Eigentlich sollte die Reform bereits Ende 2012 abgeschlossen sein, nun hat es bis Mitte 2013 gedauert. Der parlamentarische BMI-Staatssekretär Ole Schröder erläutert im LTO-Interview, warum Deutschland die Neufassung des europäischen Asylrechts verzögert hat, an einem Arbeitsverbot für Asylbewerber festhält und Abschiebungen an überforderte EU-Südstaaten nicht generell aussetzen will.
LTO: Am Mittwoch hat das Europäische Parlament eine Reform des europäischen Asylrechts beschlossen. Zum Leidwesen von Ländern mit EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland bleibt es dabei, dass Asylbewerber ihren Antrag immer in dem Land stellen müssen, in dem sie in die EU einreisen. Was sprach dagegen, für diese ohnehin wirtschaftlich gebeutelten Länder eine Ausnahme von der Dublin-Verordnung zu schaffen für den Fall, dass sie einen Migrantenansturm nicht bewältigen können?
Schröder: Die Dublin-Verordnung hält den Mitgliedstaat, den der Asylbewerber als erstes betritt, dazu an, seiner Verantwortung gerecht zu werden und die Asylbewerber nicht einfach durchzuwinken. Die Entscheidung Deutschlands und aller anderer Mitgliedstaaten seit 2011, Asylbewerber erst einmal nicht mehr nach Griechenland zurückzuschicken, hatte zudem zur Konsequenz, dass seitdem eine zusätzliche Sogwirkung von Griechenland ausgeht und gerade keine Entlastung.
Deutschland hatte im vergangenen Jahr rund 23 Prozent der in der EU registrierten Asylanträge zu bewältigen, Italien und Griechenland dagegen nur fünf beziehungsweise drei Prozent. Darüber hinaus unterstützt die EU Griechenland bei der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Asylreform und zum Migrationsmanagement. Auch Deutschland beteiligt sich an dieser von der EU koordinierten Hilfe.
In der neuen Dublin-Verordnung wurde zudem ein Frühwarn- und Krisenbewältigungsmechanismus aufgenommen. Er soll unter Beteiligung des EU-Asylunterstützungsbüros, der Kommission und der Mitgliedstaaten dazu beitragen, dass Defizite in Asylsystemen der Mitgliedstaaten frühzeitig erkannt und behoben werden. Das ist richtig und sinnvoll.
"Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes im Einklang mit EuGH-Rechtsprechung"
LTO: Ende 2011 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu Abschiebungen nach Griechenland entschieden, dass ein Mitgliedstaat nicht per se unterstellen darf, dass der Staat, der für den Asylbewerber zuständig ist, die Unionsgrundrechte beachtet. Ein Asylbewerber muss also effektiv vor Gericht gegen eine drohende Abschiebung vorgehen können. In Deutschland ist der einstweilige Rechtsschutz gegen eine Abschiebung in ein EU-Land aber weitgehend ausgeschlossen. Widerspricht das nicht dem EuGH-Urteil? Soll sich mit Dublin-III etwas daran ändern?
Schröder: Der EuGH hat in seinem Urteil aus dem Dezember 2011 (Anm. d. Red.: Urt. 21.11.2011, Az. C-411/10 und C-493/10) zunächst bestätigt, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des Dublin-Verfahrens grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in allen Mitgliedstaaten im Einklang mit dem europäischen Flüchtlingsrecht stehen. Allerdings stehe das Unionsrecht der unwiderlegbaren Vermutung entgegen, dass der zuständige Mitgliedstaat die Unionsgrundrechte beachte.
Zur deutschen Rechtslage hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits 1996 in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, dass der im Asylverfahrensgesetz geregelte Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebung in einen sicheren Drittstaat grundsätzlich zulässig ist, es aber Ausnahmen davon geben muss. Mit dieser Auslegung steht die Rechtslage in Deutschland im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung.
Mit der Neufassung der Dublin-Verordnung wird das Recht des Asylsuchenden, wirksam gegen eine geplante Überstellung zu klagen, präzisiert. So müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass im Falle eines Antrags auf Aussetzung der Überstellung diese grundsätzlich nicht vollzogen werden darf, bis das Gericht entschieden hat. Der Antragsteller darf dann also so lange in dem Mitgliedstaat bleiben. Das deutsche Asylrecht wird daran nun angepasst werden.
2/2: "Behörden sollen schneller über Asylanträge entscheiden"
LTO: Anfang 2011 stellte das BVerfG ein Verfahren gegen eine Abschiebung nach Griechenland ein, nachdem die Bundesregierung zugesichert hatte, bis 2012 nicht mehr nach Griechenland abzuschieben. Bis 2012 sollte eigentlich auch das Gemeinsame Asylsystem stehen. Nachdem sich dies nun verschoben hat: Werden solange auch die Abschiebungen nach Griechenland weiter ausgesetzt?
Schröder: Ja, zuletzt hat Bundesinnenminister Friedrich diese Entscheidung bis zum 12. Januar 2014 verlängert. Das soll der griechischen Regierung helfen, ihr Asylsystem zu verbessern, das insgesamt nach wie vor erhebliche Mängel aufweist. Damit wird das Dublin-System aber nicht als solches in Frage gestellt.
LTO: Nach der Aufnahmerichtlinie dürfen Asylbewerber für eine bestimmte Zeit nicht arbeiten. Dieser Zeitraum soll nun von zwölf auf neun Monate verkürzt werden. Wieso?
Schröder: Das ist das Ergebnis intensiver Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten. Während sich letztere ursprünglich mehrheitlich für einen Arbeitsmarktzugang spätestens nach einem Jahr ausgesprochen hatten, sah der ursprüngliche Kommissionsvorschlag eine Verkürzung der Frist auf sechs Monate vor. Die nun gewählte Frist von neun Monaten ist ein vertretbarer Kompromiss, da die Mitgliedstaaten weiter die Möglichkeit haben, vorrangig zu prüfen, ob ein EU-Staatsangehöriger für die Stelle in Betracht kommt, auf die sich der Asylsuchende bewerben will.
LTO: Warum gibt es dieses Arbeitsverbot überhaupt?
Schröder: Es soll den Anreiz verringern, das Asylsystem zu nutzen, um allein aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen.
LTO: Was regelt die neue Asylverfahrensrichtlinie?
Schröder: Die Neufassung der Richtlinie sieht unter anderem vor, dass die Behörden künftig über einfache Asylanträge innerhalb von sechs Monaten entscheiden. Eine Verlängerung dieser Frist auf bis zu 18, im Einzelfall sogar auf bis zu 21 Monate, bleibt jedoch möglich.
Außerdem sollen Opfer von Folter und Gewalt künftig schneller als bisher adäquate Unterstützung bekommen.
Wie eben schon erwähnt sieht die neue Asylverfahrensrichtlinie auch vor, dass Bewerber, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die dagegen klagen, grundsätzlich ein Bleiberecht bis zur Entscheidung des Gerichts haben. Allerdings können die Mitgliedstaaten hiervon Ausnahmen machen.
"Flughafenverfahren hat sich bewährt"
LTO: Deutschland konnte erreichen, dass das Flughafenverfahren, nach dem Bewerber mit aussichtslosen Anträgen rasch ausgewiesen werden können, erhalten bleibt. Wieso war Ihnen das wichtig?
Schröder: Das Flughafenasylverfahren gewährleistet, dass Asylbewerbern, die offensichtlich keines Schutzes bedürfen, die Einreise erst gar nicht gestattet werden muss. Das Verfahren wurde in Deutschland 1992/1993 eingeführt. Zuvor konnte ein Asylantrag zu einem mehrjährigen Aufenthalt in Deutschland führen, während dem dann auch Sozialleistungen in Anspruch genommen wurden.
Wir haben uns für die Beibehaltung dieser Regelung eingesetzt, weil sie sich in der Praxis bewährt hat. Sie wird in Deutschland sachgerecht und verantwortungsvoll angewandt: Von den 787 Asylanträgen an deutschen Flughäfen im Jahr 2012 wurden nur 60 in diesem Schnellverfahren, also innerhalb von zwei Tagen entschieden.
LTO: Die Dublin-III-Verordnung und die Aufnahmerichtlinie hätten schon viel früher beschlossen werden sollen. Auch das BMI hat sich aber dafür eingesetzt, die Abstimmung im Europäischen Parlament zu verschieben. Warum?
Schröder: Nach dem Stockholmer Programm sollte das Gemeinsame Europäische Asylsystem bis Ende 2012 abgeschlossen sein. Unter zyprischer Präsidentschaft einigten sich das Europäische Parlament, der Rat und die EU-Kommission auf die Änderungen an der Dublin-Verordnung und die Asyl-Aufnahmerichtlinie. Die Verhandlungen zur Asyl-Verfahrensrichtlinie sowie zur Eurodac-Verordnung konnten dagegen nicht vollständig abgeschlossen werden.
Die einzelnen Rechtsakte enthalten untereinander aber zahlreiche Querverweise. Diese müssen angesichts der komplexen Materie gut aufeinander abgestimmt sein. Deutschland hat sich daher zusammen mit anderen Mitgliedstaaten dafür eingesetzt, diese gemeinsam zu verabschieden, um die Rechtsetzungsqualität zu gewährleisten.
Dr. Ole Schröder ist Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium des Innern.
Die Fragen stellte Claudia Kornmeier.
Dr. Ole Schröder, Europaparlament beschließt Gemeinsames Asylrecht: "Wir bewältigen mehr Anträge als Griechenland" . In: Legal Tribune Online, 14.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8930/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag