Fünfter Verhandlungstag im Prozess gegen Gil Ofarim: Holte Ofarim die Davids­tern-Kette erst für sein Insta-Video raus?

von Linda Pfleger

16.11.2023

Tag 5 startet mit Wohlfühlprogramm für Ofarim als Mann "alter Schule". Hat der Richter wirklich Ofarims Autobiographie gelesen und warum sein Verteidiger nicht? Auch zu einer entscheidenden Prozessfrage wird verhandelt und zwar heftig. 

"Nehmen Sie Platz, fühlen Sie sich wie Zuhause!". So begrüßt der Vorsitzende am fünften Tag im Verfahren gegen Gil Ofarim am Landgericht (LG) Leipzig (Az.: 6 KLS 607 Js 56884/21) u.a. wegen falscher Verdächtigung eine der drei Zeuginnen. Spoiler vorweg: Alle haben es trotz Bahnstreiks geschafft, anzureisen – wenn auch teils mit Verspätung. Einzig Dr. Alexander Betz, der Verteidiger mit dem Rückenleiden, fehlt an diesem Morgen. Auch wenn Verteidigung und Vorsitzender heute betont zuvorkommend miteinander umgehen, ist es mit kuschelig-heimischer Stimmung allerdings spätestens bei der fortgesetzten Befragung des Gutachters vorbei.

Managerin Ofarims zeichnet emotionales Bild 

Doch zuvor wird am Vormittag zunächst die damalige Managerin Ofarims befragt. Sie sei nach dem Vorfall von Ofarim angerufen worden. Ofarim sei sehr aufgebracht und aufgewühlt gewesen und habe ihr von der antisemitischen Beleidigung erzählt. Sie habe dann veranlasst, dass er in ein anderes Hotel gebracht wurde.

In den Tagen danach sei er ihr sehr verletzt vorgekommen. Das Thema Antisemitismus sei etwas, das ihn schon ein Leben lang begleite und was ihm natürlich weh tue. Er habe oft Tränen in den Augen gehabt, seine Oma sei im Holocaust gestorben. 

Zweifel am Wahrheitsgehalt von Ofarims Schilderungen habe sie nicht. Sie habe ihn mehrfach ins Gebet genommen und gefragt, ob das alles so stimme. Keinen Zweifel habe die Managerin auch daran, dass Ofarim die Davidstern-Kette an dem Tag getragen hat, sie habe auch Fotos von der Produktion gesehen. Er trage die Kette häufig. Sie habe es auch nie erlebt, dass er sie im Laufe eines Tages mal zwischendurch einfach abgelegt hätte. Später sagt sie, die Kette habe er nach ihrer Erinnerung von seinem Papa. Ein Moment, in dem der bis dahin konzentrierte, ernste Ofarim wie bereits an Tag zwei sichtlich um Fassung ringt.

Ofarim sei "einer von der alten Schule"

Sie hätte ein freundschaftliches Verhältnis zu Ofarim gehabt und sei fast zehn Jahre seine Managerin gewesen, bis zum Sommer letzten Jahres. Dass sie nun nicht mehr seine Managerin sei, habe andere, für den Prozess irrrelevante Gründe. Auf Nachfrage sagt sie, Ofarim sei immer höflich und freundlich gewesen, egal ob bei Produktionen, in Hotels oder – auf Nachfrage Stevens – gegenüber Ottonormalverbrauchern. Er sei einer von der alten Schule. Sie könne sich nicht erinnern, dass er mal ungeduldig oder unhöflich war. Für Starallüren sei Ofarim überhaupt nicht der Typ. Das Feedback von Produktionen und ähnlichem sei immer gut gewesen, wie auch für diesen Tag.

W. habe gewirkt, als sei es ein klärbares Problem

Daneben werden zwei weitere Zeuginnen befragt, Mitarbeiterinnen der TV-Produktion, bei dessen Aufzeichnung Ofarim am Tag des 4. Oktobers war. Als "nett, höflich und freundlich" wird der Musiker auch von der zweiten Zeugin, der Producerin der TV-Produktion, beschrieben. Genauso wie sie ihn als "sehr gedrückt, fertig, schockiert" wahrnahm, als sie mit ihm nach dem Vorfall telefonierte. Sie könne sich noch gut an das Gespräch erinnern, da es so eine besondere Situation gewesen sei, die sie noch nie erlebt habe. 

Auch die damalige Produktionsassistentin, die als Dritte in den Zeugenstand tritt, sei nach eigenen Angaben an diesem Abend mit Telefonieren beschäftigt gewesen. Sie habe mit dem Hotelmanager W. gesprochen. Dabei habe sie nicht damit gerechnet, dass es um so einen schweren Vorfall gehe. Der Hotelmanager habe ihr das Gefühl vermittelt, es sei ein kleines klärbares Problem, als ob man seinen Ausweis nicht dabei gehabt hätte. Erst danach habe sie von dem Antisemitismus-Vorwurf erfahren. "Diese ruhige Stimme liegt mir noch im Kopf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man so reagiert, wenn sowas vorgefallen ist", meint die Zeugin.

Gleichzeitig haben die drei Frauen nach ihren Angaben auch jeweils miteinander gesprochen. Wer mit wem in welcher Reihenfolge und mit welchem Inhalt gesprochen hat, konnten sie jedoch trotz mehrmaliger Nachfragen nicht mehr genau wiedergeben.

Sicher sind sich die beiden Zeuginnen der TV-Produktion allerdings unabhängig voneinander, dass Ofarim seine Davidstern-Kette an dem Tag getragen habe. Die Produktionsassistentin erzählt, dass sie zuvor bereits bei dem Tanzformat "Let´s Dance" mit Ofarim zusammengearbeitet habe und er die Kette da selbst beim Training immer habe tragen wollen.

Kuschelkurs mit dem Vorsitzenden

Die Zeugenbefragungen verlieren sich heute nicht in einer schier endlosen Fragenkette. Als Verteidiger Müller bei der ersten Zeugin scheinbar zu einer solchen ansetzen will, geht der Vorsitzende höflich dazwischen – und Müller hört auf. "Würdigen Sie diesen Augenblick, wir sind acht Minuten vor der Zeit", freut sich der Vorsitzende daraufhin. 

Auch Stevens versucht zu einem späteren Zeitpunkt, als die Autobiografie Ofarims zur Sprache kommt, den Vorsitzenden hochzuschätzen: "Ich bin begeistert, dass sich das Gericht dermaßen gut vorbereitet zu haben scheint, dass es sogar die Autobiografie meines Mandanten gelesen hat. Chapeau, ich habe es nicht."

Eine Geste Ofarims beschäftigt die Beteiligten 

Doch die sanften Töne haben bei der Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. Dirk Labudde ein Ende. Bei dieser geht es heute um die auch in seinem Gutachten gestellte Frage, ob auf den Aufnahmen der Überwachungskameras Gesten von Ofarim feststellbar sind, die tauglich sind, einen Anhänger oder eine Kette sichtbar zu machen, etwa unter seiner Kleidung hervorzuholen.

Am gestrigen vierten Prozesstag hatte Labudde gesagt, dass die Davidstern-Kette sehr wahrscheinlich nicht in der Lobby sichtbar gewesen sei. Erst im äußeren Eingangsbereich des Hotels ab 19.46 Uhr habe er gelegentlich ein leuchtendes, reflektierendes Objekt ausmachen können. Kurz zuvor habe er feststellen können, dass sich Ofarims linke Hand in Richtung seines Halses bewegte und dabei helle Pixelflächen aufblitzten – eine Geste von einer Sekunde, die nun den Saal eine Weile beschäftigen wird.  

Hat Ofarim die Davidstern-Kette nachträglich hervorgeholt?

Der Vorsitzende wirft nach Sichtung der Videoaufnahme ein, dass die helle Fläche ihm größer erscheine als der Davidstern-Anhänger. Das könne durch die Vorgänge der Reflexion so wirken, erklärte Labudde. Die Verteidigung will wissen, ob diese helle hervorblitzende Fläche auch auf einen silbernen Siegelring oder die Armbanduhr an der linken Hand Ofarims zurückzuführen sein könnte. Ausschließen könne das der Gutachter nicht, aus seiner Erfahrung heraus würde er aber sagen nein. Als schließlich ein Foto Ofarims präsentiert wird, das ihn an dem Tag bei der TV-Produktion mit der Davidstern-Kette und dem Siegelring zeigt, bricht eine chaotische Diskussion aus. Über die Größe des Davidsterns und die Größe des Siegelrings wird gestritten, Labudde versucht es mit fachkundigen Erklärungen.

Hat Ofarim also in diesem Moment die Kette unter seiner Kleidung hervorgeholt, sodass diese deshalb vorher nicht sichtbar war? Oder leuchtete etwas anderes bei der Handbewegung? Die Antwort für beides, die auch nach langen Wortwechseln bleibt, ist: möglicherweise. Labudde betont aber auch, dass die ausgewerteten Aufnahmen Ofarim nicht durchgängig zeigen. Der Ring jedenfalls wird wohl zum nächsten Termin mitgebracht und in Augenschein genommen werden. 

Dass sich Ofarim die Kette mit der umstrittenen Geste jedenfalls wohl nicht erst später umgehangen hat, ist zwischen den Zeilen herauszuhören: Labudde sagt, die Bewegung führe nicht über den Hals hinaus, also die Hand ginge nicht über den Kopf. 

Verteidigung hakt bei Manipulationsmöglichkeiten nach 

Die restliche Befragung kreiste erneut um mögliche Manipulationen der Aufnahmen, die die Verteidigung in Betracht zieht. Sie hat am gestrigen Tag vier in den Raum aufgezeigt, dass in einem Video zwei Sekunden fehlen. Darüber habe Labudde lange nachgedacht. "Die einzige Erkärung, wenn ich nicht von einer bösartigen Manipulation ausgehe, ist, dass die Daten nicht vom Arbeitsspeicher auf die SD-Karte übertragen wurden", fasst er das Ergebnis seiner Überlegungen zusammen. Grundsätzlich möglich wäre eine Manipulation der Aufnahmen. Dies müsse aber an den Rohdaten passiert sein und das bräuchte eine gewisse Zeit. Wie lange genau, sagte er nicht. Die Verteidigung moniert, dass das Hotel die Aufnahmen erst sechs Tage nach dem Vorfall herausgegeben habe.

"Ostasiatische Getreidebehälter" interessieren Vorsitzenden nicht

Schließlich wird lang und breit diskutiert, wohin der auf den Aufnahmen zu sehende Barkeeper gegangen sei. Man sehe ihn aus dem Bild laufen, er erscheine aber nicht auf den anderen Aufnahmen und tauche Minuten später aus einer anderen Ecke wieder auf. "Ich weiß jetzt nicht, wie uns diese Diskussion weiterbringt, auch wenn sie spannender ist als das Bewegungsverhalten ostasiatischer Getreidebehälter”, bemerkt der Vorsitzende. Die Verteidigung macht daraufhin deutlich, dass Bilder möglicherweise bewusst entfernt worden seien. "Möglicherweise hat der Barkeeper ja einen Mittelfinger in Richtung Ofarim gezeigt oder etwas gerufen", so Verteidiger Stevens.

Darüber hinaus wird seitens der Verteidigung bekannt, dass es wohl ein Gegengutachten gibt. Dieses spielt am heutigen Tag noch keine Rolle, stattdessen wird zum Schluss ein Fernsehbeitrag der Sendung "BRISANT" geguckt. Darin kommen Digitalforensiker zu Wort, die die Überwachungsvideos analysiert hätten. Mit dem Ergebnis, dass eine konkrete Aussage nicht getroffen werden könne. "Wie können Sie es dann?", fragt Stevens an Labudde gerichtet. Dieser versucht erneut, seine Methoden und Erkenntnisse darzulegen, bis das Ende des Verhandlungstages erreicht ist. 

Fortfahren können wird Labudde wegen seines vollen Terminkalenders erst am 06. Dezember 2023. Alle anderen Beteiligten werden sich bereits zum nächsten Termin am 28. November 2023 wiedersehen.

 

Prozess-Chronologie im Überblick:

Tag 1 – Prozessauftakt: Hat Gil Ofarim einen antisemitischen Vorfall in einem Hotel nur erfunden? Sein Verteidiger philosophiert am ersten Prozesstag über die Wahrheit an sich, ein Hotelmitarbeiter spricht von Morddrohungen. 

Tag 2 – Davidstern sichtbar oder nicht? Eine Aussage lässt Gil Ofarim mit den Tränen kämpfen, das Gericht lehnt Vereidigung des Hotelmanagers mangels "Zünglein an der Waage ab" und hat Ofarim "gepöbelt"?

Tag 3 – Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen erschüttert? Hitzige Stimmung kommt auf, ein Zeuge verharmloste den Holocaust und der Vorsitzende Richter gibt zur Vermeidung von Verhandlungspausen Ratschläge gegen Rückenschmerzen.

Tag 4 – Davidstern für Gutachter in Lobby nicht sichtbar: Videos von zweifelhafter Qualität werden betrachtet, Ofarims Verteidiger wittern einen Manipulationsverdacht und geraten mit dem Vorsitzenden aneinander. Ein Gutachter spricht über eine zentrale Prozessfrage.

Tag 5 – Holte Ofarim die Davids­tern-Kette erst für sein Insta-Video raus? Wohlfühlprogramm für Ofarim als Mann "alter Schule", hat der Richter wirklich Ofarims Autobiographie gelesen und warum sein Verteidiger nicht? Auch zu einer entscheidenden Prozessfrage wird verhandelt und zwar heftig. 

 

Zitiervorschlag

Fünfter Verhandlungstag im Prozess gegen Gil Ofarim: . In: Legal Tribune Online, 16.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53195 (abgerufen am: 09.12.2024 )

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