EuGH verhandelt im September: Deut­sche Vor­rats­da­ten­spei­che­rung wird Fall für Große Kammer

von Dr. Markus Sehl

10.08.2021

Der EuGH wird die deutsche Version der Vorratsdatenspeicherung zum Anlass nehmen, noch einmal grundsätzlich über das von Strafverfolgern begehrte Instrument zu verhandeln. Ein Termin ist für September angesetzt.

Über das Schicksal der deutschen Vorratsdatenspeicherung wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) nach Informationen von LTO am 13. September mündlich verhandeln. Das bestätigen mehrere Personen, die mit dem Vorgang vertraut sind. Dabei wird das Verfahren sogar ein Fall für die Große Kammer des EuGH. Eine Sprecherin des Gerichtshofs wollte das am Dienstag weder offiziell bestätigen noch dementieren.

Die Vorratsdatenspeicherung erlaubt es Polizei und Strafverfolgungsbehörden, auf Verbindungsdaten der Internet- und Telefonkommunikation zuzugreifen, die private Anbieter zu diesem Zweck auf Vorrat bereithalten müssen.

Ursprünglich war die mündliche Verhandlung für Ende Juni angesetzt, verhandeln sollte die 2. Kammer des EuGH mit drei Richterinnen und Richtern – nun werden sich 15 Richterinnen und Richter der Großen Kammer mit dem Verfahren befassen. Die deutsche Version der Vorratsdatenspeicherung ist jetzt der Anlass, um dieses Instrument noch einmal grundsätzlich juristisch zu bewerten (Az. C-793/19, C-794-19).

Warum wird die Vorratsdatenspeicherung noch einmal grundsätzlich Thema?

In mehreren Entscheidungen hatte der EuGH bereits umfassende Vorgaben gemacht. Sehr vereinfacht gesagt hat er entschieden: Eine anlasslose unbegrenzte Vorratsdatenspeicherung ist unzulässig, aber für die Abwehr von terroristischen Angriffen und für die Verfolgung schwerer Straftaten kann sie gerechtfertigt sein. Es kommt am Ende auf die Absicherung bei der Datenauswertung an, etwa in Form eines Richtervorbehalts.

Der Grund dafür, warum sich der EuGH nun noch einmal grundsätzlich mit der Vorratsdatenspeicherung befasst, dürfte der Druck sein, den die Mitgliedstaaten ausüben. Mit einem Verfahren vor dem französische Conseil d'Etat hatte zuletzt die französische Regierung darauf gesetzt, grundsätzlich am Beispiel der Vorratsdatenspeicherung klären zu lassen, ob die Kompetenz für das Sicherheitsrecht statt auf europäischer Ebene nicht vielmehr bei den Mitgliedstaaten liegt. Auch in Deutschland wird der Bedarf für eine Vorratsdatenspeicherung immer wieder betont.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte 2019 Auslegungsfragen zu den Klagen der Internet- und Telefonanbieter Telekom und Spacenet dem EuGH vorgelegt und das deutsche Verfahren ausgesetzt. In ihren Fragen an den EuGH deuteten die Richterinnen und Richter des BVerwG Zweifel an, ob ein generelles Verbot der Vorratsdatenspeicherung das letzte Wort aus Luxemburg sein könne, insbesondere wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit gehe. Und sie brachten schon mit ihrer Vorlage Ausnahmen und flankierende Maßnahmen für eine neue Version der Vorratsdatenspeicherung ins Spiel.

Die deutsche Version 

2015 wurde in Deutschland das Gesetz zur "Mindestspeicherpflicht und Höchstspeicherdauer von Verkehrsdaten" eingeführt. Gespeichert werden sollten keine Sprach- oder Textinhalte von Telefonaten, SMS oder E-Mails, sondern Verbindungsdaten - etwa Angaben dazu, wer wann mit wem telefonierte und im Bereich welcher Handy-Funkzelle er sich aufhielt. Die deutsche Regelung sieht eine Speicherfrist von zehn Wochen für diese Verbindungsdaten vor. Damit stellt die deutsche Version im europäischen Vergleich eine eher datenschutzfreundliche Variante dar. Auch die anderen Mitgliedstaaten werden interessiert beobachten, wie der EuGH mit dieser Version umgeht.

Das Gesetz aus dem Jahr 2015 sah eigentlich vor, dass die Vorratsdatenspeicherung ab 1. Juli 2017 beginnen sollte. So kam es aber nicht: Nach einer Entscheidung des OVG NRW Ende Juni 2017 wurde die Speicherpflicht ausgesetzt - und liegt derzeit immer noch auf Eis. Derzeit müssen Telekommunikationsunternehmen keine Verkehrsdaten auf Vorrat speichern.

Gegen das deutsche Gesetz sind auch beim Bundesverfassungsgericht Beschwerden anhängig. Die Verfassungsrichterinnen und -richter haben die Beschwerdeführer Anfang 2018 darauf hingewiesen, dass es für das juristische Schicksal der Vorratsdatenspeicherung neben dem Grundgesetz als Maßstab insbesondere auf die Vorgaben aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ankommen dürfte. Auch sie werden sich also an der Entscheidung aus Luxemburg orientieren.

EU bastelt derweil schon an einer Neuauflage

Wie wichtig das Instrument der Vorratsdatenspeicherung für die Mitgliedstaaten und ihre Sicherheitsbehörden ist, zeigt auch, dass unter der deutschen Präsidentschaft eine neue Arbeitsgruppe im EU-Rat zur Vorratsdatenspeicherung eingerichtet worden ist.

Mitte Juli wurden neue Details zu künftigen Versionen einer europäischen Vorratsdatenspeicherung bekannt. Die EU-Arbeitsgruppe erwägt dabei mehrere Optionen. Eine wäre ein nationaler Alleingang. Danach würde sich jeder Mitgliedstaat um seine eigene – europarechtskonforme – Vorratsdatenspeicherung kümmern. Die zweite Variante wäre eine Art empfehlende Handreichung zu einem abgestimmten europäischen Vorgehen. Den Hauptteil des zehnseitigen Papiers, das netzpolitik.org veröffentlichte, nimmt aber eine verbindliche Regelung aus Brüssel ein. Danach soll die Vorratsdatenspeicherung zielgerichtet – also zum Beispiel abhängig von Standorten kritischer Infrastruktur, aber auch Verkehrsknotenpunkten an Flughäfen, Bahnhöfen und Autobahnen bzw. auf einzelne Personengruppen wie Gefährder - zugeschnitten werden.

Zitiervorschlag

EuGH verhandelt im September: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45699 (abgerufen am: 11.10.2024 )

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