Strafbarkeit wegen Blockaden oder fehlende Verwerflichkeit wegen "Umweltschutz"? Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung? In Teil II des Prüfungsspezials "Klimaproteste" bereiten Strafrechtsexperten die Rechtsprobleme auf.
Inzwischen sind sie allgegenwärtig – die Klimaaktivist:innen der "Letzten Generation". Sie protestieren auf der Straße, dem Rollfeld des Berliner Flughafens, am Dirigentenpult der Hamburger Elbphilharmonie, an Kunstwerken in Potsdam, Dresden und Berlin; sie sind bei Markus Lanz in der Talkshow, im besetzten Hörsaal und vielleicht auch bald Thema in der Prüfung.
Nachdem der Lehrstuhl von Prof. Marc-Philippe Weller bereits die zivilrechtliche Fragestellungen der Klimaproteste unter die Lupe genommen hat, folgt nun das strafrechtliche LTO-Prüfungsspezial, verfasst von Katharina Reisch und Tim Nicklas Festerling, beide Doktoranden am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig (Prof. Dr. Katrin Höffler).
Die Straßenblockade
In den fraglichen Fällen kommt eine Nötigung gem. § 240 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht. Hierfür muss ein Mensch rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung (Nötigungshandlung) mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung (Nötigungserfolg) genötigt werden. Fragen wirft dabei vor allem die Nötigungshandlung in Form der Gewalt auf. Hier sollte in der Prüfung zunächst die historische Entwicklung des Gewaltbegriffs dargestellt und gezeigt werden, dass nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) der einst vertretene, sogenannte vergeistigte Gewaltbegriff (ausreichend sei rein psychisch wirkender Zwang seitens des Opfers) die Wortlautgrenze überschreitet und somit Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) verletzt (Beschl. v. 10.01.1995, Az. 1 BvR 718/89, 719/89, 722/89, 723/89).
Im Rahmen dessen ist auf die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) einzugehen (Urt. v. 20.07.1995, Az. 1 StR 126/95): Demnach entfaltet sich - bezogen auf die erste Reihe der sich mit einem Fahrzeug im Stau befindlichen Personen - lediglich eine psychische Zwangswirkung, da sie – theoretisch und wenn sie tatsächlich wollten – weiterfahren könnten. Anders verhält es sich ab der zweiten Reihe: Diese Personen könnten, selbst wenn sie wollten, nicht weiterfahren, da die vorherigen Fahrzeuge – quasi als "Werkzeug der Blockierenden" – den Weg versperren, sodass ein physisch wirkender Zwang vorliegt und die Gewalt in dieser Situation bejaht werden kann. Da der physische Zwang somit aber nicht von den Aktivist:innen selbst ausgeht, muss dieser gemäß § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden: ein Fall der mittelbaren Täterschaft.
Den zweiten Knackpunkt der Nötigungsprüfung stellt die Frage nach der Verwerflichkeit gem. § 240 Abs. 2 StGB dar, die im Rahmen der Rechtswidrigkeit nach den allgemeinen Rechtfertigungsgründen (s.u.) erfolgt. Die Verwerflichkeit kann sich aus dem Mittel, dem Zweck oder der Zweck-Mittel-Relation ergeben. Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf die konkreten Umstände des Sachverhaltes (Dauer und ggf. Sozialadäquanz eines kurzen Staus, Intensität, Ort, Tageszeit, Schnelligkeit des Handelns der Polizei, inhaltlicher Bezug zwischen Protestform und Ziel, etc.) und eine Abwägung zwischen den in Frage stehenden Rechtsgütern (insb. Fortbewegungsfreiheit) und vor allem den Grundrechten (insb. Meinungs- und Demonstrationsfreiheit) zu legen.
Im Kontext der Klimaproteste wird dabei vor allem die umstrittene Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Fernzielen (mehr und effektivere Maßnahmen zur Klimarettung) aufgeworfen. Deren Berücksichtigung wird jedoch überwiegend abgelehnt, da eine Strafbarkeit dann von der (politischen) Einstellung der Richter:innen abhängen könnte. Daher ist lediglich das unmittelbare Ziel der Stauverursachung zu berücksichtigen.
Thomas Fischer erklärte auf LTO dazu ausführlich, ob in solchen Situationen eine Nötigung vorliegt. Dass es bei der Verwerflichkeitsprüfung (zumindest in der Prüfungssituation) primär auf die Argumentation ankommt, zeigt Christian Rath auf LTO: Er stellt zwei Urteile zum gleichen Sachverhalt vor, die sich bei der Verwerflichkeitsprüfung argumentativ diametral gegenüberstehen.
Daneben könnte auch eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, § 113 Abs. 1 StGB, in Betracht kommen. Dessen persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich kann grundsätzlich bejaht werden, wenn die Polizei die festgeklebten Aktivist:innen von der Straße geleiten möchte, diese sich jedoch weigern. Das bloße Festgeklebtsein stellt wohl noch keinen Widerstand dar, da dieser Zustand bereits vor Eintreffen der Polizei hergestellt wurde und sich die Aktivist:innen sodann nur noch passiv verhalten.
Der Gewaltbegriff im Rahmen des § 113 StGB wird im Vergleich zu § 240 StGB eng ausgelegt. Erforderlich ist eine körperliche Kraftentfaltung gegen die Person des Vollstreckenden, welche für diese Person körperlich spürbar sein muss (BGH, Urt. v. 16.11.1962, Az. 4 StR 337/62). Hieran wird es ebenfalls regelmäßig fehlen, wenn sich die Aktivist:innen einfach von der Straße lösen und friedlich wegtragen lassen.
Weiter könnte ein Blick auf den Tatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB, geworfen werden. Das Verhalten, sich an der Straße festzukleben, stellt einen verkehrsfremden Eingriff dar. Dieser kann auch dazu geeignet sein, den regelmäßigen Betrieb zu hemmen oder zu stören, sodass ein Hindernis im Sinne der Norm vorliegen kann. Auch die Beeinträchtigung der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs als abstrakte Gefahr könnte bejaht werden. Schwieriger wird es in Bezug auf die konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert. Die Situation muss sich zu einer "kritischen Verkehrssituation" oder auch einem in seinem Ausgang nur noch dem Zufall überlassenen "Beinahe-Unfall" zugespitzt haben (BGH, Urt. v. 30.03.1995, Az 4 StR 725/94; BGH, Urt. v. 30.06.2015, Az 4 StR 188/15).
Bei einem Stau wird es – ohne entsprechende Sachverhaltsangaben – daran fehlen, dass ein Schaden nach einer objektiven Ex-post-Prognose lediglich vom Zufall abhängt (konkreter Gefahrerfolg). Mit Blick auf die Fälle von Rettungskräften im Stau und einer durch das Zuspätkommen resultierenden Möglichkeit der Schmerzintensivierung oder des Todes eines Dritten könnte hingegen eine Gefährdung für Leib oder Leben vorliegen. Hierbei kann das Unmittelbarkeitserfordernis zwischen Tathandlung und Gefährdung ("und dadurch"), welches sogleich im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit näher besprochen wird, aufgegriffen werden.
Ein weiteres Augenmerk ist auf den subjektiven Tatbestand zu legen, welcher verschiedene Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen für das Bereiten des Hindernisses und der Gefahr enthält. Insbesondere das Vorliegen von Fahrlässigkeit bezüglich der konkreten Gefahr könnte fraglich sein. Auf die Voraussetzungen der Fahrlässigkeit in diesen Fällen kommen wir weiter unten zu sprechen.
Muss eine Person aufgrund des späteren Eintreffens der Rettungskräfte intensivere Schmerzen erleiden oder stirbt sogar, könnte bei der Annahme, dass die Klimaaktivist:innen ohne Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatz handeln, eine fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB bzw. eine fahrlässige Körperverletzung gem. § 229 StGB vorliegen. Im Rahmen der körperlichen Misshandlung bei § 229 StGB kann auf die Frage einzugehen sein, ob es sich bei der Blockade um eine "üble, unangemessene Behandlung" handelt. Bezüglich der Gesundheitsschädigung sollte ein Augenmerk auf die Steigerung eines pathologischen Zustandes gelegt werden, welche im Bereich der Tatbestandsmäßigkeit am wenigsten Probleme aufwirft, soweit der Sachverhalt entsprechend gestrickt ist. Mit Blick auf die Gesundheitsschädigung könnte anderenfalls eine bloße Verlängerung der Schmerzen als Folge eines (nicht durch die Aktivist:innen verursachten) Unfalls und dem Nichtfreimachen der Straße problematisiert werden (entweder wird das Verlängern des pathologischen Zustandes als Gesundheitsschädigung angesehen oder - falls nur das Hervorrufen oder Steigern als ausreichend erachtet werden - man spricht eine fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen an).
In beiden Fällen muss die Stauverursachung kausal für den Tod oder die Körperverletzung sein. Folglich muss man prüfen, dass die Stauverursachung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Tod oder die Schmerzintensivierung entfiele. Diese Feststellung ist bei einem mehrere Kilometer entfernten Rettungswagen in einer Großstadt während eines hohen Verkehrsaufkommens hoch komplex und daher auch schwierig zu beweisen, sodass der Sachverhalt konkret auf dieses Erfordernis eingehen müsste. Im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit könnte zudem diskutiert werden, ob das Im-Stau-Stehen zum allgemeinen Lebensrisiko gehört und somit den Zurechnungszusammenhang unterbricht. Dafür würde die Allgegenwärtigkeit von Stau, gerade in Großstädten zur Rush Hour, sprechen, dagegen das künstliche und gezielte Hervorrufen von Staus an Verkehrsknotenpunkten zu beliebten Verkehrszeiten. Hinzu kann der Umstand treten, dass viele Fahrer:innen möglicherweise keine Rettungsgasse gebildet haben (wenn dies denn möglich war), sodass der Zurechnungszusammenhang auch aus diesem Grund unterbrochen werden kann.
Darüber hinaus müsste festgestellt werden, dass der Erfolgseintritt bei pflichtgemäßem Alternativverhalten, also keiner Stauverursachung, vermeidbar gewesen wäre; hier ist – immer abhängig von der Sachverhaltskonstellation – vor allem an den Streit um die Risikoerhöhungslehre zu denken. Auch der Schutzzweckzusammenhang muss vorliegen. Hierbei könnte die Frage gestellt werden, ob das Gebot, keine künstlichen Staus zu verursachen, gerade dazu dienen soll, dass Rettungskräfte schneller an ihr Ziel kommen.
In Bezug auf die objektiven Fahrlässigkeitsvoraussetzungen ist insbesondere die objektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts und des Kausalverlaufes zu thematisieren. Einerseits können die Aktivist:innen kaum konkret vorhersehen, dass ein möglicherweise kilometerweit entfernter Rettungswagen durch den Stau blockiert wird, wodurch dann eine Schmerzintensivierung oder der Tod einer Person hervorgerufen wird. Andererseits sollten die Aktivist:innen generell vorhersehen können – auch wenn die Behörden über die Proteste kurz vorher informiert wurden –, dass Hauptverkehrswege in Großstädten von Rettungskräften benutzt werden, welche zu Einsatzorten fahren. Dabei geht es gerade darum, die hier in Rede stehenden Erfolge zu vermeiden, was durch eine Straßenblockade zumindest erschwert werden kann.
Bleibt der Rettungsdienst oder die Feuerwehr in einem durch die Proteste verursachten Stau stecken, kommt zusätzlich noch Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, § 115 Abs. 3 S. 1 StGB, in Betracht. Bestraft wird, wer bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes, eines Rettungsdienstes, eines ärztlichen Notdienstes oder einer Notaufnahme durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert.
Was den Gewaltbegriff angeht, ist es wie beim schon besprochenen § 113 StGB, sodass das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmal bereits eher fraglich ist. "Behindern" setzt zudem voraus, dass die Hilfeleistung in ihrer Wirkung abgeschwächt bzw. mindestens erschwert worden sein muss. Dies könnte bei einem Zuspätkommen der Rettungskräfte an einem Unfallort der Fall sein, muss so allerdings auch erst bewiesen werden. Inwieweit eine Behinderung von Rettungskräften billigend in Kauf genommen wird oder auf einen guten Ausgang gehofft wird (vor allem, wenn die Behörden über den Protest informiert wurden), wäre im subjektiven Tatbestand – ebenfalls wieder je nach Sachverhaltsinformation – zu erläutern.
Sodann käme die Behinderung von hilfeleistenden Personen, § 323c Abs. 2 StGB in Betracht. Liegt eine Notsituation vor, in welcher die Rettungskräfte einem Dritten Hilfe leisten wollen und dies durch eine Stau-Bildung nicht können, kann der objektive Tatbestand des § 323c Abs. 2 StGB vorliegen. Auch hier stellen sich die Kausalitäts- und vor allem die Vorsatzfrage.
Die Kunstbeschmutzung
Markus Söder twitterte dazu folgendes: "Wer ein Kunstwerk angreift, begeht Sachbeschädigung und muss bestraft werden." Ein Blick in den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) verrät allerdings, dass das Tatbestandsmerkmal "Angriff" vergeblich gesucht wird und die Aussage in dieser Pauschalität somit nicht stimmen kann. Bei der Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB geht es vielmehr um die Beschädigung oder Zerstörung von fremden Sachen.
Eine Beschädigung liegt dann vor, wenn die Substanz oder die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Eine Zerstörung hingegen dann, wenn die Sache vernichtet oder völlig gebrauchsuntauglich ist. Liegt also ein tatbestandliches Handeln vor, wenn Gemälde mit Lebensmittel beworfen werden oder sich an diesen festgeklebt wird?
Bezüglich des Rahmens eines Gemäldes könnte je nach Lebensmittel oder Kleber eine Substanzverletzung der Oberfläche auftreten, sodass eine Beschädigung bejaht werden kann. Die Gemälde befinden sich meist hinter Schutzscheiben, sodass das Kunstwerk an sich wohl nur selten mit den Lebensmitteln oder dem Kleber in Berührung kommen wird. Die Lebensmittel könnten einfach abgewischt werden und ein Kleber ließe sich vermutlich leicht und ohne Rückstände von dem Glas entfernen, sodass die Tatbestandsmäßigkeit an der Erheblichkeitsschwelle ("nicht nur unerheblich") der Beschädigung scheitern dürfte (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.1979, 5 StR 166/79). Sollte einmal keine Glasscheibe das Gemälde von den Lebensmitteln trennen, könnte – je nach Grad der Beeinträchtigung – durchaus eine Beschädigung (wenn nicht unproblematisch und ohne nachhaltige Veränderung entfernbar), ggf. sogar eine Zerstörung bei völliger Gebrauchsuntauglichkeit vorliegen.
Mit Blick auf § 303 Abs. 2 StGB könnte der Gedanke aufkommen, dass das äußere Erscheinungsbild des Gemäldes durch die Lebensmittel verändert wird. Allerdings dürfte diese Veränderung bei einer schützenden Glasscheibe nur unerheblich und nur vorübergehend sein. Zudem kann im Fall einer Beschädigung oder Zerstörung eines Gemäldes, welches in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt wird oder öffentlich aufgestellt ist, auch § 304 Abs. 1 StGB, die gemeinschädliche Sachbeschädigung, einschlägig sein.
Ein weiteres anzusprechendes Delikt wäre der Hausfriedensbruch gem. § 123 Abs. 1 StGB. Bei dem Tatbestandsmerkmal des Eindringens sollte die grundsätzliche Zutrittserlaubnis angesprochen werden, welche bei einem dem Publikumsverkehr offenstehenden Gebäude wie einem Museum meist vorliegt. Dass das Museum nur betreten wird, um eine ggf. strafbare Handlung zu begehen, genügt für sich noch nicht zur Versagung der generellen Zutrittserlaubnis. Ein Eindringen wird nämlich dann verneint, wenn das Verhalten nach dem äußeren Erscheinungsbild von einem normalen, gestatteten Betreten nicht abweicht.
Das blockierte Rollfeld
Ende November 2022 haben sich Klimaaktivist:innen Zugang zum Berliner Flughafen BER verschafft und mit Protestaktionen auf dem Rollfeld für etwa zwei Stunden den Flugbetrieb gestört. In einem Live-Stream bei Twitter war zu sehen, wie sie einen Zaun durchtrennten und im Bereich der Start- und Landebahnen protestierten. Einige von ihnen klebten sich am Boden fest. Im Dezember kam es in München zu einem ähnlichen Vorfall.
Relativ unproblematisch ist die Prüfung des Hausfriedensbruchs nach § 123 Abs. 1 StGB wegen des Betretens des Rollfelds und Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB wegen des zerschnittenen Zauns. Genauer hinsehen muss man bei der Frage, ob sich die Aktivist:innen wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr nach § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben. Man kann die Prüfung bereits früh beenden angesichts dessen, dass die Proteste nur auf dem Rollfeld stattfanden und somit gerade nicht in den Luftraum eingriffen. Denn "Luftverkehr" meint die Benutzung des Luftraumes durch Luftfahrzeuge, die dem Verkehr dienen.
Zudem fehlt der mit der gefestigten Rechtsprechung zu fordernde konkrete Gefahrerfolg für Leib oder Leben eines anderen Menschen bzw. fremde Sachen von bedeutendem Wert, da der Flugverkehr sofort gestoppt wurde. Sofern der Sachverhalt Anhaltspunkte dafür bietet, dass die Aktivist:innen eine Gefährdung beabsichtigt oder zumindest billigend in Kauf genommen haben, ist eine Versuchsstrafbarkeit zu prüfen. Der Vorfall am Berliner Flughafen lässt dies aber nicht erkennen.
Rechtfertigungen?
Angesichts der sich aus Klimaprotesten ergebenden Straftaten wird die Grundsatzfrage diskutiert, ob die fortschreitende Klimakrise die Delikte in einer Art Klimanotstand nach § 34 StGB rechtfertigt. In der gegenwärtigen Diskussion scheint es zunehmend vertretbar, unter Verweis auf Berichte des Weltklimarats und anderer Expert:innenmeinungen die Klimakrise als "Notstand in Permanenz" zu qualifizieren. Anfang Oktober lehnte erstmals auch in Deutschland ein Berliner Gericht mit Blick auf die Klimakrise die Strafbarkeit einer Klimaaktivist:innen ab. Der entscheidende Richter nahm hierbei unter anderem Bezug auf die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG. Auch Michael Hassemer, Richter am Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, hält die Klima-Proteste der "Letzten Generation" für gerechtfertigt.
In der Prüfung lässt sich aber eine Rechtfertigung ebenso gut in Gänze ablehnen. Mit Roxin kann man etwa argumentieren, dass die Rechtfertigung zivilen Ungehorsams das demokratische Mehrheitsprinzip und somit rechtsstaatliche Grundsätze konterkariere (Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2020), § 16 Rn. 55). Fynn Wenglarczyk geht von einer möglichen Widersinnigkeit einer Rechtfertigung wegen "Klimanotstands" auf dem Verfassungsblog aus: "Wenn der Gesetzgeber bestimmte Maßnahmen im Rahmen des demokratischen Gesetzgebungsverfahrens beschließt, kann er die Nicht-Anerkennung dieser Maßnahmen nicht zugleich für straflos, den zivilen Ungehorsam also für gerechtfertigt erklären." Er verweist aber auf strafprozessuale Möglichkeiten für einen Strafverzicht, etwa durch eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a StPO. Auch am AG Freiburg lehnte Anfang Januar eine Richterin den rechtfertigenden Notstand nach § 34 im Fall einer Straßenblockade der "Letzten Generation" ab: "§ 34 StGB begründet prinzipiell kein Recht des Einzelnen, aus seinen persönlichen Glaubens- und Gewissensüberzeugungen notstandsfähige Interessen zu generieren und auf Kosten fremder Rechtsgüter durchzusetzen."
Lehnt man die Rechtfertigung ab, kommt allenfalls noch ein Erlaubnisirrtum nach § 17 StGB in Betracht. Handelten die Aktivist:innen in der Annahme einer Rechtfertigung gem. § 34 StGB, kommt es entscheidend darauf an, ob dieser Irrtum vermeidbar war.
Wer in den vergangenen Wochen mal in einem von Klimaaktivist:innen verursachten Stau feststeckte, wird diese Fragen kennen: Darf man sich gegen die Proteste wehren und Personen einfach wegtragen oder gar anfahren? Im Juni 2022 etwa fuhr ein Autofahrer in Berlin eine Demonstrantin mit seinem PKW an, weil er einen Termin hatte. In Betracht kommen Strafbarkeiten wegen Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB und wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB. Stuft man den Einsatz des PKWs gegen eine Demonstrantin als Begehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB ein, könnte es sich auch um eine gefährliche Körperverletzung handeln. Die Rechtsprechung ordnet ein langsames Wegschieben einer Person mit einem Fahrzeug bislang aber nicht als Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs ein (OLG Bamberg, Urt. V. 17.12.2014, Az. 3 OLG 8 Ss 140/14). In Extremfällen kämen sogar Tötungsdelikte in Betracht.
Man kann auch hier überlegen, ob die Handlungen gerechtfertigt sind. "Die Blockaden sind ein rechtswidriger Angriff auf die Fortbewegungsfreiheit, gegen den Betroffene sich im Rahmen der Notwehr verteidigen dürfen", sagt Eric Hilgendorf, Professor für Strafrecht an der Universität Würzburg gegenüber der Welt.
Bereits seit dem ersten Semester Strafrecht wissen Jurastudierende zudem, dass in Deutschland ein "schneidiges Notwehrrecht" gilt, bei dem "das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht". Es findet bei § 32 StGB keine Verhältnismäßigkeitsprüfung der in Frage stehenden Rechtsgüter statt. Auch gegen leichtere Angriffe darf man sich also mit durchaus drastischen Maßnahmen zur Wehr setzen. Dies zumindest, sofern keine gleich wirksamen, aber milderen Wege offenstehen (Erforderlichkeit) und die Verteidigung in keinem groben Missverhältnis zum geschützten Rechtsgut steht (Gebotenheit). Sofern die Polizei noch nicht vor Ort ist, kommt also grundsätzlich eine Rechtfertigung wegen Notwehr in Betracht.
Gleichwohl aber ist der genaue Blick auf den Einzelfall entscheidend. Der Münchner Strafrechtsprofessor Armin Engländer weist gegenüber dem BR insofern zurecht auf die Strafbarkeitsrisiken hin, die Autofahrer:innen drohen, wenn sie Aktivist:innen eigenmächtig von der Straße räumen. Denn ihre Rechtfertigung nach § 32 StGB sei keinesfalls ein Automatismus, sondern mit Blick auf mögliche Kollisionen mit der Versammlungsfreiheit eine einzelfallabhängige Rechtsunsicherheit. Es sei zudem noch einmal daran erinnert, dass mit Blick auf die komplexe und stets vom Einzelfall abhängige Verwerflichkeitsprüfung bei § 240 Abs. 2 StGB (s.o.) das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs nicht immer eindeutig gegeben ist (zum Ganzen s. auch Tobias Gafus auf dem Verfassungsblog). Nehmen die Autofahrer:innen jedoch einen rechtswidrigen Angriff an, kann ihnen allein ein Erlaubnisirrtum nach § 17 StGB zugute kommen.
Schmerzen durch Polizei
Steht der Vorwurf Polizeigewalt im Raum, denkt man gleich an das unechte Amtsdelikt in § 340 StGB – die Körperverletzung im Amt. Da § 340 Abs. 3 StGB auf § 224 StGB verweist, kann je nach Fallgestaltung auch eine gefährliche Körperverletzung im Amt angesprochen werden. Sollten Polizist:innen gewaltsam mit Sekundenkleber auf der Straße festgeklebte Aktivist:innen losreißen, liegt darin eine körperliche Misshandlung gem. § 223 Abs. 1 StGB. Auch die Anwendung des zuletzt viel diskutierten "Handbeugehebels" könnte eine üble und unangemessene Behandlung darstellen, die das körperliche Wohlbefinden aufgrund von Schmerzen mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.
Dreh- und Angelpunkt der Prüfung ist die Frage der Rechtswidrigkeit. Die Handlungen können insbesondere durch öffentlich-rechtliche Eingriffs- und Befugnisnormen des Polizei- und Ordnungsrechts gerechtfertigt sein. Die Prüfung der Rechtfertigung erfolgt somit verwaltungsrechtsakzessorisch. Zwar darf die Polizei gemäß den Polizeigesetzen der Länder unmittelbaren Zwang und damit auch körperliche Gewalt einsetzen, um eine Klimablockade aufzulösen. Dabei ist sie jedoch stets an den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG). Die Polizei muss also zuerst mildere Mittel heranziehen, also etwa Aktivist:innen mit Lösungsmitteln von der Straße entfernen oder sie wegtragen. Erst wenn dabei Widerstand geleistet wird oder von vornherein zu erwarten ist, dürfen die Beamt:innen schmerzhafte Maßnahmen einsetzen.
Werden "unfassbare Schmerzen" von Seiten der Polizei angedroht, sind eine (versuchte) Nötigung im Amt nach § 240 Abs. 1 und 4 Nr. 2 StGB und eine Bedrohung nach § 241 Abs. 1 StGB anzusprechen.
Terrorismus?
Anfang Dezember 2022 diskutierten Politiker:innen im Rahmen der Innenministerkonferenz die Einstufung der Klimabewegung. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) nannte die "Letzte Generation" eine "kriminelle Vereinigung". Auch Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) möchte diese Frage untersuchen lassen. Kurz darauf durchsuchte die Polizei in einer bundesweiten Razzia die Wohnungen von Aktivist:innen der "Letzten Generation", unter anderem wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Die Bildung einer kriminellen Vereinigung steht nach § 129 StGB unter Strafe. Danach wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Gemäß § 129 Abs. 2 StGB ist eine Vereinigung ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.
Die "Letzte Generation" ist eine Vereinigung, deren übergeordnetes Ziel es ist, Klimaschutzmaßnahmen zu erwirken. Zur Erreichung dieses Zieles setzt sie derzeit unter anderem zivilen Ungehorsam ein. Allen Definitionen von zivilem Ungehorsam ist gemein, dass aus politischen Motiven auch Gesetzesverstöße begangen werden (Kröpil, JR 2011, 283, 284). Allerdings ist die Begehung von Straftaten weder primärer Zweck noch die überwiegende Tätigkeit der "Letzten Generation". Ziviler Ungehorsam dient vielmehr als Mittel zum übergeordneten Zweck, nämlich der Erreichung von Klimaschutzmaßnahmen.
Dies vor Augen, könnte man bereits den Zusammenschluss der "Letzten Generation" zur Begehung von Straftaten verneinen. Mit Blick auf die Rechtsprechung kann man dies aber auch anders sehen: Der BGH verlangt gerade nicht, dass der alleinige Zweck der Vereinigung in der Begehung von Straftaten besteht. § 129 StGB greift seiner Ansicht nach auch dann ein, wenn die Straftaten zur Erreichung eines weitergehenden Zweckes begangen werden (BGHSt 15, 260; 27, 326; 41, 56). Es besteht also – je nach Wertung des Zusammenschlusses – die Möglichkeit, die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB einzuordnen. Entscheidend wäre dann aber die Frage, ob die geplanten Straftaten der Vereinigung auch eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit" darstellen (BT-Drs. 18/11275, S. 10). Davon ist derzeit aber weniger auszugehen.
CSU-Politiker Alexander Dobrindt hatte vor einigen Wochen gefordert, die Bildung einer "Klima-RAF" zu verhindern, und stieß dabei auf herbe Kritik. Der Präsidentdes Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, bezeichnete diesen Vergleich als fachliche "Nonsens", da bei den Protesten kein Extremismus erkennbar sei. Dobrindt zog mit seiner Formulierung eine Parallele zwischen der "Letzten Generation" und der Roten Armee Fraktion (RAF). Die inzwischen aufgelöste Terrororganisation war in der Bundesrepublik jahrzehntelang für zahlreiche Morde, Banküberfälle und Sprengstoffattentate verantwortlich.
Es fragt sich aber, ob die Bezeichnung darüber hinaus eine strafbare Beleidigung nach § 185 StGB darstellt. Dass Aktivist:innen sich durch das Label "Klima-RAF" in ihrer Ehre verletzt sehen, liegt nahe. Aber sind sie überhaupt (passiv) beleidigungsfähig? Der CSU-Politiker adressierte schließlich keine einzelne Aktivist:innen, sondern richtete sich mit seiner Aussage an ein Kollektiv.
Zwar sind auch Personengemeinschaften grundsätzlich beleidigungsfähig; hierfür müssen jedoch besondere Voraussetzungen vorliegen. Die Gruppierung muss eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können (BGH, Urtl. v. 08.01.1954, Az. 1 StR 260/53). Beleidigungsfähig sind beispielsweise die Bundeswehr (BGH, Urt. v. 19.01.1989, Az. 1 StR 641/88), Wirtschaftsunternehmen (OLG Köln, Urt. v. 20.02.1979, Az. 1 Ss 69/79) oder bestimmte Abteilungen der Polizei (OLG Frankfurt, Urt. v. 23.11.1976, Az. 2 Ss 549/76; LG Mannheim, Urt. v. 17.04.1996, Az. (10) 5 Ns 16/94). Zwar kann man der im Interesse des Klimaschutzes agierenden "Letzten Generation" durchaus eine soziale Funktion in diesem Sinne zuschreiben. Fraglich ist allerdings ihre Fähigkeit zur einheitlichen Willensbildung. Auch wenn man sie letztlich als Verein qualifiziert, bleiben ihre internen Willensbildungsprozesse unklar. Auf der Webseite finden sich weder eine Vereinssatzung noch ein Hinweis auf etwaige Vorstandsmitglieder oder Mitgliederversammlungen.
Auch eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung scheidet aus, da es sich bei der Bezeichnung als "Klima-RAF" um ein allgemeines Werturteil handelt. Denn eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung ist nur möglich, wenn sich die gruppenbezogene Herabsetzung nicht in der Vielzahl möglicher Adressat:innen verliert, sondern innerhalb der Gruppe bestimmten Personen zugeordnet werden kann. Der Ausdruck richtet sich an den unüberschaubaren Personenkreis der Klimaaktivist:innen und stellt gerade keinen Bezug zu individualisierbaren Personen her.
Zudem vermittelt der Ausdruck Kritik an der Bewegung und stellt auch daher keine bloße Schmähkritik (reine Diffamierungsabsicht ohne sachliche Auseinandersetzung) oder Formalbeleidigung (etwa typische Schimpfwörter) dar, bei denen der Ehrschutz stets Vorrang vor der Meinungsäußerungsfreiheit hat. In der in allen anderen Fällen vorzunehmenden Abwägung dürfte aufgrund der politischen Auseinandersetzung die Meinungsfreiheit Vorrang haben.
Die Autorin Dipl. Jur. Katharina Reisch ist Doktorandin und wissenschaftliche Hilfskraft, der Autor Dipl. Jur. Tim Nicklas Festerling ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig bei Prof. Dr. Katrin Höffler.
LTO-Examensspezial zu den Klimaprotesten Teil II: . In: Legal Tribune Online, 08.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50994 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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