2/2: Beschlagnahme als ultima ratio
Dieser "ultima-ratio-Charakter" der Norm ist es auch, der zahlreiche rechtliche und praktische Probleme und Unsicherheiten mit sich bringt, zu denen es bislang auch keine einheitliche Rechtsprechungspraxis gibt.
In erster Linie müssen die Behörden aller Unterbringungsmöglichkeiten ausschöpfen, also in ihrem Eigentum stehende geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stellen oder aber entsprechende Mietverträge mit privaten Eigentümern schließen. Viele Städte haben daher bereits von Wohnungsgesellschaften und Hotelbetreibern Räume gemietet, um die Flüchtlinge unterzubringen. Doch bereits hier kann es zu Konfliktfällen kommen und es stellt sich die Frage, ob für solche Nutzungen "jeder Preis" zu zahlen ist.
Laut Information der Rheinischen Post vom 9. September 2015 hat beispielsweise die Stadt Düsseldorf sogar bestehende Mietverträge unter anderem mit einer Anwaltskanzlei gekündigt, um ein bereits zum Teil leerstehendes Bürogebäude in Mörsenbroich gänzlich als Flüchtlingsunterkunft nutzen zu können. Dies führte zu Unmut seitens der gekündigten Mieter.
Eine weitere Frage ist, ob etwa Sporthallen städtischer Schulen dauerhaft genutzt werden dürfen, obwohl es dadurch zu einem erheblichen Unterrichtsausfall kommen kann und dadurch auch subjektive Rechte der Schüler betroffen sind. Das Gesetz beantwortet diese Frage nicht direkt. Doch vorübergehend, d.h. bis zur Bereitstellung von Ersatzwohnraum, auch in Form von Wohncontainern, ist ein begrenzter Unterrichtsausfall hinzunehmen.
In Bezug auf die zu zahlenden "Preise" wird das Gebot der Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns nicht außer Kraft gesetzt. Deshalb dürfte jedenfalls keine Pflicht bestehen, Luxuswohnraum zu deutlich überhöhten Preisen anzumieten.
Rechte und Interesse der privaten Eigentümer
Gehen einer Kommune am Ende alle Möglichkeiten aus, Flüchtlinge anderweitig angemessenen unterzubringen, so kann sie schließlich auch leerstehenden privaten Wohnraum "beschlagnahmen". Die Eigentümer unbewohnter Räumlichkeiten können auch kein eigenes überwiegendes Nutzungsinteresse oder sonstige vorrangige Pflichten gegen ihre Inanspruchnahme einwenden.
Zumindest stehen den betroffenen Eigentümern entsprechende Entschädigungsansprüche für die Nutzung des Wohnraums zu. Das gilt auch für etwaige Beschädigungen oder übermäßige Abnutzungen.
Die Polizei- und Sicherheitsgesetze der Länder beschränken die Dauer der Beschlagnahme jedoch auf den erforderlichen Zeitraum, um die Gefahr abzuwehren. Daraus folgt zum einen, dass eine Kommune bereits alle notwendigen Maßnahmen ergreifen muss, um entsprechend zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, sobald ein erhöhter Bedarf erkennbar wird. Zum anderen muss sie sich trotz vorläufiger Zwangsunterbringung weiterhin um Alternativen bemühen.
Angesichts der ungewissen Aufenthaltsdauer bei den aktuell in Deutschland eintreffenden Flüchtlingen ist damit die schwierige Entscheidung verbunden, ob man von vorneherein nur auf Übergangslösungen wie Wohncontainer setzt oder dauerhafte Lösungen anstrebt.
Ein Vorteil der Einweisung in leerstehende Privaträume könnte aber auch darin liegen, dass die betroffenen Eigentümer vielleicht verhandlungsbereiter werden, sobald die Flüchtlinge in ihre Wohnungen eingezogen sind und so am Ende doch einem regulären Mietvertrag zustimmen könnten.
Der Autor Prof. Dr. Winfried Kluth ist Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
"Obdachloseneinweisung" in neuem Gewand: . In: Legal Tribune Online, 14.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16885 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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