Baurecht vereinfachen, Gebäude beschlagnahmen und nun Wohnraum-Mietern kündigen. Kommunen müssen alles tun, um Flüchtlinge unterzubringen. Im Interview erklären Markus Vogt und Sebastian Schmitz, wann eine Kündigung rechtmäßig ist.
LTO: Verschiedene Medien berichten, dass die Gemeinde Mechernich bereits 2014 ihren Mietern in einer Wohneinheit den Vertrag gekündigt hat, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Der Konflikt wurde nun offensichtlich in einem Vergleich vor Gericht beigelegt - das Ehepaar muss Ende 2015 ausziehen, bekommt jedoch eine Abfindung von 8000 Euro. Auf welcher Rechtsgrundlage können solche Kündigungen überhaupt erfolgen?
Vogt: Die Stadt Mechernich hat hier als Vermieterin eine ordentliche Kündigung nach § 573 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgesprochen. Nach Abs. 1 der Norm ist dies nur zulässig, wenn sie hierfür ein "berechtigtes Interesse" hatte.
Die Konkretisierung in Abs. 2 Nr. 2, der Eigenbedarf, ist hingegen nicht relevant, da eine Gebietskörperschaft keine natürliche Person ist, also weder "selbst" eine Wohnung bewohnen kann noch Familienangehörige hat. Dieser Begriff wird jedoch in den Zeitungen gelegentlich unpräzise verwendet.
In diesem Fall geht es um den für Kommunen geltenden Sonderfall des "öffentlichen Interesses". Dieses muss so gewichtig sein, dass es das berechtigte Interesse des einzelnen Wohnungsmieters am Fortbestand seines Vertrags überwiegt.
Die Stadt als Hoheitsträgerin muss eine Interessenabwägung im Einzelfall vornehmen, die einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ähnelt, wie man sie aus dem öffentlichen Recht kennt. Außerdem muss sie die Gründe, die für eine Kündigung sprechen, im Einzelfall schriftlich darlegen.
Stadt muss Asylbewerber angemessen unterbringen
LTO: Welche Interessen stehen sich bei einer solchen Abwägung gegenüber?
Schmitz: Auf der einen Seite ist die Pflicht der Stadt zu berücksichtigen, Asylbewerber angemessen unterzubringen. Sie folgt für die Stadt aus den Flüchtlingsaufnahmegesetzen der einzelnen Bundesländer. Damit verwirklicht der Staat seinen Auftrag aus der Genfer Flüchtlingskonvention und seine grundgesetzliche Pflicht, die Menschenwürde und die körperliche Unversehrtheit der Schutzsuchenden zu schützen.
Auf der anderen Seite haben die Mieter durchaus ein nachvollziehbares Interesse daran, den bisherigen Wohnmittelpunkt zu behalten, welches ebenfalls berücksichtigt werden muss. So ist das durch die Normen des zivilen Mietrechts konkretisierte Besitzrecht des Mieters an seiner Wohnung grundgesetzlich durch Art. 14 des Grundgesetzes (GG) geschützt.
Solange bei den Mietern, bei denen die Stadt eine Kündigung in Erwägung zieht, selbst keine Obdachlosigkeit zu befürchten ist – etwa weil die Stadt ihneneine neue angemessene Wohnung vermitteln kann -, dürfte das städtische Interesse allerdings stark zu gewichten sein. Anders sieht dies natürlich dann aus, wenn den Mietern infolge der Kündigung selbst Obdachlosigkeit drohte. In diesem Fall wäre eine Kündigung ohne weiteres nicht zulässig.
Größe der Wohnung im Verhältnis zur Anzahl der Mieter
LTO: Welche Argumente können dann konkret den Ausschlag geben?
Vogt: Relevant ist vor allem, dass tatsächlich kein anderer Wohnraum, etwa leerstehende Gebäude im Eigentum der Gemeinde, mehr zur Verfügung steht.
Schmitz: Weiterhin ist relevant, wie groß die Wohnung im Verhältnis zur Anzahl der darin lebenden Personen ist. Dabei können die Kommunen auch auf ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Göttingen aus dem Jahr 1991 verweisen (Urt. v. 19.7.1991, Az. 25 C 13/91). Damals hatte sich ein Mieter, der von einer kleinen Gemeinde eine 105-Quadratmeter-Wohnung gemietet hatte und diese gemeinsam mit einem Untermieter bewohnte, vergeblich gegen eine Räumungsklage gewehrt: Die Vierzimmerwohnung sei für die Unterbringung größerer Familien besonders gut geeignet.
Vogt: Im Rahmen der Interessenabwägung kann es zwar auch darauf ankommen, ob die Gemeinde den Mietern alternativen Wohnraum in einer angemessenen Größe oder Hilfe bei der Wohnungssuche anbietet. Generell ist sie dazu aber nicht verpflichtet.
2/2: "Härtefälle" – Umstände des Einzelfalls entscheidend
LTO: Das Ehepaar aus Mechernich legte Widerspruch nach § 574 BGB ein, woraufhin die Stadt mit einer Räumungsklage reagierte, die sie ja schließlich auch gewann. In welchen Fällen könnte ein gekündigter Mieter mit einem solchen Widerspruch Erfolg haben?
Vogt: Ein solcher Widerspruch setzt voraus, dass "die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist", Abs. 1 der Norm.
Eine solche Härte läge zum Beispiel vor, wenn in der Wohnung eine schwer kranke, nicht transportierbare Person wohnen würde. Auch für eine ältere Person, die in einer angemessen großen Wohnung lebt, wäre ein Umzug wohl nicht zumutbar. Wie so oft sind auch hier die Umstände des Einzelfalls entscheidend.
Abs. 2 des § 574 BGB sieht als weiteren "Härtefall" auch vor, dass "angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann". Ein solcher Fall wird eher selten vorkommen, denn ein schwieriger Wohnungsmarkt allein reicht noch nicht aus. Das Risiko, gekündigt zu werden und sich am Markt eine neue, teurere Wohnung suchen zu müssen, besteht in Mietverhältnissen ja immer. Hier ist das öffentliche Interesse bei öffentlich-rechtlichen Vermietern spiegelbildlich zur Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung eines privaten Vermieters.
Doch im Extremfall drohender Obdachlosigkeit würde die Pflicht der Stadt zur angemessenen Unterbringung der Flüchtlinge mit ihrer allgemeinen Pflicht zum Schutz von Leib und Leben kollidieren. Hierbei muss die Stadt selbstverständlich auch darauf achten, dass der gekündigte Mieter selbst nicht obdachlos wird. Wäre dies konkret zu befürchten, dürfte eine Kündigung grundsätzlich nicht erfolgen. Gleichwohl hat das Bayerische Oberste Landesgericht im Jahr 1971 entschieden, dass auch die sofortige Unterbringung des gekündigten Mieters aufgrund öffentlich-rechtlicher Pflichten nicht zwingend dazu führt, dass das öffentliche Interesse an der Kündigung entfällt (BayObLG, NJW 1972, 685).
Beschlagnahme oder Kündigung – welches ist das mildere Mittel?
LTO: Sowohl die Interessenabwägung im Mietrecht als auch die im Polizeirecht zu prüfende Verhältnismäßigkeit bei der Beschlagnahme von Wohnungen sehen vor, dass solche Maßnahmen nur zulässig sind, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Nun stellt sich die Frage: Welches ist der mildere Eingriff, die Kündigung der Mieter einer im Eigentum der Kommune stehenden Wohnung oder die Beschlagnahme von Privateigentum eines leerstehenden Bürogebäudes – entweder auf Basis des polizeilichen Notstandes oder eines neuen Gesetzes, wie es Hamburg und Bremen kürzlich verabschiedet haben?
Schmitz: Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten, denn es gibt kein abstraktes Rangverhältnis. Auch das ist letztlich eine Einzelfallabwägung. Auf der einen Seite ist die zivilrechtliche Inanspruchnahme grundsätzlich milder als die Nutzung staatlicher Eingriffsrechte zu Lasten von Dritten.
Anders kann dies wiederum zu beurteilen sein, wenn die Stadt die Möglichkeit hat, ein leerstehendes Bürogebäude zu beschlagnahmen, darin eine Vielzahl von Flüchtlingen unterzubringen und dem Eigentümer hierfür eine Entschädigung zahlt. Dies könnte dann doch ein milderes Mittel sein, als privaten Mietern zu kündigen, um lediglich eine Familie zu beherbergen.
LTO: Herr Dr. Vogt, Herr Dr. Schmitz, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Markus Vogt, LL.M. ist Senior Associate im Berliner Büro von CMS Hasche Sigle im Bereich Real Estate & Public. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Immobilientransaktionen und gewerbliches Mietrecht.
Dr. Sebastian Schmitz ist Senior Associate im Berliner Büro von CMS Hasche Sigle im Bereich Real Estate & Public, Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind das öffentliche Wirtschaftsrecht und Vergaberecht.
Das Interview führte Anne-Christine Herr.
Anne-Christine Herr, Privatwohnungen für Flüchtlinge?: "Das Risiko, gekündigt zu werden, besteht bei Miete immer" . In: Legal Tribune Online, 02.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17407/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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