Mit klaren Worten hat ein Kartellsenat am OLG Düsseldorf eine Verfügung des BKartA gegen Facebook auseinandergenommen. Schwere Zeiten für ein Kartellrecht in der Umarmung von Digitalisierung und Politik, meint Rupprecht Podszun.
Es klingt wie ein juristischer Super-Gau: Da hatten im Bundeskartellamt (BKartA) hochqualifizierte Juristen gemeinsam mit Ökonomen drei Jahre lang an einer Verfügung gebastelt und 300 Seiten zu Papier gebracht. Dann kommt der erste Test, den ein Senat eines Oberlandesgerichts (OLG) im Eilverfahren vornimmt, und das Urteil fällt vernichtend aus: Die Ausführungen seien "in der Sache substanzlos und nichtssagend". Behauptungen seien "pauschal" und "unzureichend". Es würden "keine belastbaren und aussagekräftigen Feststellungen getroffen". Die Darlegungen reichten "nicht ansatzweise aus".
Wer den 37-seitigen Beschluss des 1. Kartellsenats des OLG Düsseldorf in Sachen Facebook (Az. VI-Kart 1/19 (V)) zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde des Unternehmens liest, könnte glauben, dass im BKartA, dessen Entscheidung da so gefleddert wurde, Stümper am Werk sind. Was ist da los, fragten die vielen Interessierten, die das Kartellamtsverfahren gegen Facebook verfolgt hatten, ohne in der Materie zu stecken. Dieser Text ist der Versuch einer Antwort.
Eine Ehrenrettung für die 6. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts gleich vorab: Der für Beschwerden gegen Entscheidungen des BKartA zuständige Senat des OLG neigt zur klaren Sprache. Dafür werden die Senatsmitglieder gefürchtet und gefeiert, je nachdem, ob es gerade einen selbst oder die Gegenseite trifft. Um den Brei herumgeredet wird da nicht.
Ausbeutung bei der Datennutzung?
Gestützt ist die Verfügung des Amtes auf das Verbot für marktbeherrschende Unternehmen, Abnehmer auszubeuten. Dieser Ausbeutungsmissbrauch ist zwar von Anbeginn des modernen europäischen und deutschen Kartellrechts vorgesehen, Fälle dazu hatten aber bislang Seltenheitswert. Wenn überhaupt konnten damit überhöhte Tarife von Energieversorgern im Vergleich zu denen der Nachbargemeinde abgemahnt werden. Und selbst in diesen Konstellationen waren ökonomische Sinnhaftigkeit und rechtliche Konstruktion immer strittig.
Das BKartA sah bei Facebook die Ausbeutung nun bei der Datennutzung. Doch ab wann ist das Sammeln und Zusammenführen verschiedener Daten im kartellrechtlichen Sinn missbräuchlich? Die Antwort aus Bonn: Wenn Marktbeherrscher Facebook gegen das Gesetz verstößt, hier die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), handelt das Unternehmen ausbeuterisch.
Das OLG gönnte dem Amt nur einen Erfolg: Dass Facebook marktbeherrschend ist, wurde unterstellt (auch darüber können sich Advokaten lange streiten). Ansonsten wurde jeder Zwischenschritt in Zweifel gezogen. Besonders gravierend ist der Einwand des OLG, dass das Amt keine Schädigung des Wettbewerbs nachgewiesen habe – nicht jeder (unterstellte) Verstoß gegen Datenschutzrecht könne bei einem marktbeherrschenden Unternehmen gleich ein Wettbewerbsverstoß sein.
Verteidiger der konstitutionellen Grundwerte
Das Facebook-Verfahren offenbart aber auch tieferliegende Konflikte als nur solche um Geschmacksvorlieben beim Härtegrad der juristischen Sprache und um die Auslegung der vagen Tatbestandsmerkmale von § 19 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).
Von außen betrachtet ist Kartellrecht ein Erfolgsschlager. Wo sonst gelingt es, dass eine Behörde unbeeinflusst von der Politik und mit hoher Schlagkraft Unternehmen wie Google oder Amazon in die Schranken weist? Im Datenschutzrecht oder beim geplanten Unternehmensstrafrecht wird Maß am Kartellrecht genommen. Margrethe Vestager, die europäische Wettbewerbskommissarin, gerade nominiert für eine zweite Amtszeit, und Andreas Mundt, Präsident des BKartA, wirken gelegentlich wie die letzten Ritter, die die konstitutionellen Grundwerte verteidigen. Sie werden zu Recht für ihre Standhaftigkeit und ihre Leidenschaft in der Sache gelobt.
Kartellrecht als Digital-Dinosaurier
Drei Konflikte treiben das Kartellrecht jedoch intern um, die auch im Facebook-Fall zum Tragen kamen. Erstens ist die Ordnung des Wettbewerbs in der Digitalwirtschaft ein Unterfangen, das mit den bisherigen Regeln und Strukturen längst nicht so gut funktioniert wie es oft den Anschein hat. Die OLG-Entscheidung zu Facebook mag nicht in allen Punkten überzeugen, zeigt aber an vielen Stellen auch erbarmungslos die Punkte der kartellbehördlichen Argumentation auf, an denen Juristen zwei bis drei verschiedene Meinungen haben können.
Vestager hat den juristischen Härtetest durch das Europäische Gericht erst noch vor sich. Im Feuer stehen ihre spektakulären Entscheidungen gegen Google (Gesamthöhe der Geldbußen: 8,25 Mrd. Euro). Der Schönheitsfehler daran ist, dass allein das Verfahren Google Shopping schon bei der Kommission sieben Jahre dauerte. Eine halbe Ewigkeit im Digitalozän – und die extrem aufwändigen Folgeprozesse um Schadensersatz sind noch gar nicht eingerechnet. Die Mühsal der juristischen Kärrnerarbeit und das Bedürfnis nach rascher Regulierung stehen in einem Konflikt, der kaum aufgelöst werden kann.
Verschärft wird dieser Konflikt, zweitens, durch einen institutionellen Zusammenstoß. Die Kartellbehörden haben in den vergangenen Jahren aufgerüstet. Sie beschäftigen Ökonomen, deren Einfluss gewachsen ist. Sie haben mit eigenen Think Tanks die Digitalwirtschaft durchleuchtet und sind zu Experten für Plattformen, Daten, Netzwerkeffekte geworden. Sie engagieren sich in internationalen Diskussionen über "big tech", die häufig nicht weniger polarisierend sind als ein Twitter-Feed. Die Gerichte sehen ihre Aufgabe traditionell in einer strengen rechtlichen Kontrolle, die sich an hergebrachten Präzedenzfällen orientiert, nicht an der neuesten "theory of harm" und ökonomischen Modellrechnungen.
Beliebt nur gegen die "wilden Digitals"
Eine dritte Konfliktlinie ergibt sich aus der politischen Umarmung, in die das Kartellrecht immer wieder gerät. Beliebt sind Kartellamt und Kommission, wenn die GAFAs (Google, Amazon, Facebook und Apple) in die Schranken gewiesen werden und dadurch zumindest auf regulatorischem Feld die Europäer eine Vorreiterrolle einnehmen, sozusagen "protecting the European way of life", wie es EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen etwas unglücklich bei der Ressortbenennung ausgerufen hat.
Richtet sich das Kartellrecht in seiner ganzen Unabhängigkeit aber einmal gegen deutsche Industrieikonen wie Siemens oder Thyssen (oder gar den Deutschen Fußball-Bund), folgt der politische Liebesentzug. Industriepolitische Papiere des Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier lösten dieses Jahr Entsetzen bei Freunden des freien Wettbewerbs aus, dafür fand Altmaier in seinem französischen Amtskollegen einen Partner, nachdem die Europäische Kommission das Prestigeprojekt Siemens/Alstom untersagt hatte. Die industriepolitischen Vorschläge wurden inzwischen auf ein erträgliches Maß heruntermoderiert. Eine Industriepolitik, die europäische Champions auf Kosten des freien Wettbewerbs anstrebt, ist genauso fehlgeleitet, wie eine Digitalpolitik, die die Kartellbehörden zu allumfassenden Hütern des Netzes machen will.
Facebook wird weiter sammeln
Die Facebook-Entscheidung ist so nicht nur ein interessanter Rechtsfall. Sie steht beispielhaft für ein Rechtsgebiet, in dem institutionelle Probleme flackern: Die Behörden versuchen, mit einer sich wandelnden Wirtschaft Schritt zu halten, ihre Ansätze kollidieren zuweilen mit denen der Gerichte, zugleich stehen sie politisch unter Druck.
Grund zur Sorge? Keineswegs. Das Bundeswirtschaftsministerium legt in Kürze einen Entwurf zur Weiterentwicklung des deutschen Kartellrechts vor. Am Montag hatte eine Expertenkommission des Ministeriums moderate Vorschläge für das europäische Kartellrecht unterbreitet. Das Kartellamt wird seine Schlüsse aus dem Facebook-Fall ziehen, Margrethe Vestager wird in ihre neue Doppelrolle als Wettbewerbskommissarin und oberste Digitalpolitikerin finden. Facebook wird weiter Daten sammeln.
OLG, Bundesgerichtshof und Europäischer Gerichtshof werden einen gepflegten Diskurs über Kartellrecht in der Datenökonomie führen. Der Wettbewerb, das einzige Schutzgut des Kartellrechts, ist ein "Entdeckungsverfahren", so hat es der Ökonom Friedrich von Hayek formuliert: ein Prozess, in dem immer wieder etwas Neues zum Vorschein kommt. Das Kartellrecht ist auch ein Entdeckungsverfahren. Gut, dass das Kartellamt Explorer ausgesendet hat – und ebenso gut, dass das OLG jede Expedition kritisch prüft.
Prof. Dr. Rupprecht Podszun ist Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Affiliated Research Fellow des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb, München.
Nach dem Facebook-Verfahren: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37601 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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