Die HU Berlin hat ein Forschungsprojekt mit Geldern ausgestattet, damit es am Verfassungsblog das Phänomen der bloggenden Staatsrechtler ergründet. Die Teilnehmer des Projekts sind aber fast alle identisch mit den Machern des Blogs. Und der will auch nicht recht ein klassischer Blog sein. Wer nutzt hier eigentlich wen: Das Forschungsprojekt den Verfassungsblog oder ist es doch eher umgekehrt?
Unter verfassungsblog.de diskutieren bekannte wie junge Staatsrechtler aktuelle verfassungspolitische Fragen. Den Blog gründete 2009 der Jurist und Journalist Maximilian Steinbeis, ab 2011 kooperierte er mit dem Berliner Forschungsverbund Recht im Kontext.
Seit Sommer 2013 gibt es nun das Forschungsprojekt "Verfassungsblog: Perspektiven der Wissenschaftskommunikation in der Rechtswissenschaft", das finanziert wird mit insgesamt 207.000 Euro aus Mitteln der Exzellenzinitiative der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin in der Förderlinie Freiräume.
207.000 Euro, das sind zwei halbe wissenschaftliche Mitarbeiterinnen-Stellen, eine Sachbearbeiterin für die neue Geschäftsstelle (ebenfalls mit einer halben Stelle), ein Honorar für den journalistischen Leiter und Chefredakteur des Verfassungsblogs Steinbeis plus Mittel für Technik und Übersetzungen. Das Projekt soll der Frage nachgehen: "Was geschieht, wenn Juristen verfassungsrechtlich bloggen?" Es soll untersucht werden, ob sich ein wissenschaftlicher Blog dazu eignet, die Kommunikation unter Rechtswissenschaftlern und ihren Kollegen aus der Geistes- und Sozialwissenschaft zu verbessern und wenn ja, wie.
207.000 Euro, das ist fast ein Drittel der Gesamtsumme der Förderlinie Freiräume, in der um die 20 Projekte unterstützt werden, wobei darunter auch Tagungen und Workshops sind. Ein nicht unerheblicher Betrag für eine Webseite, auf der bisher etwa 20 Beiträge pro Monat erschienen, zum Teil journalistische Texte von Steinbeis, zum Teil wissenschaftliche Artikel von Gastautoren.
Beobachter gestalten selbst, was sie beobachten?
Leiter des Forschungsprojekts ist der HU-Juraprofessor Christoph Möllers, der zugleich regelmäßiger Autor des Blogs ist. Wissenschaftlich koordiniert wird das Projekt von Rechtsanwältin Alexandra Kemmerer. Auch sie ist, seit der Verfassungsblog der offizielle Blog des Wissenschaftsverbunds "Recht im Kontext" ist, dessen Koordinatorin sie wiederum ist, regelmäßige Autorin und "Redakteurin ad hoc". Die journalistische Koordination des Forschungsprojekts übernimmt der Gründer des Blogs Steinbeis, der auch Chefredakteur und Herausgeber des Blogs bleibt.
Die beiden halben wissenschaftlichen Stellen besetzen die Ethnologin Mirjam Staub und die Juristin Hannah Birkenkötter. Letztere promoviert bei Möllers zu einem völkerrechtlichen Thema. Birkenkötter soll auf dem Verfassungsblog zeigen, wie Rechtswissenschaft und Bloggen zusammengehen. "Sie soll als Wissenschaftlerin für ihre Arbeit den Verfassungsblog als Instrument einsetzen, an der Diskussion teilnehmen, Beiträge schreiben und redigieren, Themen planen, die wissenschaftliche Debatte koordinieren", sagt Blog-Chefredakteur Steinbeis. Ihr erstes Interview hat sie bereits geführt und den Schwerpunkt zur NSA koordiniert.
Schon im Förderantrag stand, bei Interesse und Begabung könnten die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Forschungsprojekts an der Gestaltung des Blogs mitwirken. Die Beobachter gestalten also selbst, was sie beobachten?
2/3: Der Blog als Experimentierraum
Die Projektverantwortlichen halten diese Personenidentität nicht für problematisch. "Man muss eben wissen, welchen Hut man gerade trägt", sagt Kemmerer. "Darauf sollten doch gerade Juristen durch ihre Ausbildung perfekt vorbereitet sein." Außerdem erfordere eine "teilnehmende Beobachtung", wie sie die Ethnologen betreiben, keine strikte Trennung zwischen Beobachter und Beobachtetem.
Die Ethnologin ist tatsächlich reine Beobachterin. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt will sie den Blog nicht mitgestalten. Sollte die Seite in Zukunft stärker interdisziplinär ausgerichtet sein, könnte sie sich eine Mitarbeit dagegen vorstellen. "Inwieweit dies gewünscht und realisierbar ist, muss allerdings noch projektintern besprochen werden", so Staub.
Auch Projektleiter und Blogautor Möllers sieht in der fast hundertprozentigen personellen Identität von Beobachtern und Beobachteten kein Problem. "Ich denke, durch die beiden Mitarbeiterinnen haben wir das sauber und eindeutig getrennt", sagt Möllers. "Die Ethnologin hatte mit der Rechtswissenschaft noch nie etwas zu tun."
Aber selbst wenn die Personenidentität aus ethnologischer Sicht kein Problem für die Forschung ist, wird mit den Geldern am Ende nicht doch vor allem die Redaktion gestärkt? Die Redaktionsarbeit der juristischen Mitarbeiterin soll sich darauf konzentrieren, die Wissenschaftskommunikation, die auf dem Blog bereits stattfinde, systematischer zu gestalten und wissenschaftlich belastbarer zu machen, als das bisher der Fall war, so Steinbeis. "Die Mitarbeiterin soll eine Qualitätskontrolle einführen, für gewisse Standards sorgen, damit es für klassische juristische Publikationen einfacher wird, uns zu zitieren", sagt Möllers.
"Das Forschungsprojekt braucht den Blog wie die Naturwissenschaft Großgeräte", erklärt Kemmerer. "Der Blog soll Experimentierraum sein. Damit das klappt, müssen die Betriebskosten gedeckt werden."
Das Internet erforschen
Was genau mit dem Projekt erforscht werden soll, liest sich im Antrag so: "Das Forschungsvorhaben soll die Dynamiken und spezifischen Möglichkeiten virtueller Wissenschaftskommunikation in der Rechtswissenschaft erproben, reflektieren, analysieren und bewerten. Im Rahmen des Forschungsvorhabens sollen solche Lernprozesse angestoßen, erprobt, weiterentwickelt und reflektiert werden, um Erkenntnisse über die Möglichkeiten und Grenzen virtueller Kommunikation für die Geisteswissenschaften im allgemeinen und das spezifische Feld des Rechts und der Rechtswissenschaft im Besonderen zu gewinnen."
Es klingt ein wenig, als sei das Internet den Rechtswissenschaftlern doch irgendwie noch fremdes Terrain, das interessant erscheint, aber erst einmal gründlich erforscht werden sollte, bevor man es betritt. Sind im Jahr 2013 die Möglichkeiten und Gefahren, die das Internet mit sich bringt – seine Geschwindigkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit – tatsächlich noch so neu, dass sie erforscht werden müssen?
Möllers ist da ganz Wissenschaftler. Er sei einfach neugierig. Ihn reize die Gelegenheit, von einer Außenstehenden einen Blick auf die Rechtswissenschaft werfen zu lassen. Wozu man das brauche? "Was heißt schon brauchen?"
Kemmerer sieht in dem Projekt auch die Möglichkeit, eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Ethnologen und Juristen zu initiieren. Vor allem aber soll das Projekt Informationen über die Kommunikation unter Juristen liefern. Diese könnten später Blog- und Zeitschriftenredaktionen nutzen.
Aber auch Universitäten und Institutionen wie das Wissenschaftskolleg und die Max-Planck-Institute sollen davon profitieren. Ihren Wissenschaftlern sollen die Forschungsergebnisse helfen, eigenständig und reflektiert am Fachdiskurs teilzunehmen, sich einzubringen und zu positionieren. "Die Wissenschaft verändert sich ebenso wie die Medien. Wir müssen uns fragen, was klassische Medien am Schnittpunkt von Wissenschaft und Öffentlichkeit noch leisten können und welche Rolle da ein Blog einnehmen kann." Dieser Frage widmete sich auch die Auftaktveranstaltung zum Forschungsprojekt im Oktober dieses Jahres.
Wie die Arbeit an dem Projekt konkret vonstattengehen soll, scheint noch nicht ganz klar zu sein. Die Ethnologin nimmt vorerst an Einführungsvorlesungen und Diskussionsveranstaltungen teil, um sich mit dem Feld der Rechtswissenschaft vertraut zu machen. Die Fragen, denen man nachgehen möchte, müssen erst noch konkretisiert, die Methoden besprochen und interdisziplinär ausgehandelt werden. "Wir sind froh, dass die Mittelgeber in der Hinsicht sehr offen waren und uns bewusst Raum zur Entwicklung eines eigenen, maßgeschneiderten Zugangs geben", sagt Kemmerer.
3/3: Redigierte Blogbeiträge?
Unweigerlich stellt sich auch die Frage, ob der Verfassungsblog nicht nur Blog heißt, sondern tatsächlich auch einer ist. Und damit auch die Frage danach, ob der Forschungszweck des Projekts, was geschieht, wenn Juristen verfassungsrechtlich bloggen, nicht verrückter klingt, als das Ganze eigentlich ist.
"Wir redigieren Ihren Text", heißt es in den Hinweisen an potentielle Gastautoren für wissenschaftliche Beiträge. Redigierte Blogeinträge? Wo liegt da noch der Unterschied zum klassischen Fachbeitrag, der nur online erscheint statt gedruckt?
Steinbeis will sich da nicht an festgefügten Kategorien orientieren. Natürlich habe sich die Seite weiterentwickelt vom Einzelblog, seiner privaten Spielwiese, hin zu einer wissenschaftlichen Diskursplattform, die nicht auf eine Einzelstimme beschränkt ist. Und wenn ein Satz krumm sei, redigiere er den eben.
Der Journalist sieht die Webseite an der Schnittstelle von Wissenschaft und Presse. Dabei will er nicht von Presse sprechen, sondern von Öffentlichkeit: "Wir wollen die Sphäre der Wissenschaft für die Öffentlichkeit durchlässiger machen und umgekehrt." Er sieht den Blog eher auf einer Linie mit der Herausgabe einer Schriftenreihe. "Wir betreiben keine Medienentwicklung. Deshalb ist die Förderung durch öffentliche Mittel auch kein Problem." Auch Möllers siedelt den Blog eher im Bereich von Wissenschaft und Publizistik an. Kemmerer hält die Förderung für unproblematisch, weil das Projekt nur für einen sehr begrenzten Zeitraum aus öffentlichen Geldern finanziert wird: "Als Experiment."
Magere virtuelle Diskussion
Ihre Förderungswürdigkeit begründeten die Projektleiter auch damit, dass der Verfassungsblog im deutschsprachigen juristischen und verfassungspolitischen Diskurs bereits debattenprägend sei. Zum Beweis verwiesen sie auf Zitate in mehreren Beiträgen der FAZ und der SZ sowie auf die "juristische Presseschau von Spiegel-Online". Bei Letzterem dürfte es sich um Legal Voices, die juristische Presseschau der LTO handeln.
Die Besucherzahlen sind allerdings sehr gering. "Der Verfassungsblog hat im Monat durchschnittlich 15. bis 20.000 unique visitors", sagt Steinbeis. IVW-gelistet ist der Blog nicht, allerdings gibt es auf der Seite auch keine Werbung. Auf Alexa.com nimmt der Verfassungsblog in Deutschland etwa Rang 108.000 ein. Zum Vergleich: Die Legal Tribune Online steht ca. auf Rang 5.000, Spiegel Online auf 8, der Lawblog auf 2.300, Jurablogs auf 3.500 und Internet-Law auf 6.400.
Auch die "virtuelle" Diskussion fällt eher mager aus. Auf Facebook werden nur eigene neue Beiträge gepostet, knapp 1.500 Likes gibt es dafür, kommentiert werden die Posts äußerst selten. Auf der Seite selbst sind die Kommentare etwas zahlreicher. Über hundert Kommentare erhielt zuletzt ein Beitrag zum SPD-Mitgliederentscheid, allerdings ist das eher die Ausnahme. Auf Twitter sieht es ähnlich aus, ca. 1.000 Follower hat der Blog dort, auch hier werden nur Beiträge getweetet. Retweets gibt es relativ regelmäßig, allerdings entspinnt sich fast nie eine Diskussion.
Nicht der Blog ist Mittel des Projekts, es ist umgekehrt
Es bleibt das ungute Gefühl, dass hier nicht in erster Linie interessierte Wissenschaftler auf das Phänomen der bloggenden Staatsrechtler gestoßen sind und für seine Erforschung Fördermittel beantragt haben. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass die Betreiber von Verfassungsblog.de sich ein Forschungsprojekt für den Blog überlegt haben, um diesen mit Fördergeldern zu stärken, auf dass er qualitativ wertvoller und mit erhöhter Relevanz aus der zweijährigen Erforschungsphase hervorgeht.
So ist am Ende wohl nicht der Blog das Mittel eines Forschungsprojekts und auch nicht dessen "Experimentierraum", sondern es ist umgekehrt: Das Forschungsprojekt ist ein Mittel und eine gute Gelegenheit, um den Blog fortzuentwickeln.
Ganz ohne Forschungsgelder, systematische Qualitätskontrolle und Redigatur hat es neulich eine bloggende Anwältin in die Fußnote einer juristischen Fachzeitschrift geschafft: Im November twitterte die Rechtsanwältin Nina Diercks@SocialMediaR_HH: "Ich werde zitiert. Aus meinem BLOG. In einer juristischen Fachzeitschrift, im @BetriebsBerater #zeichenundwunder cc @CMSbloggt Thx!"
Claudia Kornmeier und Pia Lorenz, Projekt zum Verfassungsblog: Forscher für die Redaktion . In: Legal Tribune Online, 18.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10396/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag