Müssen Berliner bald mehr Steuern zahlen als Bayern? Die Reformvorschläge des Bundes, nach denen jedes Bundesland den Einkommensteuersatz autonom festlegen soll, könnten darauf hinauslaufen. Finanzstarke Bundesländer befürworten den Vorschlag, finanzschwache äußern Kritik. Eine Steuerrevolution ist aber nicht zu erwarten, meint Dennis Klein.
Die Einkommensteuer ist mit rund 225 Milliarden Euro Steueraufkommen eine zentrale Steuerquelle des Staates. Das Problem: Zwischen Bund, Ländern und den Kommunen herrscht ein gewisses Durcheinander bei der Steuergesetzgebung. Teilweise blockieren sich der föderale und der Bundesgesetzgeber bei Reformbemühungen gegenseitig. Die Länder wiederum haben keine nennenswerte Möglichkeit, eigenständig Steuern festzulegen oder auszugestalten.
Zwar hat der Bund nach Art. 105 Abs. 2 Grundgesetz (GG) die Gesetzgebungskompetenz. Das Steueraufkommen hat er sich aber nach Art. 106 Abs. 3, Abs. 5 GG mit den Länder und in kleinerem Umfang auch den Gemeinden zu teilen. Änderungen der Einkommensteuer bedürfen nach Art. 105 Abs. 3 GG der Zustimmung des Bundesrates. Ein Übriges trägt dann noch der Länderfinanzausgleich bei, der gerade bei Steuerzuwächsen zu einem erheblichen Mitteltransfer zwischen den Bundesländern führt.
Bewegung könnte ein unlängst von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe aufgegriffener Vorschlag des Bundes zur Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen bringen: Die Bundesländer sollen selbst die Höhe der Einkommensteuersätze bestimmen dürfen, also für ihren Anteil die Zuschläge oder auch Abschläge festlegen. Gleichzeitig soll eine Begrenzung des Länderfinanzausgleichs die Finanzierungsverantwortlichkeit stärken. Das Konzept der "Bestellerkausalität" ("Wer bestellt, der bezahlt") soll das bisherige Konzept der Vollzugskausalität ersetzen. Auch der 70. Deutsche Juristentag griff im September diesen Vorschlag auf.
Frohlocken in Bayern, Zähneklappern in Berlin
Es verwundert wenig, dass Unterstützer für die Reformvorschläge vor allem in Bayern und Baden-Württemberg zu finden sind, während aus finanzschwachen Bundesländern prompt Kritik zu vernehmen war.
Befürworter versprechen sich mehr föderalen Steuerwettbewerb. Bundesländer könnten versuchen, durch Abschläge auf die Einkommensteuer Bürger oder Betriebe zum Umzug aus anderen Bundesländern anzulocken. Allein diese Möglichkeit verhindere zum Wohle der Steuerpflichtigen allzu starke Steuererhöhungen. Gleichzeitig steige die Ausgabentransparenz. Wer seinen Bürgern Wohltaten wie ein reiches Kulturangebot oder umfassende kostenfreie Kinderbetreuung bieten wolle, müsse sie auch über höhere Steuern an der Finanzierung beteiligen.
Die Kritiker führen gegen die gesteigerte Steuerautonomie die grundgesetzliche Vorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet an. Auch liege föderaler Steuerwettbewerb nicht im öffentlichen Interesse, da sich Deutschland gerade auf internationaler Ebene gegen "aggressiven" Steuerwettbewerb einsetze. Der Vorschlag zementiere zudem die Vormachtstellung der finanzstarken Geber-Bundesländer, während die finanzschwachen Nehmer-Länder strukturell benachteiligt würden. Ihnen bliebe in ihrer Finanznot gar nichts anderes übrig, als ihre Steuern zu erhöhen, damit Bürger und Betriebe in reichere Bundesländer zu "vertreiben" und letztlich ihre Finanzprobleme nur zu verstärken.
2/2: Steuerrecht könnte noch komplizierter werden
Nüchtern betrachtet dürfte sich keines dieser Extrem-Szenarien einstellen. Zunächst einmal sind die Erwartungen an einen stärkeren Steuerwettbewerb zu relativieren. Damit einhergehen könnte nämlich eine weitere Verkomplizierung des Steuerrechts: Weniger wegen der länderspezifischen Steuersätze an sich als vielmehr durch die damit ausgelösten Steuergestaltungsanreize. Wie im internationalen Steuerrecht zu besichtigen ist, führen solche Anreize bei den Unternehmen eher zu kreativen Gestaltungsmodellen als zu echten Betriebsverlagerungen. Prominente Beispiele wie Apple oder Amazon stehen hierfür Pate mit ihren legalen, aber künstlichen Gewinnverlagerungen in "Steueroasen". Die dadurch provozierten gesetzgeberischen Abwehrreaktionen machen das Steuerrecht dann noch widersprüchlicher und produzieren nur neue sogenannte Steuerschlupflöcher.
So autonom wie von den Befürwortern versprochen werden die Bundesländer die Steuersätze auch nicht ändern können. Auch weiterhin sind ja der Bund und auch die Kommunen mit im Boot. Eine Steuererhöhung durch ein Land reduziert unweigerlich die Steuereinnahmen der anderen Ebenen. Denn Steuerpflichtige versuchen, der Mehrbelastung durch Verhaltensanpassung auszuweichen – darunter hätten dann aber auch Bund und Kommunen zu leiden. Um ihr Steueraufkommen stabil zu halten, könnten sich die anderen Ebenen ihrerseits zu Tariferhöhungen gezwungen sehen. Am Ende könnte gar ein Steuererhöhungswettlauf drohen.
Um das zu vermeiden, werden sich die Zu- oder Abschläge voraussichtlich nur innerhalb enger Korridore bewegen. So hat Bayerns Finanzminister Markus Söder unlängst einen möglichen Abschlag von drei Prozent für Bayern ins Spiel gebracht, wohlgemerkt nur auf den Landesanteil der Einkommensteuer. Für einen Durchschnittsverdiener hat der Steuerzahlerbund bei einem fünfprozentigen Abschlag eine jährliche Steuerentlastung von 140 Euro kalkuliert. Reicht das als Umzugsanreiz aus? Eine "Steuerrevolution" sieht jedenfalls anders aus.
Regionaler Steuerwettbewerb ist nichts Neues
Den Kritikern ist auch entgegenzuhalten, dass es nationalen Steuerwettbewerb längst gibt, nämlich auf kommunaler Ebene mit der Gewerbesteuer und auf Länderebene bei der Grunderwerbsteuer.
Die Gemeinden dürfen ihre Gewerbesteuerhebesätze autonom festsetzen. Ihnen ist in Art. 28 Abs. 2 GG sogar eine mit Hebesatzrecht ausgestaltete Steuerquelle garantiert. Überwiegend sind nun aber ausgerechnet in den wirtschaftsstarken Ballungsräumen die höchsten Gewerbesteuerhebesätze zu beobachten, während in ländlichen Kommunen die niedrigen zu finden sind.
Die Bundesländer wiederum dürfen seit einiger Zeit die Grunderwerbsteuersätze selber festlegen. Ursprünglich lagen sie bundesweit bei 3,5 Prozent. Mittlerweile gibt es dort eine Spreizung von 3,5 Prozent etwa in Bayern oder Sachsen bis hin zu 6,5 Prozent in Schleswig-Holstein. Die annähernde Verdopplung hat Steuerpflichtige schon sehr belastet. Obwohl die wettbewerblichen Elemente im Steuerrecht also bisher nur vorsichtig aufgewertet wurden, haben die Verpflichteten damit eher negative Erfahrungen gemacht.
Gerade das letzte Beispiel der Grunderwerbsteuer verdeutlicht, dass jegliche Reformvorschläge zur Einkommensteuer gleichzeitig Mechanismen zur Abwehr übermäßiger Belastungen vorsehen sollten. Denn das bestimmende Prinzip der Einkommensteuer ist und bleibt das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip. Danach darf der Staat die Steuerlast nur nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessen. Art. 3 Abs. 1 GG gilt bekanntlich bundesweit. Schon deshalb darf für länderspezifische Zuschläge nur ein begrenzter Korridor bleiben – egal wie groß der Finanzierungsbedarf eines einzelnen Bundeslandes auch sein mag. Die Zu- und Abschläge dürften sich also im einstelligen Prozentbereich bewegen. Statt einer Steuerrevolution wird die Finanzreform am Ende also eher ein Reförmchen.
Prof. Dr. Dennis Klein – Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht – ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover.
Prof. Dr. Dennis Klein, Föderale Finanzreform: Steuerwettlauf zwischen den Bundesländern . In: Legal Tribune Online, 21.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13540/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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