Innerhalb der Bundesregierung stehen sich Befürworter und Gegner einer erleichterten Zuwanderung für qualifizierte Arbeitnehmer ohne erkennbare Kompromissbereitschaft gegenüber. Es ist zu befürchten, dass sich daran auch in absehbarer Zeit nichts ändern wird. Kann sich Deutschland aus volkswirtschaftlicher Sicht diese Selbst-Blockade auf Dauer erlauben? Von Anton Kumanoff.
Die Arbeitslosigkeit ist mit nahezu drei Millionen hoch, allerdings mit sinkender Tendenz. Gleichzeitig wird ein immer größer werdender Mangel an Fachkräften beklagt, und zwar quer durch alle Berufe. Diese Diskrepanz ist nichts Ungewöhnliches, denn es ist nur theoretisch möglich, jeden Arbeitslosen auf einen Beruf umzuschulen, der gerade benötigt wird.
Wenn – im Idealfall - eine solche Umschulung tatsächlich möglich ist, wirkt sie sich allerdings erst zeitlich verzögert aus. Häufig jedoch scheitert die Maßnahme an den mangelnden Fähigkeiten des Umzuschulenden. Auch wenn die Politik größere Anstrengungen unternimmt, um Beschäftigungsreserven zu heben (wozu – unbeabsichtigt – auch die Anhebung des Rentenalters gehört): Schon die demografische Entwicklung führt dazu, dass die Anzahl der Arbeitnehmer und damit der Fachkräfte deutlich sinken wird. Da es schlichtweg unmöglich ist, Menschen weitgehend durch Maschinen zu ersetzen, werden die fehlenden Fachkräfte ein immer größeres volkswirtschaftliches Problem werden.
Trend zur Verlagerung hochwertiger Arbeiten in Schwellenländer
Vereinfacht gesagt verbleiben zwei Wege um dieses Fachkräfteproblem zu lösen: Entweder man bringt die Arbeit dorthin, wo die Fachkräfte sind. Oder die Fachkräfte werden dorthin gebracht, wo die Arbeit ist.
Der erste skizzierte Weg ist derjenige, der im Rahmen der Globalisierung schon seit längerem praktiziert wird. Während zu Beginn des Globalisierungsprozesses die einfacheren, "billigen" Tätigkeiten exportiert wurden, verlagert man nun auch, bedingt durch das sich steigernde Ausbildungsniveau in den Schwellenländern, hochwertigere Tätigkeiten eben dorthin.
Dieser Trend wird sich noch verstärken. Da mit qualifizierter Arbeit eine höhere Wertschöpfung verbunden ist, wird auch die höhere Wertschöpfung in diese Länder exportiert. Andererseits gibt es natürlich auch Arbeiten, die nicht exportiert werden können. Dazu gehören zum Beispiel Tätigkeiten, die mit der örtlichen Versorgung der Bevölkerung in Deutschland zu tun haben, wie etwa Pflegeberufe, medizinische Berufe und vergleichbare Dienstleistungen. Hier entwickelt sich schlicht eine Lücke – schließlich kommt niemand auf die Idee, Pflegebedürftige oder Kranke nach China oder Indien zu bringen.
Der zweite Weg wäre, Fachkräfte zur Arbeit nach Deutschland zu bringen. Soweit die Arbeit nicht exportiert werden kann, bleibt dieser Weg ohne Alternative. Wenn die Arbeit grundsätzlich exportiert werden kann, es jedoch aus der Sicht des jeweiligen inländischen Unternehmers reizvoll ist, weiterhin die Wertschöpfung im inländischen Betrieb zu halten, ist es nahe liegend, nicht die Arbeit zu exportieren, sondern die Arbeitskräfte zu importieren. So wird der regelmäßig erfolgreich abgestimmte Organismus des Betriebs nicht gestört.
Das Lohnniveau bestimmt den Zuzug
Soweit es sich um Mitarbeiter aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) handelt, ist es leicht möglich, Fachkräfte aus diesen Ländern zu rekrutieren. Das gilt ab Mai 2011 bis auf Rumänien und Bulgarien uneingeschränkt. Ausländerrechtliche Bestimmungen stehen dem nicht entgegen, da die EU-Bestimmungen die Freizügigkeit der Arbeitskräfte garantieren.
Im Hinblick auf das in Europa herrschende Lohnniveau wird der Zuzug von Fachkräften überwiegend aus den Ländern erfolgen, in denen vergleichweise deutlich weniger Geld gezahlt wird. Das sind vor allem die so genannten neuen EU-Länder aus dem Osten Europas. Ob dieses Potential für Deutschland ausreicht, mag bezweifelt werden. Schließlich macht sich auch in den erfolgreicheren Staaten wie etwa Tschechien und der Slowakei zunehmend selbst ein Fachkräftemangel bemerkbar.
Fachkräfte, die nicht aus EU-Staaten stammen, müssen erst die hohe Schwelle des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) überwinden. Ihre Zuwanderung ist derzeit nur möglich, wenn nicht vorrangig frei werdende Arbeitsstellen von einem EU-Bürger oder Deutschen besetzt werden können und ein jährliches Einstiegsgehalt (!) von mindestens 66.000 Euro brutto vereinbart ist. Bei Hochschulabsolventen, die in Deutschland studiert haben, gilt diese Einkommensschwelle nicht, es verbleibt allerdings bei der Vorrangprüfung (§ 39 AufenthG).
Hohe Hürden durch hohe Vergütungsschwellen
Während die Vorrangprüfung als lästiges, bürokratisches Hindernis die Stellenbesetzung in der Regel nur verzögert, ist das Einstiegsgehalt eine echte Hürde. Dieser Betrag kommt, soweit es sich nicht um Spitzenkräfte handelt, wirklich nur für wenige in Frage. Für manche Berufsbereiche, etwa die im Pflegebereich, ist dieser Vergütungsansatz nicht marktgerecht und auch nicht im Markt umsetzbar.
Die Beibehaltung insbesondere der hohen Vergütungsschwellen führt dazu, dass Kräfte fehlen und gewisse Dienstleistungen nicht mehr erbracht werden können bzw. Produktionsprozesse ins Ausland verlagert werden. Ob diese Zuwanderungsrestriktionen im ausreichenden Umfange dadurch kompensiert werden, dass mehr Arbeitslose eine Stelle bekommen, mag bezweifelt werden.
Insgesamt nimmt die derzeitige Zuwanderungsrechtslage auf die zukünftigen Anforderungen des Arbeitsmarktes und der Volkswirtschaft nicht ausreichend Rücksicht. Es ist zu befürchten, dass der Standort Deutschland auf Dauer Schaden nimmt. Für die Wahrung seiner Attraktivität ist zwingend eine Erleichterung bei den Zuwanderungsvoraussetzungen etwa durch Senkungen der Schwellenwerte, einen Verzicht auf die Vorrangprüfung und eventuell die Einführung eines Punktesystems notwendig.
Auch wenn es wohl kein Patentrezept für die beste Lösung gibt – man mag nur daran denken, dass Länder mit einer vergleichsweise liberalen Einwanderungspolitik wie zum Beispiel Kanada, Australien und selbst die USA damit wirtschaftlich gut gefahren sind. Unsere Wirtschaft verträgt in ihrer Struktur die Zuwanderung qualifizierter Kräfte. Packen wir deshalb das Problem jetzt an, solange uns Zeit zu einer optimierenden Lösung bleibt. Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntermaßen das Leben.
Der Autor Ass. jur. Anton Kumanoff ist für eine international ausgerichtete Unternehmensberatungsgesellschaft tätig.
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Fachkräftemangel: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2333 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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