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Fluglotsenstreik: Urlauber in außergewöhnlichen Umständen

Interview mit Prof. Dr. Ronald Schmid

08.08.2011

fluglotsenstreik

© Kushch Dmitry - Fotolia.com

Zweiter Anlauf: Nachdem der erste per Gericht verboten wurde, sind Fluglotsen erneut zum Streik aufgerufen. Den Flughäfen droht der Kollaps, tausende Reisende werden stundenlang auf Airports festsitzen, weil Flugzeuge nicht fliegen können. Über die Chancen eines erneuten Streikversuchs und mögliche Ansprüche der Fluggäste sprach LTO mit Prof. Dr. Ronald Schmid.

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LTO: Nun werden die Fluglotsen ab Dienstag doch streiken. Und das mitten in der Ferienzeit. Gibt es Beschränkungen bezüglich der Zulässigkeit eines Streiks? Haben streikende Arbeitnehmer zum Beispiel Rücksicht zu nehmen auf Belange des Arbeitgebers oder verhältnismäßig zu handeln?

Schmid: Zunächst ist zu sagen, dass es sich bei den angekündigten Arbeitsniederlegungen wohl lediglich um einen Warnstreik handelt. Die arbeitsrechtliche Rechtsprechung fordert das in der Regel als "milderes Mittel", womit letztlich auch die Belange des Arbeitgebers und der Öffentlichkeit berücksichtigt werden. Der Streik soll ja nur auch nur über 6 Stunden andauern.

Für den Luftverkehr bedeutet dies allerdings eine enorme Belastung, die unter Umständen sogar noch bis in den nächsten Tag reichen könnte. Die ausgefallenen Flüge müssen neben den dann wieder regulär verlaufenden nachgeholt werden.

LTO: Solche Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte spielten offenbar keine Rolle in dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Frankfurt, das den ursprünglich schon für die letzte Woche geplanten Streik untersagte. Das Arbeitsgericht war der Ansicht, eines der Streikziele verstoße gegen die Friedenspflicht. Musste die Gewerkschaft nur "Formalfehler" beseitigen, damit der Streik nun zulässig ist?

Schmid: Das Gericht in Frankfurt hat eine Friedenspflicht der Tarifparteien angenommen, weil die Gewerkschaft eine Regelung im Einführungstarifvertrag ändern wollte, was als Abänderung der bestehenden Regelung des § 19 Manteltarifvertrages galt. Dieser Vertrag ist ungekündigt, weshalb eine relative Friedenspflicht besteht.

Wenn die Gewerkschaft dieses Streikziel aufgibt, also zum Beispiel nur wegen der Gehaltserhöhung von 6,5 Prozent gestreikt wird, dann würde der Streik nicht mehr als unzulässig anzusehen sein. Man muss genau schauen, ob die verbleibenden Streikziele verhandelbar sind, der entsprechende Tarifvertrag also offen ist, da nur dann ein Streik zulässig erscheint.

Keine Geldansprüche der Reisenden, aber Essen und Trinken

LTO: Mitten in der Ferienzeit werden vor allem viele Urlauber von dem Streik am Dienstag betroffen sein. Welche Ersatzansprüche haben sie, falls ihr Flug komplett entfällt?

Schmid: Man muss hier zwischen Fluggästen, die nur den einen Flug gebucht haben, und  Reisenden, die im Rahmen  einer Pauschalreise befördert werden, unterscheiden, weil jeweils andere Regeln gelten. Mit einer Verspätung oder Annullierung des Fluges ist auf jeden Fall die Fluggastrechteverordnung anwendbar. Zunächst einmal.

Bei einem Streik allerdings kann sich ein Luftfahrtunternehmen entlasten, weil ihr dieser nicht zugerechnet werden kann. Zwar streitet man in der Wissenschaft darum, ob jede Art von Streik hierzu gehört. So darf man meiner Meinung nach etwa einen Pilotenstreik nicht dazu zählen, da der "Umstand" dann in der Sphäre des Flugunternehmens liegt. Aber ein Fremdstreik, wie hier der Fluglotsen oder auch der Flughafenfeuerwehr, sind kein typisches Risiko beim Betrieb eines Luftfahrtunternehmens.

Die Arbeitsniederlegung von Fluglotsen ist daher ein "außergewöhnlicher Umstand" im Sinne der Verordnung. Die Luftfahrtunternehmen müssen deshalb keine Ausgleichsleistungen zwischen 250 und 600 Euro zahlen. Insoweit besteht kein Unterschied zu der Rechtslage, die wir bei der Aschewolke aus Island hatten.

Für die Unternehmen besteht aber weiterhin die Pflicht, Betreuungsleistungen wie zum Beispiel Verpflegung zu erbringen oder bei längerem Streik auch ein Hotelzimmer zu besorgen. Auch die Untersützungsleistungen müssen erbracht werden, das heißt die Fluggesellschaften müssen eine anderweitige Beförderung organisieren, wenn Flüge annulliert werden oder sich über mehrere Stunden verzögern. Nach 5 Stunden kann der Reisende die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten verlangen.

LTO: Aber die Fluggastrechteverordnung erlaubt den Fluggesellschaften doch nur bei Flugannullierungen, sich auf die "außergewöhnlichen Umstände" zu berufen.

Schmid: Das ist grundsätzlich richtig, die Verordnung sieht eigentlich für Verspätungen nur die Betreuungs- und Unterstützungsleistungen vor. Doch der EuGH hat entschieden, dass eine größere Verspätung wie eine Annullierung zu behandeln ist, so dass die Vorschriften allesamt auch auf diese Fälle analog anzuwenden sind. Damit gilt für diese Fälle aber auch der Entlastungsgrund "außergewöhnlicher Umstand", hier also der Streik.

Mit dem Zug zum ausländischen Flughafen

LTO: Gibt es denn bei den "anderweitigen Beförderungsmöglichkeiten" die Pflicht, dass das Luftfahrtunternehmen den Gast auch ins Ausland bringt, um von hier zu fliegen? Oder wäre so etwas unverhältnismäßig?

Schmid: Sicher können keine völlig unwirtschaftlichen Optionen unberücksichtigt bleiben. Doch muss ein Luftfahrtunternehmen schon einige Anstrengungen unternehmen, den Fluggast anderweitig zu befördern. Das gilt insbesondere dann, wenn zum Beispiel nur lokal, also an einzelnen Flughäfen gestreikt wirkt.

Wenn sämtliche Flughäfen oder der gesamte Luftraum über Deutschland vom Streik betroffen sind, wird man für Flüge ab grenznahen Flughäfen überlegen müssen, ob es zumutbar ist, auf Nachbarflughäfen in anderen Staaten, etwa Holland, Schweiz, Österreich oder Tschechien,  auszuweichen. So hat man es ja bei der Aschewolke gemacht: Teilweise sind die Reisenden dann mit Bus oder Bahn zu anderen Flughäfen befördert worden, von denen sie mit Bodenverkehrsmitteln weiterreisen oder von dort abfliegen konnten.

Es gibt hier aber keine obergerichtliche Rechtsauffassung, nach der man beurteilen könnte, ab wann eine solche Ersatzbeförderung nicht mehr zumutbar ist – sowohl für die Airline als auch den Passagier. Man muss in dem aktuellen Fall aber auch die Kürze des Warnstreiks berücksichtigen. Die Auswirkungen sind überschaubar und ein Transport der Passagiere auf einen Ausweichflughafen ins Ausland wäre bei einem relativ kurzen Streik sicherlich außer Verhältnis. Sollten Folgstreiks länger dauern, kann das aber anders zu beurteilen sein.

Privatisierung der Flugsicherung ist "Spiel mit dem Feuer"

LTO: Bestünde nicht auch die Möglichkeit, Personal heranzuziehen, das nicht am Streik beteiligt?

Schmid: Sicherlich gäbe es diese Möglichkeit, wenn etwa nicht alle Flughäfen bestreikt würden oder man könnte auch an den militärischen Flugsicherungsbereich denken. Eventuell ließe sich dann auch mit den wenigen noch verbliebenen beamteten Fluglotsen ein Notfallplan aufrecht zu erhalten. Aber das dürfte kaum wirklich helfen.

Dies ist leider Folge der Privatisierung der Flugsicherung. Früher waren Fluglotsen verbeamtet und durften nicht streiken. Und jetzt reiben sich diejenigen, die die Privatisierung unbedingt durchsetzen wollten, verwundert die Augen ob der Auswirkungen ihres Tuns. Die Umstrukturierung war für die Aufrechthaltung des Flugbetriebs ein Spiel mit dem Feuer.

Pauschalurlauber können länger am Strand bleiben, zahlen aber die Hälfte

LTO: Die meisten der betroffenen Fluggäste dürften Pauschalurlauber sein. An der Flugbuchung hängt also auch der Hotelaufenthalt und ähnliches. Wie stellt sich die Lage dieser Reisenden dar?

Schmid: Für Pauschalreisende  ist die Rechtslage einfacher zu beurteilen. Für sie gilt auch die Fluggastrechteverordnung, aber auch das Reisevertragsrecht des Bürgerliche Gesetzbuches. Es liegt bei einem Streik ein Fall "höherer Gewalt" im Sinne des § 651j BGB vor, die weder Reisenden noch vom Veranstalter zu vertreten ist. Das Gesetz sieht dann vor, dass sowohl der Veranstalter als auch der Urlauber den Reisevertrag kündigen können.

In beiden Fällen ist der Reisepreis zurückzuzahlen, wenn der Urlaub noch nicht angetreten ist. Wenn der Urlaub schon begonnen hat, kann der Veranstalter aber für die bereits erbrachten Leistungen eine Entschädigung verlangen.

Falls sich der Streik ausweitet und eine weitere Übernachtung am Urlaubsort nötig wird, weil der Passagier nicht sofort zurückgebracht werden kann, müssen sich Reiseveranstalter und Reisender die Kosten teilen. Der Urlauber kann sich also nicht auf einen weiteren kostenlosen Urlaubstag freuen.

LTO: Wie verhält es sich bei den Reisenden, die eine Kreuzfahrt gebucht haben und mit dem Flugzeug an den Hafen gebracht werden? Hier wäre ja die entgangene Kreuzfahrt eine Art mittelbarer Schaden, wenn das Schiff verpasst wird.

Schmid: Hier muss man unterscheiden: Wenn die Beförderung zum Abgangshafen Teil der Leistungen des Reiseveranstalters war, gelten die normalen Regeln für Störungen bei Pauschalreisen. Anders ist es bei den Urlaubern, die sich selbst um die Anreise gekümmert haben. Ich meine, dass auch hier Ansprüche gegen das Luftfahrtunternehmen gegeben sind; das sehen aber manche Gerichte anders. Hier besteht also noch Bedarf an höchstrichterlicher Klärung.

LTO: Herr Professor Schmid, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch.

Prof. Dr. Ronald Schmid ist Rechtsanwalt und Honorar-Professor für Luftverkehrsrecht und Reiserecht an den Universitäten Darmstadt und Dresden.

Das Interview führte Daniel Schneider.

 

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Prof. Dr. Ronald Schmid, Fluglotsenstreik: Urlauber in außergewöhnlichen Umständen . In: Legal Tribune Online, 08.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3970/ (abgerufen am: 24.09.2023 )

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