Harris oder Trump, heißt es, wenn die US-Wahllokale ihre Türen öffnen. Aber wen wählen die Amerikaner da eigentlich? Wer darf abstimmen? Und wie wird der Sieger bestimmt? Die Antworten auf die wichtigsten Rechtsfragen.
Die Aufforderung amerikanischer Polizist:innen, Führerschein und Fahrzeugpapiere vorzuzeigen, kennen wohl alle, die in den USA regelmäßig Auto fahren. "License and Registration please", lauten die ikonischen vier Wörter. Sie könnten so auch aus dem Mund eines Wahlhelfers kommen. Etwa am Dienstag, wenn das amerikanische Volk – in indirekter Wahl – darüber abstimmt, ob die Demokratin Kamala Harris oder der republikanische Ex-Präsident Donald Trump für die nächsten vier Jahre ins Weiße Haus einziehen soll.
Die License – der Führerschein – ist in den USA das Standardpapier zur Identifizierung; einen Personalausweis gibt es ebenso wenig wie eine allgemeine Meldepflicht. Und aus diesem Grund erhalten Wahlberechtigte auch nicht automatisch ihre Wahlunterlagen nach Hause geschickt, vielmehr brauchen sie zusätzlich eine Registrierung als Wähler:in.
Wer darf am 5. November wählen?
Im Ausgangspunkt ist, ähnlich wie in Deutschland, wahlberechtigt, wer die Staatsbürgerschaft besitzt und über 18 Jahre alt ist. Ein aktueller Wohnsitz ist – ebenso wie in Deutschland – nicht erforderlich. 2020 entsprachen etwa 230 Millionen Menschen diesen Kriterien.
Anders als in Deutschland werden diese Personen nicht automatisch ins Wählerverzeichnis aufgenommen und erhalten auch nicht automatisch ihre Wahlunterlagen. Sie müssen vielmehr in ihrem jeweilgen Staat als Wähler:innen registrieren. Üblicherweise ist das persönlich, per Brief oder auch online möglich. Die Anforderungen unterscheiden sich im Einzelnen aber je nach Bundesstaat. Insbesondere gelten in vielen Staaten Fristen von mehreren Wochen vor dem Wahltag. Lässt man diese verstreichen, darf man bei der Wahl nicht mitwählen – weder per Brief noch im Wahllokal. In wenigen Staaten kann man sich am Wahltag noch im Wahllokal registrieren. 2020 hatten sich 168 Millionen Menschen registriert, zur Wahl erschienen zwei Drittel der Personen im wahlfähigen Alter – ein Rekordwert.
Im Rahmen der Registrierung wird in einigen Staaten abgefragt, für welche Partei man sich registrieren möchte. Die Festlegung ist jedoch nur für die Vorwahlen der Republikaner bzw. Demokraten relevant – also die Parteitage und Konvente, auf denen die jeweiligen Kandidat:innen bestimmt werden. Wer also an den Vorwahlen der Demokraten teilnehmen wollte, musste sich je nach Staat als Demokraten-Wähler:in registrieren, kann könnte am 5. November trotzdem für Trump abstimmen. Namen, Adresse und Parteizugehörigkeit sind in vielen Bundesstaaten im Wählerverzeichnis öffentlich einsehbar. Das nutzen die Parteien für spezifische Wahlwerbung aus, ggf. auch im Umfeld der registrierten Person.
Wenige Staaten fragen zudem nach der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe. Die Wahlberechtigung ist davon jedoch nicht abhängig. Vielmehr soll die Angabe statistischen Zwecken dienen: Die Staaten sollen abschätzen können, inwiefern die Wahlbeteiligung zwischen den verschiedenen Gruppen variiert, um gegebenenfalls Handlungsbedarf beim Abbau von diskriminierenden Hürden zu erkennen.
Rund fünf Millionen Amerikaner sind von der Wahl ausgeschlossen, weil sie wegen einer Straftat verurteilt wurden bzw. eine Haftstrafe absitzen. Die Regeln variieren von Wahlrechtsbezirk zu Wahlrechtsbezirk erheblich. In den 50 Staaten gibt es insgesamt 10.000 verschiedene Wahlrechtsordnungen. So darf mancherorts wählen, wer nicht gerade eine Haftstrafe verbüßt, andernorts disqualifiziert eine einmalige Haftstrafe oder Verurteilung wegen eines schweren Verbrechens auf Lebenszeit. Das betrifft statistisch Schwarze viel häufiger als Weiße. Da Afroamerikaner:innen im Schnitt häufiger demokratische Kandidat:innen wählen, ist es meist die republikanische Partei, die sich gegen eine Lockerung der Regeln für Häftlinge ausspricht.
Wer wird am 5. November gewählt?
Schon der Grundmodus der Wahl ist bemerkenswert: Es ist nicht das Volk, das den Präsidenten oder die Präsidentin der Vereinigten Staaten wählt, sondern das Electoral College. 538 Delegierte ("Wahlmänner") genießen das Privileg, das Staatsoberhaupt für etwa 330 Millionen US-Amerikaner:innen zu bestimmen. Diese formelle Präsidentschaftswahl findet erst am 17. Dezember statt.
Die 538 Delegierten verteilen sich auf die 50 Bundesstaaten, wobei ein Staat umso mehr Delegierte erhält, je mehr Einwohner:innen er hat. Proportional ist Verteilung jedoch bei weitem nicht: Bevölkerungsarme Staaten sind im Vergleich zu bevölkerungsreichen im Electoral College überrepräsentiert. So zählen die Stimmen der knapp 600.000 Einwohner:innen von Wyoming über die Delegiertenversammlung 3,8-mal so viel wie die der 40 Millionen Kalifornier:innen. De facto ohne Wahlrecht stehen die insgesamt über vier Millionen Bewohner der US-Außengebiete wie etwa Puerto Rico, Guam oder die Jungferninseln da. Obwohl hier US-Recht gilt, sind diesen Gebieten keine Delegierten zugewiesen.
Wer im jeweiligen Bundesstaat am 17. Dezember den Präsidenten bzw. die Prädentin wählt, bestimmt die Partei, die in dem Staat am 5. November die meisten Stimmen der "einfachen" Wähler:innen erhalten hat. Deshalb ist diese Volkswahl praktisch die entscheidende. Zwar könnten die Delegierten theoretisch für den Gegner stimmen. Das ist aber selten und hat der US-Geschichte noch nie einen Unterschied gemacht. Es ist daher auch 2024 nicht zu erwarten, dass im Dezember eine andere Person Präsident(in) wird als die, die aus der Volkswahl in der kommenden Woche als Sieger hervorgeht.
Wer gewinnt?
Den Sieg erringt der Kandidat, der die Mehrheit der bundesweit 538 Delegierten erhält, also ab einer Zahl von 270 Delegierten.
In 48 Bundesstaaten sowie im Hauptstadtdistrikt DC gilt das Mehrheitsprinzip "The winner takes it all": Die Partei, deren Duo die meisten Wählerstimmen erhält, darf alle Delegierten für den Staat entsenden. Nur in zwei Bundesstaaten ist es möglich, republikanische und demokratische Delegierte ins Electoral College zu entsenden: Im republikanisch dominierten Nebraska werden die fünf Delegierten grob proportional nach dem Stimmenverhältnis vergeben. Im mehrheitlich demokratisch geprägten Maine verteilen sich die vier Delegierten auf drei Wahlbezirke, die jeweils dem Mehrheitsprinzip unterliegen. In beiden Staaten erhielt die schwächere Partei deshalb jeweils einen Delegierten.
Damit gibt es zwei Faktoren, die die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen verzerren: zum einen die unproportionale Verteilung der Delegierten über die Bundesstaaten, also dass die Stimmen in bevölkerungsarmen Staaten mehr zählen als in bevölkerungsreichen und dass Puerto Rico und Co. ganz ohne Delegierte dastehen. Zum anderen das in den allermeisten Staaten geltende "Winner takes it all"-Prinzip. Und so ist es schon fünfmal in der US-Geschichte passiert, dass ein Kandidat Präsident wird, der weniger Stimmen erhalten hatte als sein Kontrahent. Zuletzt geschah dies 2016, hier war die Stimmendifferenz sogar besonders groß: Die demokratische Kandidatin Hillary Clinton erhielt 2,8 Millionen Stimmen mehr als ihr Gegner und wurde doch nicht Präsidentin – Profiteur damals: Donald Trump. Dass sich dies wiederholt, ist alles andere als unwahrscheinlich.
In dem unwahrscheinlichen Fall, dass Harris/Walz und Trump/Vance beide jeweils 269 Delegiertenstimmen erringen, wählt das Repräsentantenhaus die Präsidentin bzw. den Präsidenten. Hier haben zwar zurzeit die Republikaner die Mehrheit der Abgeordneten. Allerdings hat bei dieser Abstimmung jeder Bundesstaat nur eine Stimme, was den Demokraten aktuell einen knappen Vorteil verschaffen würde.
Wann steht das Ergebnis fest?
Aufgrund der verschiedenen Zeitzonen schließen die Wahllokale nicht zur gleichen Zeit. Mancherorts wird ausgezählt, wo andernorts noch gewählt wird. Die Wahllokale geben die Auszählungsergebnisse schrittweise "live" bekannt, wobei sich die Auszählungsmodalitäten je nach Staat bzw. County erheblich unterscheiden. Es gibt keine offiziellen Nachwahlbefragungen und Hochrechnungen. Vielmehr sind alle Blicke auf die Fernsehsender wie CNN oder Fox gerichtet, sie erstellen auf Grundlage der ihnen schrittweise in Echtzeit übermittelten Auszählungsergebnisse sowie Vor- und Nachwahlumfragen stetig neue Hochrechnungen. Die Sender arbeiten dabei mit komplexen statistischen Modellen, die auch auf historischen Daten basieren und die Wählerstruktur in verschiedenen Bezirken einbeziehen. Dabei wird weniger extrapoliert. Die Berechnungen basieren viel stärker auf den bislang übermittelten Stimmpaketen. Deshalb warten die Sender lange, bis sie einen Sieger ausrufen. Erst wenn nach ihrem Modell Harris bzw. Trump der Sieg nicht mehr zu nehmen ist, weil sie 270 oder mehr Delegierte sicher haben, ruft ein Sender den Wahlsieg aus.
Wann das sein wird, lässt sich nicht seriös prognostizieren. Einige schätzen, dass sich die Auszählung über mehrere Tage hinzieht, andere erwarten ein Ergebnis noch in der Wahlnacht. Bei der letzten Wahl dauerte es bis vom Wahltag am Dienstag bis Samstag, also vier Tage. Klar ist, dass es umso länger dauert, je enger das Rennen ist. Insbesondere in den Swing States mit vielen Delegierten wie Pennsylvania (19), Georgia (16) und Michigan (15) wird eine spannende Auszählung erwartet.
Ob sie so lange und dramatisch verläuft wie vor vier Jahren, dürfte auch von der Verteilung der vorzeitig abgegebenen Stimmen abhängen. Ein solches early voting ermöglichen 36 Staaten, Briefwahlstimmen. 2020 lagen die Republikaner zunächst klar vorn. Trump kürte sich noch in der Wahlnacht zum uneinholbaren Sieger. Doch dann holte die Demokraten auf und verwandelten den Rückstand in einigen Swing States noch in eine Führung. Maßgeblich für diesen Verlauf, den Trump später als Anlass für seine Lüge von der gestohlenen Wahl nutzte, war auch, dass die durchschnittlich häufiger demokratischen early votes und Briefwahlstimmen in einigen Staaten zuletzt ausgezählt werden. Ob es in diesem Jahr ähnlich kommt, ist offen. Vielerorts ist festzustellen, dass Wähler:innen der Republikaner viel stärker vom early voting Gebrauch machen als in der Vergangenheit.
Wie geht es weiter und was wird noch gewählt?
Steht der Präsident dann am Ende der kommenden Woche vorläufig und am 17. Dezember dann auch im Electoral College fest, so muss das Wahlergebnis formal noch im Senat bestätigt werden. Dies geschieht wie vor vier Jahren am 6. Januar. Die Sitzung leitet stets der amtierende Vizepräsident. Gewinnt Kamala Harris die Wahl, würde sie sich also – wie 1988 George Bush – selbst zur Wahlsiegerin erklären.
Wenn da mal nicht der nächste Sturm auf das Kapitol droht – wie am 6. Januar 2021, nachdem Trump seine Anhänger aufgefordert hatte, die Feststellung des Wahlergebnisses im Kongress zu verhindern. Trumps scheidender Vizepräsident Mike Pence hatte ihm diesen Wunsch verweigert.
Harris vs. Trump – das ist am Dienstag nur ein Teil der general elections. Daneben wählen die Amerikaner:innen die beiden Kammern des US-Kongresses (in Teilen) neu. Das betrifft ein Drittel der insgesamt 100 Mitglieder des Senats, deren Amtszeit sechs Jahre beträgt. Zudem wird das Repräsentantenhaus vollständig neu besetzt. Die 435 Abgeordneten bleiben zwei Jahre im Amt, dann finden wieder Wahlen zum Repräsentantenhaus statt, die wegen ihres Zeitpunktes – Halbzeit der Präsidentschaftszeit – midterms heißen.
Fragen zur US-Präsidentschaftswahl: . In: Legal Tribune Online, 01.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55770 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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