Dürfen Notare Beurkundungen für russische Unternehmen vornehmen? Seit den EU-Sanktionen herrschte Unsicherheit. Nun gibt der EuGH grünes Licht für Immobiliengeschäfte. Welche weiteren Folgen das Urteil hat, klärt Carsten Cramer.
Die EU-Russlandsanktionen haben weitreichende Auswirkungen auf die notarielle Praxis. Notare müssen nicht nur Sanktionslisten beachten. Sie standen in den letzten zwei Jahren vor allem vor der Frage, ob Beurkundungen und Beglaubigungen generell verboten sind, wenn eine Partei des Rechtsgeschäfts eine in Russland niedergelassene juristische Person ist.
Notare befanden sich damit in der Praxis in einem gravierenden Dilemma. Wurden sie durch Beurkundung von Rechtsgeschäften unter Beteiligung einer in Russland niedergelassenen juristischen Person tätig, bestand für sie die Gefahr, gegen EU-Sanktionen zu verstoßen und sich damit strafbar zu machen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) AWG) oder bei Fahrlässigkeit zumindest ein Bußgeld zahlen zu müssen (19 Abs. 1 Nr. 1 AWG). Guten Gewissens konnte damit kein Notar eine Beurkundung oder Beglaubigung vornehmen. Dementsprechend haben viele Notare, auch der Verfasser, in den vergangenen zwei Jahren aus Vorsichtsgründen ihre Mitwirkung an Amtsgeschäften abgelehnt, wenn ein unter Art. 5n Abs. 2 VO (EU) 833/2014 fallender Beteiligter involviert war.
Auf der anderen Seite dürfen Notare ihre Urkundstätigkeit nicht ohne Weiteres verweigern. Dies folgt aus der Urkundsgewährungspflicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO. Lehnt ein Notar eine Beurkundung ohne ausreichenden Grund ab, verstößt er gegen diese Amtspflicht mit der möglichen Folge eines gegen ihn gerichteten Beschwerdeverfahrens (§ 15 Abs. 2 S. 1 BNotO). Zudem kann er sich schadensersatzpflichtig machen. Daher lautete die Empfehlung in der Praxis, vor der Vornahme eines möglicherweise von dem Verbot erfassten notariellen Amtsgeschäfts eine Weisung der Aufsichtsbehörde zum Tätigwerden einzuholen. Dies wiederum entsprach angesichts der damit verbundenen zeitlichen Verzögerung im Regelfall nicht dem Interesse der Mandanten.
Die Ausgangslage
Hintergrund des Dilemmas ist das 8. EU-Sanktionspaket, das am 7.10.2022 in Kraft getreten ist. Danach gilt ein weitreichendes Verbot der Erbringung von Rechtsberatungsdienstleistungen. Gemäß Art. 5n Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 ist es verboten, für die Regierung Russlands sowie für in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen in dem Bereich der Rechtsberatung zu erbringen. Dieses Verbot wird konkretisiert durch Erwägungsgrund Nr. 19 der Verordnung (EU) 2022/1904. Danach ist von den Sanktionen nicht nur Rechtsberatung für Mandanten in nichtstreitigen Angelegenheiten umfasst, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von Rechtsvorschriften geht, sondern auch die Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten. Mit einer Ausnahme: Die Rechtsberatungsdienstleistung ist erlaubt, wenn dies zur Gewährung des Zugangs zu Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren unbedingt erforderlich ist (Art. 5n Abs. 6 VO (EU) 833/2014).
Für Notare stellte sich in der Praxis die Frage, ob notarielle Beurkundungs- und Vollzugstätigkeiten "Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung" im Sinne der Verordnung und damit verboten sind und, wenn ja, ob sie zumindest unter Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung in Art. 5n Abs. 6 VO (EU) 833/2014 vorgenommen werden durften.
EU-Kommission sah Verstoß
Gegen die Einordnung der notariellen Tätigkeiten unter das Verbot sprach zwar, dass Notare keine parteigebundene Interessenvertretung vornehmen, sondern kraft hoheitlicher Tätigkeit im Allgemeininteresse liegende Aufgaben übernehmen. Gleichwohl konnte für die Praxis nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass das Verbot auch notarielle Tätigkeiten betraf, zumal Notare im Zusammenhang mit ihren Beurkundungstätigkeiten umfassende Beratungsleistungen erbringen. Dies folgt aus § 17 BeurkG. Danach haben die Notare unter anderem den Willen der Beteiligten zu erforschen, den Sachverhalt zu klären und die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren. Entsprechend ging auch die Europäische Kommission davon aus, dass notarielle Tätigkeiten unter das Verbot fallen.
Für den Bereich der Immobilientransaktionen hat der EuGH nun Rechtssicherheit geschaffen. Hintergrund des Verfahrens war der folgende Fall: Ein Berliner Notar verweigerte die Beurkundung eines Kaufvertrages, auf dessen Grundlage eine in Russland niedergelassene juristische Person eine Eigentumswohnung an zwei natürliche Personen verkaufen und übertragen wollte. Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Erwerbsinteressenten, die der Notar nicht abhalf und die er dem Landgericht zur Entscheidung vorlegte. Das Landgericht wiederum setzte das Verfahren aus und bat den EuGH um Vorabentscheidung.
Der EuGH entschied, dass weder die notarielle Beurkundung eines Wohnungskaufvertrages noch die notariellen Tätigkeiten zum Vollzug eines solchen Vertrages vom Anwendungsbereich des Verbots erfasst sind (Urt. v. 05.09.2024, Az. C-109/23). Sein Ergebnis begründete der EuGH im Wesentlichen mit drei Argumenten:
EuGH: Notare betreiben keine "Rechtsberatung" im Sinne der Sanktionsverordnung
Der EuGH stützt das Ergebnis zunächst auf den Wortlaut des Verbots. Ausgehend vom allgemeinen Sprachgebrauch beschreibe die Voraussetzung der Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung in Art. 5n Abs. 2 VO (EU) 833/2014 die Beziehung zwischen einem Dienstleistungserbringer und seinem Mandanten in Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Der Dienstleister werde im Interesse, zur Unterstützung und zur Beratung seines Mandanten tätig. Im Gegensatz hierzu stünden Tätigkeiten von Behörden und anderen Einrichtungen, die unter Aufsicht des Staates mit der Wahrnehmung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben betraut werden.
Die Tätigkeit der Notare in Deutschland sei einer solchen im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeit zuzuordnen, weil das deutsche Recht bei der Übertragung einer in Deutschland belegenen Immobilie zwingend die Mitwirkung des Notars als unabhängigen Träger eines öffentlichen Amtes vorsehe. Damit übernähme der Notar Aufgaben, die der Staat ihm übertragen habe und die der Staat sonst durch seine Behörden vornehmen müsste. Notare agierten gerade nicht mit dem Ziel der Förderung der Interessen einer der Parteien oder beider Parteien, sondern handelten unparteiisch unter Wahrung gleicher Distanz zu den Parteien im Interesse der Gesetze und der Rechtssicherheit.
EuGH: Sanktionen sollen europaweit kohärent sein
Das zweite Argument sieht der EuGH in dem Bedürfnis einer kohärenten Anwendung des EU-Sanktionsrechts in der gesamten Europäischen Union. Würde die Beurkundung eines Wohnungskaufvertrages in Deutschland unter das Verbot des Art. 5n Abs. 2 VO (EU) 833/2014 fallen, hätte dies zur Folge, dass in Mitgliedstaaten, die eine notarielle Beurkundung nicht erfordern, ein solches Geschäft mit einer in Russland niedergelassenen juristischen Person erlaubt bliebe, wohingegen es in Mitgliedstaaten wie der Bundesrepublik Deutschland, die eine notarielle Beurkundung zur Wirksamkeit voraussetzten, verboten sei.
Schließlich werde die so verstandene Auslegung durch das Regelungsziel bestätigt, so das dritte Argument des EuGH. Mit dem Verbot habe der Rat das Ziel verfolgt, russischen juristischen Personen die Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeiten im Unionsgebiet zu erschweren und auf diese Weise die russische Wirtschaft zu treffen. Nach Auffassung des EuGH sei dagegen nicht ersichtlich, dass der Rat beabsichtigt hätte, in Russland niedergelassenen juristischen Personen Verfügungen über das in einem Mitgliedstaat belegene unbewegliche Vermögen zu erschweren.
Folgen über Immobiliengeschäfte hinaus
Das Urteil ist aus Sicht der Praxis zu begrüßen, da es Rechtssicherheit schafft. Notare können (und müssen - § 15 BNotO!) nunmehr ohne die Gefahr, gegen die Russlandsanktionen zu verstoßen, Immobilienkaufverträge beurkunden und abwickeln, auch wenn entsprechende Verträge unter Beteiligung von juristischen Personen oder Vereinigungen mit Niederlassung in Russland geschlossen werden.
Die Bedeutung des Urteils geht aber weit über den Bereich der Immobiliengeschäfte hinaus. Die wesentlichen Argumente des EuGH lassen sich auf alle Rechtsgeschäfte übertragen, die einem Beurkundungsvorbehalt unterliegen. Dies betrifft auch solche aus dem Bereich des Gesellschaftsrechts. So verbietet Art. 5n Abs. 2 VO (EU) 833/2014 etwa nicht die Beurkundung von GmbH-Geschäftsanteilsübertragungen, GmbH-Gründungen oder Umwandlungsvorgängen unter Beteiligung juristischer Personen aus Russland.
Auch in diesen Fällen nehmen Notare durch die Beurkundung der entsprechenden Rechtsgeschäfte im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahr. Zudem würde es auch bei gesellschaftsrechtlichen Vorgängen zu Inkohärenzen zwischen den Mitgliedstaaten kommen, wenn in einem Mitgliedsstaat ein Rechtsgeschäft privatschriftlich abgeschlossen werden könnte, in einem anderen hingegen die notarielle Beurkundung erforderlich ist und die Vornahme des Rechtsgeschäfts nur in dem Mitgliedsstaat, der das Formerfordernis kennt, verboten wäre. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der EU-Gesetzgeber durch das 11. EU Sanktionspaket in Art. 12b Abs. 2b VO (EU) 833/2014 einen Genehmigungstatbestand für Anteilsabtretungen im Rahmen von Divestments in Bezug auf russische Gesellschaften eingeführt hat. Dieser Genehmigungstatbestand muss nämlich nur bemüht werden, wenn es sich überhaupt um eine Dienstleistung aus dem Bereich der Rechtsberatung handelt, was im vorliegenden Fall gerade nicht der Fall ist.
Was gilt bei freiwilliger Beurkundung?
Was aber gilt, wenn Notare Vorgänge beurkunden oder hierzu beraten, die nicht zwingend beurkundungsbedürftig sind? Fällt etwa die (freiwillige) Beurkundung eines Gesellschaftsvertrages einer Kommanditgesellschaft, der auch formfrei geschlossen werden könnte, unter das Verbot? Dagegen spricht, dass Notare auch in dieser Situation - anders als Rechtsanwälte - kraft ihrer öffentlichen Amtsstellung nicht einseitig beraten dürfen, sondern unparteiisch tätig werden müssen.
Es wäre auch ein eigenartiges Ergebnis, wenn ein Notar etwa bei der Errichtung einer GmbH & Co. KG die (zwingend beurkundungsbedürftige) GmbH-Satzung vorbereiten und beurkunden dürfte, die Mandanten im Zusammenhang mit dem (grundsätzlich formfreien) KG-Gesellschaftsvertrag aber auf das Sanktionsverbot verweisen müsste.
Gesichert ist eine solche Auslegung allerdings nicht. Schließlich greift in einem solchen Fall nicht das Argument, dass die Einschlägigkeit des Verbots zu einer inkohärenten Anwendung des Sanktionsrechts in der EU führen würde. Auch handeln Notare bei freiwilliger Beurkundung nicht in Ausübung einer nur ihnen staatlich übertragenen Aufgabe, sondern nehmen eine Tätigkeit wahr, die auch von Rechtsanwälten erfüllt werden könnte, deren einseitige Beratung aber unter das Verbot fällt.
Für die Praxis empfiehlt es sich daher, in solchen Fällen weiterhin Vorsicht walten zu lassen und notfalls die Weisung der Aufsichtsbehörde einzuholen. Aufmerksam zu verfolgen bleibt zudem, ob das EuG bzw. der EuGH die Regelung in Art. 5n Abs. 2 VO (EU) 833/2014 nicht ohnehin für nichtig erklären wird. Mit einer Entscheidung in 1. Instanz ist kurzfristig zu rechnen, nachdem u.a. die Pariser Anwaltskammer bereits im Jahr 2022 Nichtigkeitsklage eingereicht hatte. Unabhängig hiervon bleiben im notariellen Alltag selbstverständlich sämtliche Sanktionen zwingend zu beachten, die sich gegen konkrete juristische Personen und Vereinigungen mit Niederlassung in Russland richten.
Carsten Cramer ist Notar im Hamburg (Notariat Spitalerstraße) und Lehrbeauftragter an der Bucerius Law School in Hamburg.
EuGH-Urteil zu Russland-Sanktionen bei notarieller Beurkundung: . In: Legal Tribune Online, 01.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55544 (abgerufen am: 11.10.2024 )
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