Europäischer Haftbefehl: Muss Belgien Puigdemont ausliefern?

von Prof. Dr. Martin Heger

03.11.2017

2/2 Belgien prüft nicht, ob Spanien ein faires Verfahren gewährleistet

Die belgische Justiz kann nur prüfen, ob das angeschuldigte Verhalten in Belgien strafbar wäre. Eine Prüfung, ob das in Spanien vorgesehene Strafverfahren fair ist, stünde der belgischen Justiz dagegen grundsätzlich nicht zu. Der dem EuHB zugrundeliegende Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gebietet im Regelfall, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat in die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens vor dem Ausstellungsmitgliedstaat vertraut.

Die zuletzt in Einzelfällen vom Europäischen Gerichtshof und vom Budnesverfassungsgericht gemachten Ausnahmen betreffen nur die Situation, dass angesichts menschenunwürdiger Zustände in einem Gefängnis eine Überstellung zur Strafvollstreckung unmittelbar zu einem Menschenwürdeverstoß führen müsste.

Zu den Ländern, für die dies befürchtet worden ist, zählt Spanien nicht, sodass selbst im Fall drohender Untersuchungs- oder Strafhaft die Vollstreckung eines EuHB nicht abgelehnt werden kann.

Puigdemont wäre ja auch in Spanien gegenüber den von ihm befürchteten Verletzungen des fair trail-Gebots nicht rechtsschutzlos, denn Spanien ist an die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gebunden, sodass ihm jedenfalls der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen einer möglichen Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK offen stünde.

Das Verfahren muss in der Regel innerhalb von 60 Tagen abgeschlossen sein

Wenn in Brüssel ein spanischer EuHB eingeht, müssen die belgischen Behörden Puigdemont nicht unbedingt in Haft nehmen. Allerdings müssten sie sicherstellen, dass er sich nicht – wie Assange durch die Flucht in die Botschaft von Ecuador – nach Abschluss des Verfahrens über die Vollstreckung des EuHB in Belgien durch Flucht der Übergabe an Spanien entzöge.

Für die Prüfung des EuHB bleibt den belgischen Behörden wenig Zeit: Nach Art. 17 Abs. 1 RB gilt unabhängig davon, ob eine der Katalogtaten zugrunde liegt, für jeden EuHB, dass er als Eilsache vollstreckt wird. Auch hinsichtlich der im RB vorgeschriebenen Fristen gibt es keinen Unterschied zwischen Fällen, bei denen aufgrund des RB eine Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt, und den anderen Europäischen Haftbefehlen. Jeder EuHB, also auch einer, der "nur" auf die Unterschlagung öffentlicher Gelder gestützt werden kann, müsste im Regelfall binnen 60 Tagen vollstreckt werden.

Soweit – wie von Puigdemonts Anwalt angekündigt – gegen ein Übergabeverlangen in Belgien Rechtsschutz nachgesucht werde, müssten auch die Entscheidungen im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich innerhalb dieser Frist abgeschlossen sein. Nach Art. 17 Abs. 4 RB kann nur in Sonderfällen die Frist zur Vollstreckung um 30 Tage verlängert werden.

Zusammengefasst lässt sich also sagen: Die gegen Puigdemont im Raum stehenden Vorwürfe genügen zwar für die Ausstellung eines EuHB durch die spanische Justiz wegen Rebellion und Unterschlagung öffentlicher Gelder, doch könnte die belgische Justiz dessen Vollstreckung ablehnen, soweit das Verhalten in Belgien nicht strafbar ist. Dies erscheint allerdings vor allem für den Unterschlagungs-Vorwurf so gut wie ausgeschlossen. Ein allein darauf gestützter EuHB müsste also binnen 60, maximal 90 Tagen vollstreckt werden. Ob auf dieser Basis auch der Vorwurf der Rebellion angeklagt werden könnte, hängt wiederum davon ab, ob Belgien am Spezialitätsgrundsatz festhält oder nicht. 

Prof. Dr. Martin Heger hat den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, europäisches Strafrecht und neuere Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin inne.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Martin Heger , Europäischer Haftbefehl: Muss Belgien Puigdemont ausliefern? . In: Legal Tribune Online, 03.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25373/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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