielsweise Manuel Neuer trotzdem mit der Binde auflaufen würde?

Ich habe Zweifel, dass die gestern auch im Fernsehen von den Schiedsrichterexperten skizzierten Konsequenzen nach den Fußballregeln (Verwarnung für Manuel Neuer, Nichtbeginn des Spiels, Spielwertung) tatsächlich eintreten würden. Für meine Begriffe gibt das die entsprechende Regel nicht her. Ich halte eine sportrechtliche Bestrafung nach den FIFA-Statuten für wahrscheinlicher. Hier sprechen wir über Punktabzüge oder den Ausschluss vom Turnier.

"Ich hätte mir auch auf dem Platz einen couragierten Auftritt gewünscht"

Der DFB hat das Verbot zunächst akzeptiert, u.a. mit der Begründung, man wolle den Spielern, die sich so lange auf die WM vorbereitet hätten, keine Nachteile zufügen. Was halten Sie von dieser Argumentation?

Ich kann das zwar nachvollziehen, halte die Entscheidung aber gleichwohl nicht für richtig. Die Begründung ist nicht haltbar, da es um Werte geht, für die auch der Verband steht. Zu einem Signal pro Menschenrechte muss man stehen und im Zweifel auch sportliche Sanktionen in Kauf nehmen. Die sieben betroffenen Verbände, u.a. Deutschland, England und die Niederlande, sind alles andere als unwichtige Verbände – ich finde, sie hätten es drauf ankommen lassen sollen, um ein Zeichen zu setzen. Es ist unwahrscheinlich, dass die FIFA alle sieben Verbände mit ihren Mannschaften ausgeschlossen hätte. Dann gäbe es ja kein Turnier mehr.

Jan F. Orth

So wie Sie haben viele Menschen reagiert. Jetzt hat der DFB nach anfänglichem Werben für Verständnis rechtliche Schritte vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) angekündigt. Es werde die Möglichkeit eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz bei der Ad-Hoc-Division des CAS geprüft, so die Bild. DFB-Mediendirektor Steffen Simon wird mit den Worten zitiert: "Die FIFA hat uns ein Zeichen für Diversität und Menschenrechte verboten. Sie hat dies mit massiven Androhungen sportlicher Sanktionen verbunden, ohne diese zu konkretisieren." Wie bewerten Sie diesen Schritt?

Eine gute Entscheidung, die meine anfängliche Kritik an dem Verband ein stückweit abschwächt. Auf der anderen Seite: Eine rechtliche Überprüfung anzukündigen ist gut, gleichwohl hätte ich mir auch auf dem Platz einen couragierten Auftritt gewünscht.

Welche Erfolgsaussichten räumen Sie den juristischen Schritten des DFB ein?

Ich halte das Verfahren für offen. Keine Zweifel bestehen daran, dass das CAS ad hoc-Panel angerufen werden kann. Allerdings hat die FIFA hat den Rechtsrahmen für das Turnier gesteckt und es sind schwierige Abwägungsentscheidungen zu treffen. Ich warte gespannt auf die Entscheidung.

Was halten Sie von der Forderung, die Mannschaft solle ihre Koffer packen und nach Hause fahren?

Da bin ich hin- und hergerissen. Das wäre in der Tat ein deutliches Signal, aber dennoch würde ich es nicht empfehlen. Jetzt ist die Mannschaft einmal da und sollte dann auch das Turnier spielen.

"Nicht realistisch, dass der DFB aus der FIFA austritt"

Der DFB spricht von Erpressung und Zensur seitens der FIFA, auch die Bundesinnenministerin ist empört und überhaupt kennt der Unmut über den Fußballweltverband inzwischen keine Grenzen mehr. Die Rede ist von einem korrupten, diktatorisch geführten Verband. Sollten sich Verbände zusammenschließen, aus der FIFA austreten und einen neuen Verband gründen?

Ich halte diese Option nicht für realistisch. Einen vergleichbaren Fall haben wir ja auch gerade vor dem Europäischen Gerichtshof im Zusammenhang mit der Gründung der Super League. Da geht es um die Frage, ob die UEFA dies verbieten kann.

Und was wären die Konsequenzen, wenn man einen neuen Verband gründet? Die FIFA würde versuchen, rechtlich gegen diesen Verband vorzugehen und z.B. den verbliebenen Staaten untersagen, gegen die ausgetretenen Verbände zu spielen. Es droht ein Szenario wie bei den diversen Boxverbänden, die ihre jeweils eigenen WM-Titel vergeben.

Nein, aus meiner Sicht geht es darum, die FIFA rechtlich einzuhegen. Brauchen wir größeren internationalen, politischen Druck? Brauchen wir ein Einschreiten der US-Behörden wie vor einigen Jahren im Zusammenhang mit den Korruptionsverfahren rund um die Vergabe der Fernsehrechte? Brauchen wir eine verschärfte Kartellaufsicht, insbesondere durch die Europäische Union? Über diese Optionen kann man nachdenken. Die internationale rechtliche Kontrolle über die FIFA und ihre Macht ist insgesamt aber noch zu defizitär.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage an Sie: Schauen Sie diese WM?

Das erste Gruppenspiel kann ich nicht schauen, da ich zu dem Zeitpunkt im ersten Staatsexamen prüfe. Ich habe allerdings nicht vor, die WM zu boykottieren – allerdings sind die Anstoßzeiten für Arbeitnehmer:innen auch eher ungünstig.

Vielen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Jan F. Orth ist Vorsitzender Richter am Landgericht Köln. Er unterrichtet Sportrecht an der Universität Köln und ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Sportrecht e.V.

Zitiervorschlag

DFB prüft rechtliche Schritte gegen FIFA: "Ich halte das Verfahren für offen" . In: Legal Tribune Online, 22.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50242/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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