Neuer Straftatbestand soll Finanzkrisen vorbeugen: Eine naive Vorstellung

von Prof. Dr. Tido Park

21.05.2013

Vorstände von Kreditinstituten, Finanzdienstleistern und Versicherern machen sich künftig strafbar, wenn sie fahrlässig eine Schieflage ihres Unternehmens verursachen. Diese Gesetzesänderung beschloss der Bundestag am Freitag. Es ist ein Irrglaube, dass damit die nächste Finanzkrise verhindert werden könnte, meint Tido Park. Vielmehr sollte das Aufsichtsrecht verschärft werden.

Geschäftsleiter müssen nun sicherstellen, dass ihr Unternehmen über Strategien, Prozesse, Kontrollverfahren und Notfallkonzepte für den Krisenfall verfügt. So wollen es der neue § 25c, Abs. 3a, 3b Kreditwesengesetz n.F. (KWG-neu) sowie § 64a, Abs. 7 Versicherungsaufsichtsgesetz n.F. (VAG-neu). Wenn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht erfährt, dass ein Finanzunternehmen keine Notfallpläne ausgearbeitet hat, kann sie das Unternehmen nach dem neuen Gesetz dazu zwingen.

Weigern sich die Vorstände dann immer noch, eine Krisenstrategie vorzulegen, können sie sich strafbar machen. Ihnen droht eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, wenn die Pflichtverletzung den Bestand des Unternehmens gefährdet oder die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge bedroht. Selbst wenn sie nur fahrlässig handeln, können sie für bis zu zwei Jahre ins Gefängnis kommen.

Gesetzgeber greift zu schnell auf Strafrecht zurück

Auf den ersten Blick mag es ebenso schlüssig wie begrüßenswert erscheinen, Vorstände von Banken, Finanzdienstleistern und Versicherern zu bestrafen, die ihr Unternehmen in eine existenzbedrohende Schieflage bringen. Bei näherer Betrachtung muss allerdings bezweifelt werden, dass der Gesetzgeber dieses Vorhaben sachgerecht umgesetzt hat.

Die Vorstellung, man könne Finanzmarktkrisen mit Mitteln des Strafrechts verhindern, mutet fast schon naiv an. Das Strafrecht hat in der Rechtsgemeinschaft nur dort eine sinnstiftende Funktion, wo es wirksam dazu beitragen kann, Rechtsgüter effizient zu schützen. Als Steuerungsinstrument ist es nur legitim, wenn andere Instrumente wie das Aufsichtsrecht nicht ausreichen.

Dieses Grundverständnis scheint der Gesetzgeber verloren zu haben: Werden (vermeintliche) gesellschaftliche Missstände ausgemacht, die sich mit dem geltenden Recht nicht auf Anhieb zufrieden stellend lösen lassen, tritt sogleich die Idee auf den Plan, das Strafrecht um ein neues Instrument zu erweitern. Demonstriert der Staat doch durch eine Verschärfung des Strafrechts Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit!

Zu viele Verweise und unbestimmte Rechtsbegriffe

An der Effizienz der neuen Straftatbestände drängen sich jedoch ernsthafte Zweifel auf, wenn man die Vielzahl der Verweisungen und unbestimmten Rechtsbegriffe betrachtet. Die Vorschriften sind zwar sehr detailliert, zerfallen aber letztlich in eine Fülle äußerst unscharfer, konturenloser und schwammiger Formulierungen, deren exakte Grenzen wohl niemand nachvollziehbar zu beschreiben vermag.

Das erschwert die praktische Handhabbarkeit der Vorschriften nachhaltig. Als Beispiel sei nur das Merkmal der Bestandsgefährdung erwähnt. Die Gerichte dürften sich schwer tun, eine solche im Einzelfall festzustellen und dann auch noch nachzuweisen, dass die Verletzung der Sicherstellungspflichten durch den Geschäftsleiter dafür kausal war.

Rechtlich bedenklich ist, ob die Neuregelung mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot vereinbar ist, dem gerade im Strafrecht ein hohes Gewicht zukommt, soll doch der Normadressat bereits vor seinem Handeln die möglichen Strafbarkeitsgrenzen erkennen können. Dass die bemerkenswert unbestimmte Gesetzesformulierung der §§ 54a i.V.m. 25c Abs. 3a, 3b KWG-neu und §§ 142 i.V.m. 64a Abs. 7 VAG-neu einen dazu in die Lage versetzt, lässt sich kaum seriös vertreten.

Mit der herkömmlichen Strafrechtsdogmatik nicht vereinbar

Fahrlässigkeitsdelikte dehnen den Strafbarkeitsbereich extrem weit aus. Außerdem bleibt unklar, welches Rechtsgut die neuen Tatbestände schützen sollen. Die Gesetzesänderung fügt sich damit nicht nachvollziehbar in die herkömmliche Strafrechtsdogmatik ein.

Das gilt auch für das Prinzip der Gesamtverantwortung für die Sicherstellungspflichten, die nach der Gesetzesbegründung undelegierbar und nicht in Einzelressorts aufteilbar sein sollen. Diese Verantwortungszuschreibung läuft auf eine strafrechtliche Gefährdungshaftung hinaus, die nicht mit dem Schuldgrundsatz vereinbar ist, wonach eine strafrechtliche Sanktion individuelle Schuld voraussetzt. Darüber wird letztlich wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.

Die Geschäftsleiter wird das neue Gesetz verunsichern, insbesondere durch die weite Fahrlässigkeitsstrafbarkeit. Erste Ermittlungsverfahren und Durchsuchungen in den Banken werden dazu beitragen. Verurteilungen dürften angesichts der Anwendungsschwierigkeiten jedoch die Ausnahme bleiben und sich auf grobe Verstöße im Kernbereich beschränken. Diese wiederum dürften bereits durch das geltende Strafrecht über die Untreue, die Insolvenz- sowie die Kapitalmarktdelikte hinreichend erfasst sein.

Es ist ein Irrglaube, dass die neuen Strafvorschriften Finanzmarktkrisen verhindern könnten. Das Vorhaben ist eher symbolträchtiger gesetzgeberischer Aktionismus als ein effektives Steuerungsinstrument. Die vorzugswürdige Alternative wären strengere Regeln im Aufsichtsrecht.

Der Autor Prof. Dr. Tido Park ist Fachanwalt für Straf- und Steuerrecht in der Kanzlei PARK|Wirtschaftsstrafrecht in Dortmund und Honorarprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Tido Park, Neuer Straftatbestand soll Finanzkrisen vorbeugen: Eine naive Vorstellung . In: Legal Tribune Online, 21.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8766/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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