Einer trans Frau mit männlichen Geschlechtsmerkmalen wird der Zugang zum Frauenfitnessstudio verwehrt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sieht darin eine "Persönlichkeitsverletzung". Erkennt das Gesetz Schutzräume für Frauen an?
Im April ist das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) vom Bundestag beschlossen worden, im Mai gab der Bundesrat seinen Segen. Das Gesetzgebungsverfahren des noch nicht in Kraft getretenen SBGG war maßgeblich von der so genannten "Saunadebatte" bestimmt: Kritiker warnten davor, cis Männer könnten die nun erleichterte Änderung des Geschlechtseintrags ausnutzen, um sich Zugang zu Schutzräumen für Frauen zu verschaffen. Als Beispiele wurden neben Justizvollzugsanstalten auch Saunen und Fitnessstudios für Frauen genannt.
Doch das Problem stellt sich nicht nur im Fall eines – wenig realistischen – Missbrauchs des SBGG, sondern auch bei trans Frauen ohne Geschlechtsangleichung, die von den gleichen Schutzräumen profitieren möchte, die für cis Frauen vorgesehen sind. Dass dies sehr wohl ein realistisches Szenario ist, zeigt ein aktueller Fall, über den am Donnerstag das Portal NiUS berichtete, Und der einen gesetzlichen Zielkonflikt offenbart, der sich unter Noch-Geltung des Transsexuellengesetzes (TSG) ebenso stellt wie ab spätestens November unter dem SBGG.
Die Betreiberin eines Frauenfitnessstudios lehnte laut dem NiUS-Bericht den Mitgliedschaftsantrag einer trans Frau ab, also einer Person, die männliche äußere Geschlechtsmerkmale hat, sich aber als Frau identifiziert. Die Sorge der Studiobetreiberin bezog sich vor allem auf die Umkleiden und Duschen. Auf den Vorschlag der trans Frau, beim Duschen eine Badehose zu tragen, ließ sich die Betreiberin allerdings nicht ein. Ebenso wenig auf die Bitte der Frau, im Studio trainieren zu dürfen, ohne vor Ort zu duschen.
Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman eskaliert den Fall
So scheiterte ein Kompromiss – und die Sache eskalierte schrittweise: Auf eine negative Google-Bewertung folgte nun ein Schreiben der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes Ferda Ataman an das Fitnessstudio, welches NiUS in Teilen veröffentlichte. Dieses firmiert als "Stellungnahmeersuchen".
Als Rechtsgrundlage hierfür wird § 28 Abs. 3 i.V.m. § 27 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) angeführt. Demnach ist die von Ataman geleitete Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) befugt, im Fall möglicher Diskriminierungen nach dem AGG eine gütliche Beilegung zwischen den Beteiligten zu vermitteln. Hintergrund ist, dass § 21 AGG im Fall einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung im privatrechtlichen Bereich Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gewährt. Um einen Streit vor Gericht zu vermeiden, soll eine außergerichtliche Streitbeilegung versucht werden.
"In diesem Sinne würden wir Sie bitten zu erwägen, welche Möglichkeiten und Ansatzpunkte für eine einvernehmliche Lösung der Angelegenheit von Ihrer Seite bestehen", schreibt Ataman an die Studiobetreiberin.
Einen entsprechenden Vorschlag macht sie auch: "eine angemessene Entschädigung in Höhe von 1.000 Euro für die erlittene Persönlichkeitsverletzung“. Doch liegt überhaupt eine Rechtsverletzung vor? Das AGG selbst enthält eine Ausnahme, die erhebliche Zweifel an dem Vorgehen der ADS im vorliegenden Fall begründen.
AGG schützt auch Sicherheitsempfinden in geschlechtsspezifischen Räumen
§ 20 Abs. 1 AGG regelt Fälle, in denen das Diskriminierungsverbot trotz Ungleichbehandlung nicht verletzt ist, dann nämlich, "wenn für eine unterschiedliche Behandlung ein sachlicher Grund vorliegt". Als ein Beispiel wird in Satz 2 Nr. 2 genannt, dass die unterschiedliche Behandlung zweier Personen "dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt".
Dass diese Ausnahme im vorliegenden Fall eingreift, ist nicht nur auf den ersten Blick plausibel. Auch das Bundesjustizministerium (BMJ) verweist auf LTO-Anfrage auf diese Vorschrift.
Darüber hinaus nimmt auch die Gesetzesbegründung zum neuen SBGG auf § 20 Abs. 1 AGG explizit Bezug. Trans Frauen von Toiletten, Umkleidekabinen und Saunen auszuschließen, die für cis Frauen reserviert sind, könne der jeweilige Betreiber der Räume im Rahmen des Hausrechts selbst regeln. Eine entschädigungspflichtige Diskriminierung nach dem AGG sei hier wegen § 20 Abs. 1 regelmäßig ausgeschlossen.
Nun kommt es auf die Begründung zum SBGG nicht an, da dieses noch nicht in Kraft ist und es vorliegend gar nicht um die Änderung eines Geschlechtseintrags geht. Indem der Gesetzgeber aber klarmacht, durch das SBGG nichts an der geltenden Rechtslage ändern zu wollen, bringt er zum Ausdruck, dass auch heute § 20 Abs. 1 Nr. 2 AGG den Zielkonflikt zwischen geschlechtsspezifischen Schutzräumen einerseits und geschlechtlicher Selbstbestimmung andererseits löst. Das SBGG führt schließlich kein neues Geschlecht ein, sondern erleichtert lediglich den Prozess der Änderung des Geschlechtseintrags.
Entsprechend fragwürdig ist Atamans Schreiben: Kann sie einen Vergleichsvorschlag machen, wenn von vornherein klar ist, dass die Studiobetreiberin rechtlich nichts falsch gemacht hat?
Entschädigung wofür?
Wohl kaum: Schließlich würde durch eine Entschädigungspflicht für eine zulässige Ungleichbehandlung die Wertung des § 20 Abs. 1 AGG und sämtliche Aussagen des SBGG-Gesetzgebers ignoriert. Auch dürfte sich die ADS nicht auf die Position zurückziehen können, es habe sich nur um einen Einigungsvorschlag und nicht um einen – ihr freilich nicht zustehenden - "AGG-Bescheid" gehandelt. Das Schreiben "ersucht" um Stellungnahme, ist mit behördlichem Briefkopf versehen und nimmt auf das AGG als Rechtsgrundlage Bezug. Das ist geeignet, die Betreiberin des Fitnessstudios einzuschüchtern und dazu zu bewegen, dem Vorschlag zuzustimmen, um einem befürchteten Rechtsstreit aus dem Weg zu gehen. Droht ein solcher offensichtlich gar nicht, dürfte die ADS ein solches Schreiben wohl nicht abschicken.
Einen Anknüpfungspunkt für ihr Vorgehen könnte Ataman aber doch haben. Denn abschließend entscheidet § 20 Abs. 1 Nr. 2 AGG den Fall nicht. Auch das BMJ hält sich gegenüber LTO mit einer Subsumtion zurück. Vielmehr verweist es darauf, die rechtliche Bewertung von Einzelfällen obliege den Gerichten.
Bereits das Gesetz selbst ist vorsichtig formuliert: Wenn die unterschiedliche Behandlung dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt, "kann" ein sachlicher Grund vorliegen. Das lässt womöglich Spielraum für eine Abwägung der Interessen beider Seiten: einerseits dem Interesse von trans Frauen, die nachweislich zu den vulnerabelsten Personengruppen gehören, vor Diskriminierung geschützt zu werden. Andererseits dem Interesse von cis Frauen, in Schutzräumen nicht mit dem Anblick männlicher Geschlechtsmerkmale konfrontiert zu sein. Die betroffene Frau könnte hierzu womöglich vorbringen, die Studiobetreiberin hätte sich auf eines der Kompromissangebote einlassen müssen.
Ob ein Gericht mit diesem Argument das Hausrecht der Betreiberin entsprechend einschränken würde, ist aber zweifelhaft. Auch weil es ebenfalls zu den schützenswerten Interessen von Frauen gehört, nicht das Gefühl haben zu müssen, den eigenen nackten Körper männlichen Blicken preiszugeben.
Red. Hinweis: Aktualisierte Fassung vom 03.06.2024, 12:30 Uhr.
Entschädigung trotz AGG-Ausnahme?: . In: Legal Tribune Online, 30.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54662 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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