Familienministerin Schröder hat sich ein umstrittenes Gesetz erkämpft. Vielleicht war gerade sie als Frau und Mutter für die Lösung des Konflikts der Pflege zwischen Beruf und Familie prädestiniert. Ihr rechtlicher Wurf basiert zum Großteil auf freiwilligen Regelungen, die manchem Kritiker nicht reichen. Doch das Gesetz kann mehr, wie Friedrich-Wilhelm Lehmann erklärt.
Über das "Ob" zur Einführung eines Gesetzes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf bestand nach Meinungsumfragen bei 91 Prozent der arbeitenden Bevölkerung kein Zweifel. Es erschien gleichsam als eine Pflicht. Nur das "Wie" der Umsetzung hat bei den Parteien Streit und Ärger bei den Gewerkschaften verursacht. Letztere hatten einen Anspruch des Arbeitnehmers zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts zum Zweck der notwendigen Pflege von Angehörigen gefordert. Kritiker lehnten diese Forderung als eine Verlagerung der privaten Risiken der Arbeitnehmer auf ihre Chefs und als eine Utopie eines Sozialstaates vehement ab.
Der Bundestag hat nun am 20. Oktober 2011 das seit Monaten diskutierte Familienpflegezeitgesetz (FPfzG) verabschiedet. Beim ersten Blick erscheint es als ziemlich kurios, dass sich kein Arbeitgeber an dieses Gesetz halten muss. Hierüber mag der eine oder andere abwertend lächeln. Doch mit gutem Willen lässt das Werk durchaus positive Effekte erkennen.
Eine freiwillige, aber keine leichte Chefentscheidung
Das Grundprinzip des FPfzG besteht in der freiwilligen Entscheidung des Arbeitgebers, ob er dem Mitarbeiter für die dringend erforderliche Pflege von Angehörigen die teilweise Freistellung von der Arbeit gewährt. Dem Chef wird der Entschluss allerdings nicht gerade leicht gemacht: Immerhin muss er im Falle der vorübergehenden Verringerung der Arbeitszeit des Mitarbeiters, der einen Pflegebedürftigen zu versorgen hat, den Lohn für die Hälfte der ausgefallenen Arbeitszeit während der ersten Phase der Freistellung weiter bezahlen, ohne hierfür sofort die Gegenleistung der Arbeitszeit zu erhalten.
Ein Beispiel soll das Prozedere verdeutlichen: Bei dem teilweisen Ausstieg eines Mitarbeiters zur Pflege von Angehörigen werden zwei Phasen unterschieden. In der ersten verringert sich die Arbeitszeit über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren. Ziel des Gesetzes ist es jedoch, in einer sich anschließenden zweiten Phase die Vorteile, die der Arbeitnehmer durch das Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleitung gehabt hat, wieder auszugleichen. Daraus folgt, dass der gleiche Arbeitnehmer, der in der Phase Eins der Pflegezeit mit einer Arbeitszeit von 50 Prozent der regelmäßigen Beschäftigung arbeitet und hierfür laut Gesetz die Gegenleistung des Arbeitgebers in Höhe von 75 Prozent des regelmäßigen Lohns erhält, nach Eintritt in die gleich langen Phase Zwei seine Arbeitszeit zu 100 Prozent mit einer Vergütung von nur 3/4 erbringen muss. Nach dem gesetzlichen Konstrukt ist somit innerhalb des zeitlichen Rahmens von insgesamt vier Jahren der Ausgleich für beide Seiten grundsätzlich wieder hergestellt.
Trotz des nahezu einhelligen Konsens über die Einführung des Gesetzes sorgte die inhaltliche Ausgestaltung vor allem beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) für viel Missstimmung. Dieser forderte die volle Entgeltfortzahlung auch für die ausgefallene Arbeitszeit, sei es durch den Arbeitgeber oder durch den Staat.
Schröder: Dem Druck der Gewerkschaften nicht gebeugt
Doch Familienministerin Kristina Schröder (CDU) hat sich mit der nun verabschiedeten Fassung des FPfzG durchgesetzt. Vielleicht auch oder gerade, weil sie als Frau und Mutter die Probleme einer Vereinbarkeit von Beruf und Betreuung der Familie kennt.
Zwar finden sich auch die gewerkschaftlichen Bedenken als Niederschlag in dem neuen Modell: Arbeitgeber, die in den ersten beiden Jahren den Aufstockungsbetrag von 25 Prozent nicht zahlen können, haben das Recht, unter den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen einen zinslosen Kredit bei der staatlichen KfW-Gruppe zu erhalten. Doch genügt das allein der Arbeitgeberseite freilich nicht. Diese sieht – wenig überaschend - die Auswirkung des Gesetzes in einer bürokratischen Belastung und einer kostenintensiven Umorganisation der unternehmerischen Arbeitsabläufe.
Die Unternehmer sind auch verunsichert, weil sie für ihre Betriebe neben dem FPfzG auch noch das bereits am 1. August 2008 in Kraft getretene Pflegezeitgesetz berücksichtigen müssen. Danach besteht bei notwendiger Pflege ein Anspruch der Beschäftigten auf bis zu sechs Monate Freistellung von der Arbeit, allerdings ohne Fortzahlung der Vergütung für die ausgefallene Arbeitszeit.
Langfristige Effekte kompensieren die Gefahren
Nicht zu vernachlässigen ist auch das Risiko, dass der Arbeitnehmer nach Durchlaufen der ersten Phase der Pflegezeit das Beschäftigungsverhältnis kündigt und nicht mehr in die zweite Phase der Vollzeit eingegliedert werden kann. Der in diesem Zeitraum für den Chef vorgesehene Ausgleich für seine in der ersten Phase erlittenen Verluste kann also gar nicht mehr realisiert werden. Ein Schadensersatzanspruch scheint in der Praxis nicht realisierbar.
Nicht wenige Chefs sehen dennoch Vorteile in der Motivation der Belegschaft durch freiwillige Regelungen, die in der Nutzbarmachung des Gesetzes liegen können. Dies kann das "Wir-Gefühl" im Betrieb stärken. Viele Unternehmer befürchten auch, dass bei einer Verweigerungshaltung des Arbeitgebers qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Betrieb ausscheiden, um ihre Existenz in einer anderen Firma mit flexibleren Arbeitszeiten zu sichern. Qualifizierte Beschäftigte in einem solchen Fall gehen zu lassen, dürfte äußerst kontraproduktiv sein.
Man mag zu Recht oder Unrecht das FPfzG kritisieren. Dennoch muss man erkennen, dass sich die Unternehmen mit seiner Hilfe in der Zeit der demografischen Schrumpfung und des oft zitierten Fachkräftemangels gewisse Potenziale für die Wertschöpfung erschließen können. Dazu gehört vor allem die Erkenntnis, dass jeder Mitarbeiter mit seinen Teilaufgaben ein wichtiges Rad im Betreibsgetriebe ist, auf das nur schwer verzichtet werden kann. Angestellte sind nicht etwa ein neutral verwertbares Kapital, sondern es sind Menschen.
Neuer Führungsstil erfordert ein Umdenken hin zu mehr Compliance im Unternehmen. Wenn sie familiäre nicht zu lösende Probleme haben, gehört es heutzutage keinesfalls mehr zu einer guten Führung, sich einfach ohne Nachfrage und Lösungsversuche darüber hinwegzusetzen. Wer dies erkennt, gewinnt motivierte Mitarbeiter. Diese sichern gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber den Bestand des Unternehmens. Daraus entstehen nicht nur Wachstumseffekte in den Betrieben, sondern auch Konjunktureffekte beim Staat.
Der Autor Dr. Friedrich-Wilhelm Lehmann ist Rechtsanwalt in Schliersee und Krefeld und auf Arbeitsrecht, Wirtschaftsrecht sowie das Tarif- und Betriebsverfassungsrecht spezialisiert.
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Familienpflegezeitgesetz: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4635 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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