Corporate Governance nach Berliner Flughafen-Chaos: "Haftung? Rechtlich alles völlig ungeklärt"

Interview mit Daniela Weber-Rey, LL.M.

23.01.2013

2/2 "Man muss die Dokumente selbst lesen"

LTO: Kann ein Aufsichtsratsmitglied denn Vertreter entsenden? Im privaten wie im öffentlichen Bereich?

Weber-Rey: Im privaten Bereich ist das aufgrund des Grundsatzes der persönlichen Amtswahrnehmung nicht möglich. Dieser Grundsatz gilt auch im öffentlichen Bereich, es scheint hier aber zum Teil akzeptierte Praxis zu sein, Vertreter zu senden. Ich denke, das wird auch hinterfragt werden müssen. Denn obwohl es keine rechtliche Änderung gab, sehen wir ja heute viel mehr, dass es Aufgaben des Aufsichtsratsmitglieds gibt, die dieser nur persönlich erfüllen kann.

Auch die – auch im privaten Bereich selbstverständlich zulässige – Zuarbeit durch Mitarbeiter hat Grenzen. Ein Assistent kann nicht alles in einem executive summary zusammenfassen, die drei anstehenden Beschlüsse erläutern und dazu raten, wofür sein Chef votieren sollte. Das reicht nicht. Der Aufsichtsrat muss die Dokumente selbst lesen, um sich eine eigene Meinung zu bilden – und das führt natürlich erst recht an die zeitlichen Grenzen.

LTO: Sie sind Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Codex. Braucht es gesetzliche Änderungen?

Weber-Rey: Nein, wir sind auch nicht dabei, irgendwelche Gruppen besonders ins Visier zu nehmen. Wir haben vielmehr ein wirklich gewandeltes Bewusstsein hinsichtlich der schweren Aufgabe, die Aufsichtsräte zu erfüllen haben. Daran müssen wir die tatsächlichen Gegebenheiten langsam anpassen. Das braucht ein bisschen Zeit – erst muss das Bewusstsein kommen, dann müssen Konsequenzen gezogen werden hinsichtlich einer Beschränkung der Mandate, eines Rückgriffs auf Vertreter und so weiter. Und das ist gar nicht einfach!

"Einfach weniger Politiker? So leicht ist das alles nicht!"

LTO: In der praktischen Umsetzung schwierig, meinen Sie?

Weber-Rey: Absolut. Selbst für größere Städte ist es gar nicht leicht, dann mal eben einen anderen Menschen zu bestimmen als den Kämmerer oder Oberbürgermeister, der diese Aufgabe tatsächlich auch selbst übernimmt.

LTO: Wäre es denn nicht ein – durchaus auch gesetzgeberischer – Ansatz, per se weniger Politiker und mehr Fachleute in die Aufsichtsräte zu setzen?

Weber-Rey: Naja, das ist nicht so leicht. Auch diese Leute müssen Sie finden – und vor allem auch deren Haftungsrisiken klären. Sobald Sie beispielsweise Beamte in den Aufsichtsrat setzen, sind diese ja immer geschützt. Für Manager wurde dagegen die Haftung gerade verschärft, diese trifft ein Selbstbehalt von mindestens 10 Prozent des Schadens. Wenn aber jemand quasi schon kraft Amtes haftungsfrei ist, kann das wirklich zu einer besseren Governance führen?

Es reicht wohl nicht aus, dass jemand vom Fach ist, wenn er dann trotzdem nicht selbst spürt, was eine falsche Entscheidung ist. Das alles ist ein Dilemma, in dem es keinen Schuldigen gibt. Aber wir sind in einem Wandel des gesamten Governance-Bereichs, das Bewusstsein ändert sich.

LTO: Aber diesen Wandel hat der Public Governance Bereich doch gar nicht mitgemacht, wenn er seit 2010 nicht angepasst wurde?

Weber-Rey: Naja, es haben sich ja überhaupt nur wenige Bundesländer einem eigenen Public Corporate Governance Kodex unterworfen. Im öffentlichen Bereich fehlte eben der starke Antrieb aus Brüssel, den es für die privaten Unternehmen wegen der Finanzmarktkrise gab.

"Haftung? Rechtlich alles völlig ungeklärt"

LTO: Brandenburg gehört ja immerhin zu den Ländern, die sich dem Public Corporate Governance Kodex bereits unterworfen haben, die von Ihnen zitierte Vorschrift ist sogar schärfer als diejenige für den privaten Bereich: Welche Konsequenz hat es denn nun, wenn nicht hinreichend informiert wurde? Kann jemand in die Haftung genommen werden?

Weber-Rey: Die Haftungsthematik ist sehr schwierig. Zwar hat die Gesellschafterversammlung des Flughafens am 27. Januar 2010 beschlossen, sich dem Public Corporate Governance Kodex Brandenburg zu unterwerfen. Aber praktisch gibt es da ebenso viele Fragen wie rechtlich: Erst einmal müsste der Vorstand seine Pflicht zur Informationsbeschaffung oder der Aufsichtsrat seine Pflicht zum Einholen von Informationen verletzt haben.

LTO: Welche Konsequenzen hätten denn solche Pflichtverletzungen überhaupt?

Weber-Rey: Auch das ist noch nicht geklärt: Gilt die Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen, die es im privaten Bereich gibt, auch für Unternehmen in öffentlicher Hand? Ungeklärt! Der Public Corporate Governance Kodex lässt Abweichungen von seinen Empfehlungen zu, auch wenn man sie nachvollziehbar begründen muss – das ist ein wenig wie im privaten Bereich, aber mit der Pflicht, "nachvollziehbar" zu begründen, wohl sogar noch ein bisschen schärfer formuliert.

LTO: Sprechen wir denn nur über Empfehlungen? Was passiert, wenn man sie nicht befolgt?

Weber-Rey: Wie gesagt, dazu gibt es keine Rechtsprechung, seriös ist diese Haftungsfrage nicht zu beantworten.

Durch die Verzögerungen beim Berliner Flughafen, die Ämterhäufung und all das rückt der öffentliche Sektor in den Fokus der Debatte – obwohl Berlin ja nun wirklich nicht das erste Problem ist. Aber das gibt uns die Chance, auf den Veränderungsprozess hinzuweisen, in dem wir uns befinden. Und wir als Governance-Spezialisten müssen – auch mit Hilfe der Presse, die nun gemeinsam mit uns den Finger in die Wunde legt – das Bewusstsein der beteiligten Personen und Institutionen dafür schärfen und klar machen, was das bedeutet. Und zwar auch auf europäischer Ebene – das nehme ich übrigens auch mit in die Debatte. Ich fliege heute noch nach Brüssel, um über Governance zu sprechen.

LTO: Frau Weber-Rey, danke, dass Sie sich die Zeit für das Gespräch genommen haben und viel Erfolg in Brüssel!

Daniela Weber-Rey, LL.M. ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt M&A/Corporate und Partnerin bei Clifford Chance am Standort Frankfurt a. M. Sie ist außerdem Mitglied in der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex.

Das Interview führte (am gestrigen Dienstag) Pia Lorenz.

Zitiervorschlag

Daniela Weber-Rey, LL.M., Corporate Governance nach Berliner Flughafen-Chaos: "Haftung? Rechtlich alles völlig ungeklärt" . In: Legal Tribune Online, 23.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8016/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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