Fußballerinnen gegen FIFA-Reglement: Diskriminierender Kunstrasen?

von Alexander Hettel

06.10.2014

2/2: WM-Reglement: Naturrasen, es sei denn…

Das zur Frauenfußball-WM 2015 erlassene Reglement bestimmt hinsichtlich des Spielfeldbelags in Art. 14 Nr. 5: "Die Spiele werden auf Naturrasen ausgetragen, es sei denn, es liegt eine Ausnahmebewilligung der FIFA für Kunstrasen vor. Wird auf Kunstrasen gespielt, muss dieser die höchsten Anforderungen des FIFA- Qualitätsprogramms für Kunstrasen erfüllen".

Eine solche Ausnahmebewilligung beschloss das nach der internen Kompetenzzuweisung zuständige FIFA-Organisationskomitee zusammen mit dem nationalen Ausrichterverband CSA, um ortsspezifische Umstände wie das Klima und die Bodenbeschaffenheit in den Austragsorten in die Entscheidung einbeziehen zu können. So geschehen übrigens auch schon bei der diesjährigen WM der U-20-Juniorinnen in Kanada, bei der sich das deutsche Team auf Kunstrasen zum WM-Titel schoss.

Die reglementarische Entscheidung, eine WM-Endrunde auf Kunstrasen spielen zu lassen, steht im Einklang mit den offiziellen Fußball-Spielregeln, welche die Grundlage jeglicher organisierten Fußballausübung bilden. In dem von der FIFA zusammen mit dem IFAB (International Football Association Board) gehüteten Regelwerk heißt es seit dem Jahr 2004 in der Fußballregel 1 ("Spielfeld"), dass Spiele „auf einer natürlichen oder künstlichen Unterlage ausgetragen werden“ können, wobei das "jeweilige Wettbewerbsreglement" maßgebend ist. Lapidar wird zudem festgelegt: "Kunstrasenfelder sind grün".

Regeln für den Rasen

Eigens für Länderspiele gilt: "Werden Pflichtspiele zwischen Auswahlteams von FIFA-Mitgliedsverbänden (...) auf einer künstlichen Unterlage ausgetragen, muss diese den Anforderungen des FIFA-Qualitätskonzepts für Kunstrasen oder des Labels "International Artificial Turf Standard" entsprechen, soweit keine Ausnahmegenehmigung seitens der FIFA vorliegt".

Sowohl nach den Fußball-Spielregeln als auch laut dem WM-Reglement muss Kunstrasen die – höchsten - Anforderungen des FIFA-Qualitätsprogramms erfüllen. Diesen Normenkatalog hat die FIFA im Jahr 2001 zusammen mit der UEFA (Union des Associations Européennes de Football) lanciert, um die einheitliche Qualität synthetischer Rasenflächen sicherzustellen. Er ähnelt anderen Qualitätsprogrammen für Fußbälle selbst oder für die  – seit 2012 zugelassene - Torlinientechnologie. Derartige neue, den Fußballsport erheblich prägende Technik darf erst nach Erprobung und Erhalt einer von der FIFA vergebenen Lizenz eingesetzt werden.

Zugelassene Kunstrasenfelder werden je nach ihrer Qualität als "FIFA Recommended 1 Star" oder "FIFA Recommended 2 Star" eingestuft. Das Rasenmaterial – häufig Polyethylen – durchläuft zunächst Versuche im Labor, der installierte Rasen später auch einen "Feldversuch". Maßstab der Zulassung als offizielle Spielfläche sind die Eigenschaften von Naturrasen in bestem Zustand.

Geprüft wird der Kunstrasen auf seine Widerstandsfähigkeit, Wetterfestigkeit und die Interaktion von Ball und Spieler. Dabei müssen etwa das Ballverhalten bei Aufprall und Abrollen und auch die Griffigkeit der Oberfläche einem Vergleich mit Naturrasen standhalten. Während im Amateur- und Freizeitbereich Rasen des Prädikats "FIFA Recommended 1 Star" zum Einsatz kommt, muss der verlegte Rasen für FIFA-WM-Endrunden und UEFA-Wettbewerbe wie die Champions League der Qualitätsstufe "FIFA Recommended 2 Star" entsprechen. Er erfüllt also die "höchsten Anforderungen des FIFA-Qualitätsprogramms".

Spielpraxis, Vereinsautonomie und die Menschenrechte

In den Regularien ist der Einsatz von Kunstrasen umfassend verankert. Ausschlaggebend für oder wider die Spiele auf dem künstlichen Grün werden also die (spiel-)praktischen Argumente sein.

Man wird anzweifeln dürfen, ob die Argumente der Spielerinnen ausreichen würden, um das kanadische Gericht davon zu überzeugen, die Entscheidung der FIFA rückgängig zu machen. In der Sache lassen sich für den Einsatz von Kunstrasen ebenso tragfähige technische wie auch spielpraktische Gründe finden wie für den Einsatz von Naturrasen.

Ob sich das Human Rights Tribunal Toronto dieser Frage aber überhaupt materiell-rechtlich annehmen wird, darf man mit Spannung abwarten. Schließlich können staatliche Gerichte die von Sportverbänden gesetzten Regeln wegen der Autonomie der Verbände nur in engen Grenzen überprüfen. Diese verminderte Kontrollintensität führt zu einem weiten Spielraum der Verbände bei ihrer internen Regelsetzung. Die Maßgabe des limited judicial review bei Verbandsentscheiden gilt auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis. Erfahrungsgemäß schrecken staatliche Gerichte besonders davor zurück, sich in die Spielregeln selbst einzumischen.

Darüber hinaus erfolgen die Kaderberufungen für die WM frühestens Anfang 2015. Die klagenden Spielerinnen können sich aktuell also noch gar nicht sicher sein, an der WM überhaupt teilzunehmen. Damit wären sie aber auch nicht aktivlegitimiert.

Schließlich prüfen Gerichte verbandsautonom erlassene Regelwerke maßgeblich daraufhin, ob sie Grundrechte verletzen. Ob allerdings beim Fußball auf Kunstrasen gleich in Kategorien von Menschenrechtsverstößen gedacht werden muss, mag jede/r Amateurkicker/in für sich selbst beurteilen.

Der Autor Alexander Hettel ist Doktorand an der Universität Mannheim und forscht zu Rechtsfragen bei internationalen und nationalen Spielertransfers im Profifußball. Ehrenamtlich ist er als Sportrichter im Südbadischen Fußball-Verband tätig.

Zitiervorschlag

Alexander Hettel, Fußballerinnen gegen FIFA-Reglement: Diskriminierender Kunstrasen? . In: Legal Tribune Online, 06.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13401/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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